Der erste Berlinale-Leiter Alfred Bauer hatte eine bedeutende Rolle im NS-Regime. Zu diesem Ergebnis kam vor zwei Jahren eine Studie des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, die vom aktuellen Führungsduo der Berlinale in Auftrag gegeben wurde, nachdem Die Zeit entsprechende Vorwürfe recherchiert und gedruckt hatte.
Belegt werden konnte, dass Bauer als Referent der Reichsfilmintendanz von 1942 bis 1945 in der deutschen Filmindustrie eine zentrale Rolle spielte und in direktem Austausch mit dem für Propaganda zuständigen Reichsminister Joseph Goebbels stand. Nach dem Krieg verschleierte und verharmloste Bauer seine Position, die Verleihung des nach ihm benannten Preises bei der Berlinale, die er von 1951 bis zu seiner Pensionierung 1976 leitete, wurde nach der Studie ausgesetzt. Nun hat das Münchner Institut weitere Forschungsergebnisse nachgelegt, wieder im Auftrag von Rissenbeek und Chatrian.
Die Studie „Schaufenster im Kalten Krieg. Neue Forschungen zur Geschichte der Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Ära Alfred Bauer (1951–1976)“, die am Freitag, den 21. Oktober, veröffentlicht wurde, konzentriert sich auf Personen und Netzwerke, die das filmgeschichtliche Gesicht der frühen Nachkriegszeit prägten. Die Wissenschaftler untersuchten, welche persönlichen Verbindungen aus der Zeit vor 1945 in Bauers Filmpolitik fortwirkten, welche er möglicherweise reaktivieren konnte und wie sich diese auf die Filmfestspiele auswirkten.
Berlinale-Leitung stand unter steter Beobachtung der amerikanischen und britischen Besatzungsmacht
In einer Zusammenfassung heißt es, „dass die Internationalen Filmfestspiele Berlin insbesondere in den Anfangsjahren von Personen geprägt wurden, die durchaus als NS-belastet angesehen werden können“. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass „andere maßgebliche Akteure keineswegs Funktionsträger des Nationalsozialismus“ gewesen seien. Eine „ungebrochene personelle Kontinuität“ wird nicht gesehen, zumal bis zum Wiederaufbau der Filmwirtschaft einige Jahre vergangen seien.
„Zudem waren in der Berliner Senatsverwaltung keineswegs überzeugte Nationalsozialisten für die Filmfestspiele zuständig“, heißt es. Nicht zuletzt habe die Leitung der Berlinale unter steter Beobachtung der amerikanischen und britischen Besatzungsmacht gestanden mit jeweils einem Vertreter im Gründungsausschuss der Berlinale. „Insofern handelte es sich bei diesem zentralen Gremium um eine Institution, in der frühere Unterstützer und Gegner des NS-Regimes sowie Vertreter der Siegermächte gemeinsam daran arbeiteten, die Filmfestspiele als ‚Schaufenster der freien Welt‘ zu etablieren.“
Bauer sei von der Senatsverwaltung für eigenmächtiges Handeln und die getroffene Filmauswahl wiederholt kritisiert worden. Gleichzeitig sei er „als hervorragender Organisator der Filmfestspiele und bestens vernetzter Filmfunktionär geschätzt“ worden. „Gerade Bauers Bereitschaft, seine vielfältigen Kontakte zu nutzen, um immer wieder Fürsprecher zu finden, die auf politischer Ebene zu seinen Gunsten Einfluss nahmen, halfen ihm, sich in kritischen Situationen an der Spitze der Festspielorganisation zu halten“, schreibt das Institut.


