Wenn am Wochenende der 29. Tag des offenen Denkmals konservatorische Großtaten zur Schau stellt, wird die Freude hierzulande getrübt sein. Dafür hat das Kulturerbenetz Berlin gesorgt. Am Mittwoch präsentierte der Verbund von 30 privaten Erhaltungsinitiativen die Stadt als „Rote Liste“. Diese neue Online-Datenbank dokumentiert mit Wort und Bild kulturgeschichtlich bedeutsame Bauten, die zum Abriss freigegeben sind, gerade entstellt werden oder hilflos vor sich hin rotten.
Neben den prominenten Schicksalen des Flughafens Tempelhof, der Komischen Oper oder dem ICC erschließt sich ein Füllhorn kaum bekannter Tragödien, welche sich unter anderem an den S-Bahnhöfen Grünau und Gartenfeld oder am Checkpoint Bravo abspielen. In jedem Fall werden die verantwortlichen Verwaltungen und Eigentümer benannt, was die öffentliche Hand nicht selten schlecht aussehen lässt. Bauzeitlich erscheint in erster Linie das 20. Jahrhundert angegriffen. Die Karte deckt auf, dass die Vororte ebenso wenig Schutz bieten wie die Innenstadt: Spandau und Treptow-Köpenick erodieren sogar unverhältnismäßig stark. Insgesamt erbrachten die zwei Jahre ehrenamtlicher Recherche über hundert Schandmale – der Denkmaltag versammelt am Ende seiner dritten Dekade gerade gut doppelt so viele Positivbeispiele.
Die Rote Liste des Kulturerbenetzes ist ein Katalog der Unzulänglichkeiten
Dass so ein Register den Raubbau bremsen kann, dafür gibt es Beispiele. Das hervorragendste ist die Rote Liste, welche die Unesco seit den Siebzigern zum Welterbe führt. Mit dem Eintrag dort setzen die Vereinten Nationen automatisch Rettungsmittel in Gang. In Berlin wurde dem Kulturerbenetz immerhin der technische Part vom Gemeinwesen finanziert. Die Steuergelder kamen ausgerechnet vom Landesdenkmalamt, das den Katalog seiner Unzulänglichkeiten in der Hoffnung auf mehr Wirkmacht subventionierte. Greifbarer Gegenwert sind liebevollere, vor allem aber aktuellere Baubeschreibungen, als sie die offizielle Denkmaldatenbank, Lost-Places-Portale oder Wikipedia momentan bieten. Davon profitieren Mandatsträger, Multiplikatoren und Stadtinteressierte genauso. Stand jetzt finden sie in der Roten Liste die erste Referenz.
Was die Zukunft womöglich bringt, zeigt das Pendant von Nexthamburg. Diese vollends autonome Verbindung hanseatischer Planer belebte in den letzten fünf Jahren den einen oder anderen Schandfleck wieder, welcher von Amts wegen nie als Denkmal durchging. Die Power dazu kam durch Popularisierung ihrer Roten Liste. Sie schraubt kunsthistorische wie konservatorische Ansprüche herunter, wodurch auch Menschen mitmischen, die per se aus sozialen oder ökologischen Gründen für Gebäudeerhalt sind. Diese scheinen sogar in der Mehrheit, sollte der Blick in die Kommentarspalten nicht trügen. Daneben bauen simple Like-/Dislike-Buttons eine Brücke zur Beteiligung. Diesen Weg ist das Kulturerbenetz Berlin wenigstens einen Schritt mitgegangen. Die Vorstellung ihrer Roten Liste verband es mit dem Aufruf an alle, sie fortzuschreiben: als „Tippgeber“.

