„Im Paradies fällt der Schnee langsam.“ Der Ausstellungstitel ist hochpoetisch. Lin May Saeed muss geahnt haben, dass sie zur Vernissage nicht mehr dabei sein würde. Ihre Schau im Georg-Kolbe-Museum zur in Kürze beginnenden Berlin Art Week steht, sie kann am 13. September eröffnen, wie geplant. Die Künstlerin jedoch starb Ende letzter Woche. Der vor einigen Jahren diagnostizierte Hirntumor besiegte letztlich ihren Lebensmut und die Kraft und den Willen, Kunst zu schaffen, die ihr Lebensinhalt war.
Die Schau ihrer unvergleichlichen Tierplastiken und -skulpturen, mit denen sie die Zwiesprache mit den bronzenen Animals der Bildhauerin Renée Sintenis suchte, wird nun zu ihrem Vermächtnis. Sintenis (1888–1965) war eine der wichtigsten Berliner Künstlerinnen in der Weimarer Republik und Schöpferin der Bärentrophäe der Berliner Filmfestspiele.
Mit Katze und Kaninchen
Die zierliche Künstlerin Lin May Saeed, 1973 in Würzburg als Kind einer Deutschen und eines Irakers geboren, war in der riesigen Berliner Kunstszene eine Ausnahmeerscheinung. Sie war Bildhauerin und Tierrechtlerin zugleich, formte die Geschöpfe der Fauna unserer Erde unprätentiös aus einfachen, im Arte-Povera-Stil „armen“ Materialien wie Holz, Draht, Pappe, Papier, Alufolie. Und Styropor, oft aus dem Abfall, aber von ihr behandelt, als wäre es weißer Marmor aus Carrara. So entstanden Figuren von Katzen, Hunden, Hasen und Kaninchen, von Wildtieren, auch exotischen, und von bedrohten Arten, wie etwa Gürteltieren.

Es ging May Saeed nicht darum, der Welt mit dem misanthropischen Philosophen Schopenhauer zu sagen, dass sie die Tiere liebe, seit sie die Menschen kenne. Ihr ging es vielmehr um eine kulturübergreifende Begegnung und Verständigung: über die gemeinsame Geschichte seit der Schöpfung der irdischen Natur von Mensch und Tier – und den dringend ein Umdenken erfordernden Umgang des (modernen) Homo sapiens mit den Tieren.
Sie brachte diese Botschaft aber nie mit missionarischem Eifer unter die Leute, sie tat es still, mit ihrer subtilen Kunst, die in Berlin kaum einmal ausgestellt wurde. 2003 gründete sie den Ausstellungsraum Center in Tiergarten, wo sie ihre Skulpturen zeigte. Atelierbesucher erzählten, dass ihnen an der Tür Häschen entgegenhoppelten. Aber erst 2020 wurde diese besondere Bildhauerin „entdeckt“. Das Clark Art Institute in Massachusetts richtete 2020 eine erste große Schau aus.

