Malerei

Marina Adams in der Galerie Thomas Schulte: Kostenlose Meditation

Malerei als dauerbewegte Illusion: Die Gezeiten-Abstraktionen der New Yorker Malerin beginnen vor dem Auge des Betrachters zu fließen.

„Like Thelonious“, 2023, Acryl/Lw
„Like Thelonious“, 2023, Acryl/LwMarina Adams/Galerie Thomas Schulte/M. Schormann

Marina Adams spricht von „Mother Tongue“ (Muttersprache), wenn sie nach ihren Bildern befragt wird. „Farbe“, sagt sie, „hat etwas an sich, das sich von allem anderen unterscheidet. Ich kann die Malerei aufschlüsseln, über Zeichnung, Maßstab, Oberfläche und Berührung sprechen, aber Farbe hat etwas, das man nicht beschreiben kann. Wenn sie kraftvoll ist, hält sie den Geist fest. Vielleicht so, wie großartige Musik.“

Vielmehr muss sie nicht sagen. Die Wirkung ihrer abstrakten, rhythmischen Malerei stellt sich nach ein, zwei Minuten ein. Diese „weichen“ Geometrien, betrachtet aus zwei, drei Metern Abstand, haben eine kontemplative Wirkung. Wie Ebbe und Flut. Oder wie eine atmende Struktur, die sich ständig ausdehnt und wieder zusammenzieht.

„ Stanleys Repertoire“, 2022, Acryl/Lw.
„ Stanleys Repertoire“, 2022, Acryl/Lw.Marina Adams/Galerie Thomas Schulte/M.Schormann

Die Kunst als Therapeut

Die Farbformen scheinen sich zu bewegen, werden schief, suchen sich Raum, aber ohne ihn zu sprengen. Obwohl die Farben fest getrocknet sind und sich da logischerweise eigentlich nichts mehr bewegen kann, werden sie vor meinen Augen zu Vertikalen und Horizontalen, zu Zickzacklinien und gestapelten Rauten. Symmetrien verwandeln sich sanft zu asymmetrischen Gebilden. Aus Dreiecken  werden doppelte Winkel, Prismen zerfließen in lustig unregelmäßige Ornamente. Spitzes wird rund. Obwohl die Bilder doch ganz still hängen, ist Malerei hier dauerbewegte Illusion. Solche Bilder verlangen Stille, dann entsteht Raum für alle Sinne. Ich kriege eine Meditationsstunde gratis. Und die Kunst ist mein Therapeut.

„See-Line Woman 13“, 2022, Acryl/Lw.
„See-Line Woman 13“, 2022, Acryl/Lw.Marina Adams/ Galerie Thomas Schulte/M. Schormann

Die Malerei der New Yorkerin Marina Adams wirkt sogar bei äußerst lebhaften Kindern. Ein Vater mit drei Töchtern im Vorschulalter staunt nicht schlecht, wie seine vorher im Galerieraum laut und wild herumrennenden Mädchen auf einmal gepackt sind von dem lautlosen Spiel der Formenveränderung, sobald sie zwei Schritt vor und wieder zurückgehen vor den Bildern namens „Sea Song“, „Where Water Meets Land“, „Tonepoem“ oder „To Be Is Not To Be“ (im Schaufenster der Galerie).

Adams, Jahrgang 1960, begreift Malerei nicht nur als optische Angelegenheit, sondern als Manifestation immaterieller Eigenschaften und als Zusammenspiel von Natur, Musik, Poesie, Architekturformen, maurischen Mosaiken und Mustern alter marokkanischer Teppiche. Sie verrät auch ein paar Vorbilder: Henri Matisse, Joan Mitchell, Willem de Kooning, Hilma af Klint. Sie alle schufen „körperliche“ Malerei, aber über das Feststehende hinaus. Das meint Adams mit „Muttersprache“.

„Mother Tongue“, Galerie Thomas Schulte, Charlottenstr. 24, bis 10. Juni, Di–Sa 12–18 Uhr