Protest

Aber lasst die Klebefinger von den Alten Meistern!

Junge Aktivisten der Klimabewegung haben alles Recht der Welt zum Protest. Aber die Kunst ist die falsche Adresse.

Berlin: Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ klebten sich in der Gemäldegalerie an einem biblischen Werk von Lucas Cranach d. Ä. fest.
Berlin: Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ klebten sich in der Gemäldegalerie an einem biblischen Werk von Lucas Cranach d. Ä. fest.Twitter/Letzte Generation

All das, was die zornigen jungen Frauen und Männer der Aktivistengruppe „Aufstand der Letzten Generation“ inzwischen landes- und europaweit kritisieren, kann ich, ein Kind der Nachkriegszeit, dick unterschreiben, so wie auch die „Fridays for Future“-Aktionen meine Sympathien haben. Die junge Generation hat alles Recht der Welt, wegen ihrer von der Klimakatastrophe bedrohten Zukunft zu protestieren. Gegen die ungebremste Gier des Kapitals, die bedenkenlose Ausbeutung der Natur-Ressourcen.

Was mich allerdings irritiert und zunehmend mehr verschreckt als amüsiert, ist dieses aktionistische Trend-Muster, diese nachgerade kindische Mimesis oder Mimikry, die sich in immer kürzeren Abständen ausgerechnet auf Werke der Weltkunstgeschichte mit Unesco-Siegel spitzt, auf ganz alte, unwiederbringliche Gemälde, die geschützt werden müssen wie die Natur, wie die bedrohten Öko-Systeme der Erde. Selbstredend müssen diese berühmten Kunstwerke nur herhalten, um Aufmerksamkeit zu generieren.

Protestler attackieren zwar nicht die Leinwände oder Holztafeln. Sie kleben sich „nur“ an den historischen Rahmen fest, wie sie sich vorher wochenlang auf dem Asphalt der Avus, an deren geplanten Verlängerungen festklebten. Autofahrer, gestresste Pendler, Versorgungsfahrzeug-Lenker et cetera waren genervt und verärgert. Und sind seither leider gegen die Bewegung aufgebracht. So gewinnt man halt keine Verbündeten in der mobilen oder arbeitstechnisch zur motorisierten Mobilität gezwungenen Bevölkerung. Im Gegenteil.

Und nun sollen Museumsdirektoren, Museumswärter, Leihgeber und natürlich auch alle Kunstliebhaber vor den Aktionisten zittern? Im Pariser Louvre musste kürzlich da Vincis „Mona Lisa“ herhalten, vor wenigen Tagen Raffaels „Sixtinische Madonna“ in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister. Vorgestern landeten die Klebefinger der Aktionisten auf dem Rahmen der „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ von Nicolas Poussin im Frankfurter Staedel. Und eben traf es die Berliner Gemäldegalerie, im den Saal des deutschen Renaissancemeisters Lucas Cranach des Älteren - dessen „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“.

Die beiden Mädchen mit ihrem Protestplakat standen wie alle ihre Mitstreiter:innen bei diesen musealen Auftritten brav links und rechts des Rahmens, aber eben angekleistert, was dem Gemälde selbst nichts ausmacht, aber für öffentliche Erregung sorgt und eben auch schon den Straftatbestand erfüllt. Bemerkenswert immerhin, dass die Protestlerinnen sich in die Kunst- und Theologiegeschichte vertieft haben, wo das Gemälde Maria, Josef und das Jesus-Knäblein auf der Flucht darstellt. Die Aktivistinnen verweisen auf die Parallelsituation. Die Klimakrise treibe Millionen Mensch zur Flucht. Sie fordern ein konsequentes Umdenken.

Das wollen alle vernünftigen Leute. Darum verstehe ich nicht, warum die aufständische „Letzte Generation“ mit ihren infantilen Skandälchen immer nur, wie es im alten Sprichwort heißt, den Sack schlägt, aber nicht den Esel. Warum gehen sie gegen gestresste Leute im Straßenverkehr, gegen unschuldige alte Bilder vor? 

Dresden: Zwei Umweltaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ stehen mit einem Banner in der Gemäldegalerie Alte Meister an dem Gemälde „Sixtinische Madonna“ von Raffael, die Hände festgeklebt am kostbaren Goldrahmen. 
Dresden: Zwei Umweltaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ stehen mit einem Banner in der Gemäldegalerie Alte Meister an dem Gemälde „Sixtinische Madonna“ von Raffael, die Hände festgeklebt am kostbaren Goldrahmen. dpa

Wieso ziehen sie mit ihrer Kritik  – gerne darf es dann Wut sein und beharrlicher Druck – nicht vor die verantwortlichen politischen und wirtschaftlichen Instanzen, nicht vor die umweltverschmutzenden Großkonzerne, gegen die Autoindustrie, die weiterhin tonnenschwere spritfressende Verbrenner baut, die mit 300 die Autobahnen unsicher machen dürfen, gegen die Massentierhalter und Großschlächtereien, die Discounter, die nicht daran denken, ihre Lebensmittelprodukte ohne die fatalen Plastikverpackungen anzubieten, die dann die Weltmeere vergiften, statt in nachhaltigen, zumindest umweltverträglichen Hüllen. Das wäre schon um einiges mutiger; es würde auch den Meckerern über „die Jugend von heute“ Respekt abringen, womöglich Sympathie. Beistand. Mitmachen. Wir sitzen nämlich alle in unserem einzigen Raumschiff Erde.