So richtig zum Feiern war den Mitgliedern der Deutschen Filmakademie, knapp 20 Jahre nach ihrer Gründung, bei dieser Filmpreisverleihung wahrscheinlich nicht zumute. Man hat dort längst ein dickes Fell, über Jahrzehnte gezüchtet und gepflegt, um Dauerkritik an der Qualität des deutschen Films abzudämpfen. Doch in den vergangenen Monaten erreichte der Unmut in der Branche noch mal eine völlig neue Qualität. Der Protest darüber, dass Christian Petzolds Film „Roter Himmel“ bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, es beim Filmpreis aber nicht mal in die Vorauswahl schaffte, ebbte nicht ab, bis Alexandra Maria Lara und Florian Gallenberger, die seit dem vergangenen Jahr die Akademie leiten, vor wenigen Tagen eine Reform ankündigten.
Generell sind in der Branche gerade eigentlich alle unzufrieden. Die Kinos erreichen bei den Besucherzahlen noch nicht wieder vorpandemisches Niveau. Es wird mehr gedreht als je zuvor, vieles davon immer billiger, was den Druck auf alle Beteiligten erhöht. Inwiefern dieser Faktor auch bei den Missständen bei Produktionen von Til Schweiger eine Rolle spielte, die der Spiegel vor zwei Wochen aufdeckte, sei dahingestellt. Ein anderes Problem der Branche wurde daran allerdings überdeutlich: Bei toxischen Zuständen an deutschen Sets gibt es für Betroffene wenig Hilfe zu erwarten.
Volker Schlöndorff: „Wir müssen uns zusammenraufen“
„Das Problem ist nicht nur der Schweiger, sondern auch die Schweiger“, bemerkte die Schauspielerin und Moderatorin der Gala, Jasmin Shakeri, sehr treffend. Ob sich wohl von den 1600 Gästen im Theater am Potsdamer Platz jemand angesprochen fühlte? Auch Claudia Roth mahnte in ihrer Eröffnungsrede eine offene Auseinandersetzung mit Missständen in der Branche an. „Wir werden unseren Teil dafür tun“, versprach die Kulturstaatsministerin. In diesem Zusammenhang kam sie auch mal wieder auf die Filmförderung zu sprechen, die aktuell in gemächlichem Tempo reformiert wird – ein weiterer Frustrationsquell für die deutschen Filmemacher.
In der vergangenen Woche forderte der kreative Nachwuchs in dem Appell „Angst essen Kino auf“ noch mal vehement eine Vereinfachung des Finanzierungssystems und mehr Risikobereitschaft der Verantwortlichen. Über 1000 Filmschaffende aus allen Gewerken haben den Aufruf bislang in Solidarität unterschrieben, darunter auch einige, die an diesem Abend mit Lolas ausgezeichnet wurden.
Volker Schlöndorff zum Beispiel, der in diesem Jahr den Ehrenpreis bekam. „Viele haben sicher gedacht: ,Ach, der schon wieder.‘ Und auch ich dachte kurz: ,Hab ich den nicht schon?‘“, eröffnete der Regisseur seine Rede – man glaubte es ihm sofort. Als Gründungsmitglied der Filmakademie nahm er, ohne Namen zu nennen, noch mal Bezug auf die Causa Petzold und versprach, dass man einen Weg finden werde, „die Preise in Zukunft besser und gerechter auszuwählen“. Um das Erbe seiner Mitstreiter Helmut Dietl und Bernd Eichinger zu bewahren, die vor 20 Jahren die Gründung der Akademie initiierten, müssten sich nun alle zusammenraufen.

Auch auf Missstände bei den Arbeitsverhältnissen kam der Regisseur zu sprechen: Um diese zu beheben, sollte ein bisschen Anstand genügen, man bräuchte keine Vorschriften und Ehrenkodexe. Claudia Roth hatte zuvor erneut die Ausarbeitung eines Code of Conduct für die Branche angekündigt.
Die AG Kino kritisierte die Nominierungen von „Im Westen nichts Neues“
Beschwerden gab es im Vorfeld auch in Bezug auf den klaren Favoriten des Abends: Die Remarque-Verfilmung „Im Westen nichts Neues“. Die AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater – hatte kritisiert, dass die Netflix-Produktion nur vier Wochen im Kino lief, bevor sie auf der Plattform gestreamt werden konnte. Inwiefern die Kinoexklusivität für die Teilnahme an Festivals und Preisverleihungen eine Rolle spielen sollte, wird kontrovers diskutiert, seit die Streamingfirmen in die Filmproduktion eingestiegen sind.
Mit acht goldenen Lolas wurde „Im Westen nichts Neues“ trotzdem zum großen Abräumer des Abends. Preise gab es für den Ton, die Maske, die Kamera, das Szenenbild und die visuellen Effekte, auch die Schauspieler Albrecht Schuch und Felix Kammerer gewannen, Letzterer für seine erste Filmrolle überhaupt. Dass bei diesem Erfolg ausgerechnet der Regisseur Edward Berger leer ausging und der Film in der Hauptkategorie nur die silberne Lola bekam, war durchaus eine Überraschung. Der Produzent Malte Grunert äußerte in seiner Rede Verständnis: „Ich weiß, dass unser Film für die Akademie Neuland war, und bedanke mich, dass er trotzdem ausgezeichnet wurde.“ Ohne Netflix sei dieser Film so nicht möglich gewesen, erklärte er am Ende – und hat damit natürlich recht.
Vielleicht auch deshalb, man kann es sich kaum anders erklären, kürte die Akademie einen anderen zum besten deutschen Film des Jahres: „Das Lehrerzimmer“ von dem Berliner Regisseur İlker Çatak. Der bedankte sich in seiner Rede emotional bei seinem deutschtürkischen Regie-Kollegen Fatih Akin: „Ich bin mit seinen Filmen aufgewachsen, er war ein Leuchtturm für mich.“ Çatak wurde auch als bester Regisseur ausgezeichnet, Leonie Benesch gewann für ihre Darstellung einer Lehrerin, die an ihren hohen Ansprüchen scheitert, die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin. Lolas gab es außerdem für den Schnitt und das Drehbuch.

Am Ende zeigte sich Claudia Roth dann noch mal „begeistert von dieser großen Vielfalt“ der Filme, in denen sich auch die Vielfalt unserer Welt ausdrücke. Und bewies mit diesem Statement leider mal wieder, wie wenig von den Klagen aus der Branche wirklich bei ihr ankommt.
Bester Spielfilm in Silber: „Im Westen nichts Neues“, Malte Grunert
Bester Spielfilm in Bronze: „Holy Spider“, Sol Bondy, Jacob Jarek
Bester Dokumentarfilm: „Elfride Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“, Martina Haubrich, Claudia Wohlgenannt
Bester Kinderfilm: „Mission Ulja Funk“, Roshanak Behesht Nedjad
Beste Regie: Ilker Çatak, „Das Lehrerzimmer“
Bestes Drehbuch: Johannes Duncker, Ilker Çatakm, „Das Lehrerzimmer“
Beste weibliche Hauptrolle: Leonie Benesch, „Das Lehrerzimmer“
Beste männliche Hauptrolle: Felix Kammerer, „Im Westen nichts Neues“
Beste weibliche Nebenrolle: Jördis Triebel, „In einem Land, das es nicht mehr gibt“
Beste männliche Nebenrolle: Albrecht Schuch, „Im Westen nichts Neues“
Beste Kamera/Bildgestaltung: James Friend, „Im Westen nichts Neues“
Bester Schnitt: Gesa Jäger, „Das Lehrerzimmer“
Beste Tongestaltung: Frank Kruse, Markus Stemler, Viktor Prášil, Lars Ginzel, Alexander Buck, „Im Westen nichts Neues“
Beste visuelle Effekte: Frank Petzold, Viktor Müller, Markus Frank, „Im Westen nichts Neues“
Bestes Maskenbild: Heike Merker, „Im Westen nichts Neues“
Beste Filmmusik: Volker Bertelmann, „Im Westen nichts Neues“
Bestes Szenenbild: Christian M. Goldbeck, „Im Westen nichts Neues“
Bestes Kostümbild: Tanja Hausner, „Sisi & Ich“
Besucherstärkster Film: „Die Schule der magischen Tiere 2“
Ehrenpreis: Volker Schlöndorff



