Es gibt sie also noch: Serien, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Zumindest, wenn es nach den Spielregeln des übersatten Streaming-Marktes geht. „Irma Vep“ bricht sie alle: Die achtteilige Miniserie des französischen Filmemachers Olivier Assayas („Personal Shopper“) ist sperrig, verwirrend und anfangs absolut unzugänglich.
Oder anders ausgedrückt: Sie erzählt etwas absolut Eigenes und Originäres, dessen Entfaltung eine gewisse Zeit benötigt. Damit ist sie wohltuendes Kontrastprogramm zu Produktionen, die in ein algorithmisches Empfehlungssystem passen müssen und deswegen berechenbar, also gefällig und normiert sein müssen. „Irma Vep“ ist von einem Geist durchzogen, der genau dieses Verständnis von Kunst ablehnt.
Allerdings ohne selbstherrlich zu sein, ohne sich in dieser Anti-Haltung allzu sehr zu gefallen. Wenn überhaupt ist „Irma Vep“ selbstironisch. Das zeigt sich schon in den unverschämt komplexen Meta-Ebenen, mit denen die Miniserie hantiert. Denn genau genommen ist sie selbst ein Remake – und damit, so könnte man meinen, Teil des unsäglichen Trends der Film- und Serien-Branche, sich in dem Versuch, alte Erfolge noch einmal auszuschlachten, ständig selbst zu wiederholen. Assayas drehte „Irma Vep“ 1996 nämlich schon einmal, damals allerdings als Film.
Remake im Remake
In diesem Film geht es um den chaotischen Dreh einer modernen Adaption des (tatsächlich existierenden) französischen Stummfilmklassikers „Les Vampires“ von Louis Feuillade. Davon handelt nun auch die aktuelle Miniserien-Version, mit einer zusätzlichen Umdrehung: Auch in „Irma Vep“ ist „Irma Vep“ ein Remake von „Irma Vep“.
Die gute Nachricht: Man muss keine der beiden Vorlagen gesehen haben, um die Miniserie genießen zu können. Die Querverweise dienen in erster Linie der Reflexion über den Wert des Filmemachens und den Sinn, sich ihnen als Regisseur, Schauspielerin oder Zuschauer zu widmen.

Dabei steht einerseits Mira Harberg (Alicia Vikander) im Zentrum, die als Hollywood-Sternchen gerade einen weiteren inhaltlich anspruchslosen, aber karrieretechnisch überaus lukrativen Superhelden-Blockbuster abgedreht hat. In der Hoffnung, endlich künstlerische Erfüllung zu finden, widmet sie sich der europäischen Arthouse-Produktion „Irma Vep“, in der sie die titelgebende Hauptrolle übernimmt. Ihr Name ist ein Anagramm vom Englischen „Vampire“, wobei sie als sterbliche Femme fatale schlicht der Kopf einer kriminellen Bande und kein echter Blutsauger ist.
Andererseits geht es um René Vidal (Vincent Macaigne), dem als neurotischer Filmemacher die Begeisterung für das Kino abhandengekommen ist, der sich wegen Depressionen in Behandlung befindet und am Set regelmäßig Nervenzusammenbrüche erleidet. Für ihn bedeutet die Neuauflage auch den Versuch, endlich mit der Scheidung von seiner Frau (Vivian Wu) fertigzuwerden, die die Hauptrolle in der Filmfassung spielte.
Lars Eidinger als chaotischer Schauspieler
Anhand der beiden Figuren karikiert die Miniserie die Realität der Film- und Serienindustrie der Gegenwart. Und die hat selten mit gelebter Kreativität und oft mit nackter Kalkulation, zu berücksichtigenden Allüren und kaltem Taktieren zu tun. Wie Mira an einer Stelle gegenüber ihrer Assistentin Regina (Devon Ross) zugibt, hat sie ihren Ruhm vor allem glamourösen Werbedeals mit Luxusmarken zu verdanken, weniger ihren Leistungen als Schauspielerin.
René wiederum muss sich eingestehen, dass die Finanzierung seines Projektes davon abhängt, dass Mira einen weiteren solchen Deal mit einem Parfum-Hersteller abschließt, der im Gegenzug einen Teil der Produktionskosten übernehmen will. Auch deswegen gilt es, Mira um jeden Preis zufriedenzustellen und sie nicht etwa mit einer Unterbringung in einer bloßen Junior-Suite zu beleidigen.
Unterhaltsam ist die Glosse auf den Branchenzirkus vor allem dank der vielen interessanten Nebenfiguren, die „Irma Vep“ geschickt miteinflechtet. Herman Ray (Byron Bowers) ist als Regisseur von Miras Vorgängerfilm das genaue Gegenteil von René: Für ihn geht es beim Filmemachen um das reine Spektakel, mit möglichst vielen Explosionen, Steadycams und Drohnen.
Miras Managerin Zelda (Carrie Brownstein) indes hat keinerlei Verständnis für die Wahl ihres neuen Projektes, wo doch viel Einträglicheres auf sie wartet. An Kostümdesignerin Zoe (Jeanne Balibar) zeigt die Miniserie, wie sehr die Crew unter niedrigen Budgets zu leiden hat, wenn Zoe plötzlich für alle möglichen Aufgaben eingesetzt wird – nicht zuletzt als ständige Mitfahrgelegenheit, Freizeitunterhaltung und Drogenkurier.
Unübertroffen an Reiz ist allerdings die Figur des deutschen Schauspielers Gottfried, der sozusagen das „schlechte Gewissen“ der Industrie verkörpert. Man kann sich keine bessere Besetzung für das „Enfant terrible“ vorstellen als Lars Eidinger, der im Leopardenmantel und mit viel Kajal um die Augen ans Set stolpert, ständig auf Partys abhängt und Crack konsumiert – und trotzdem derjenige ist, der am meisten für den Film lebt und in einem fantastischen Monolog hervorhebt, wie sehr der Kunstform ihr Chaos und ihre Abenteuerlust abhandengekommen ist.

Zwischen privatem und professionellem Chaos
„Irma Vep“ ist ein erfreulicher Beweis dafür, dass es die Bereitschaft zum Wagnis noch gibt. Sogar im mitunter noch viel konformistischeren Serienbereich. Virtuos wabert die Miniserie zwischen besagter Industriekarikatur und dem nicht weniger schonungslos persiflierten privaten Verstrickungen ihrer vielen Vertreter. Etwa dem seltsamen Verhältnis Miras zu ihrer Ex-Freundin und ehemaligen Assistentin Laurie (Adria Arjona), die nun ein toxisches Spiel um Dominanz der jeweils anderen verbindet.
Dass es bei den großen Anbietern wie HBO, bei dem die Serie in den USA erschien, wesentlich experimenteller wird, kann man sich jedenfalls kaum vorstellen. Gerade ab der Hälfte der Spielzeit gleitet die Miniserie immer weiter ins Fantastische ab, wenn ihre Rolle mehr und mehr von Mira Besitz ergreifen zu scheint, sie in ihrem Catsuit plötzlich über Dächer schleichen und durch Wände gehen kann und Regisseur René mit einem Mal der Geist seiner noch lebenden Ex-Frau erscheint.
„Irma Vep“ macht sich nicht die Mühe, Dinge final aufzuklären, sondern lässt vieles in einem Schwebezustand, den sich das Publikum schon selbst deuten muss. Alternativ kann man sich aber auch einfach der Schönheit solcher Szenen und dem Sog, den die poetisch aufgeladenen Dialoge und die hochwertig-düstere Ausstattung entwickeln, hingeben. Wie unglaublich erfrischend, wenn eine Serie es wagt, ihren Zuschauern etwas zuzutrauen. Ach was, zuzumuten!
Wertung: 5 von 5
