Es ist wirklich unvorstellbar, was Tehching Hsieh, geboren in Taiwan und inzwischen Wahl-New-Yorker sich da im Namen der Kunst angetan hat: Er lebte 1980/81 ein ganzes Jahr lang in einem Käfig und hielt sich davon ab, länger als 59 Minuten am Stück zu schlafen. Denn immer zur vollen Stunde machte er ein Foto von sich. Das war wohl die radikalste Langzeitperformance, die es bislang gab im modernen Kunstbetrieb. Dagegen war Joseph Beuys’ fünftägiges Zusammenleben mit einem Kojoten 1974 in einem New Yorker Galerieraum fast ein Spaßspektakel, freilich mit Risiko für die körperliche Unversehrtheit. Vorsichtshalber hatte der Schamane vom Niederrhein sich für das Happening ganz in Filz gewickelt und mit einem Krummstock bewehrt. Alles ging gut aus.
Marina Abramović nennt ihn „Meister“
Der damals noch junge Tehching Hsieh schlief bei seiner Aktion nicht eine einzige Stunde. Zwölf Monate lang lebte er auf neuneinhalb Quadratmetern im Käfig, später nochmals für ein Jahr obdachlos auf der Straße. Solche Performances – insgesamt sechs – bilden das Lebenswerk des heute 72-jährigen stillen kleinen Mannes mit dem freundlichen Lächeln, den seine Verehrerin, die weltberühmte Performerin Marina Abramović „Meister“ nennt.
Hsiehs außergewöhnliches Werk galt, weitgehend abseits der Öffentlichkeit, ganz der Isolation, dem Verrinnen der Zeit. Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach holte die fotografische Dokumentation zusammen mit ihrem Protagonisten für eine Sonderschau ins Haus an der Potsdamer Straße. Sie füllt die Wände des zweiten Werkraums. Gleichsam tapetenartig und daher stark meditativ in der Wirkung wiederholen die über 8000 Fotos jene 365 Tage und Nächte hinter den freiwillig gewählten Gittern. Erinnerung, die Hsieh mit einer Videoprojektion kommentiert als sein Credo: „Life is passing time“ und „Life is freethinking“.

