Filmbranche

Causa Til Schweiger: Mal wieder haben es „alle gewusst“

Mitarbeiter haben schwere Vorwürfe gegen den Filmemacher erhoben. Sollten diese wahr sein: Wieso passierte so lange nichts? Das muss sich nun auch Claudia Roth fragen.

Til Schweiger: Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, Produzent – und laut zahlreicher Weggefährten ein tyrannischer Arbeitgeber
Til Schweiger: Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, Produzent – und laut zahlreicher Weggefährten ein tyrannischer Arbeitgeberimago images

Alle haben es gewusst. Diesen Satz hört man häufig, wenn es um Machtmissbrauch geht. Nicht nur in der Filmbranche, aber dort besonders. Über die Gründe dafür wurde spätestens seit den Enthüllungen der Verbrechen von Harvey Weinstein, die den Anstoß für die MeToo-Bewegung gaben, ausgiebig diskutiert. Wer vor und hinter der Kamera arbeitet, hat viel zu verlieren – manche den Traum von der ganz großen Karriere, die Mehrheit allerdings ihre Existenzgrundlage. Denn die Arbeitsverhältnisse sind unstet, die meisten Crew-Mitglieder arbeiten als Selbstständige auf Projektbasis. Eine gewisse Sicherheit lässt sich ausschließlich über Beziehungen herstellen. Wer aufmuckt, riskiert, für den nächsten Dreh nicht mehr gebucht zu werden. Das ist das eine.

Ein weiterer Aspekt, der die Branche besonders macht, sind die intensiven Arbeitsbedingungen – Filme entstehen in einem komplexen sozialen Gefüge. Für einen gesetzten Zeitraum arbeitet man auf engem Raum zusammen, isst gemeinsam, wartet gemeinsam, bis das Licht steht, setzt sich mit emotionalen Geschichten auseinander, schläft oft im selben Hotel. Meistens herrscht Dauerstress, denn die Tage sind lang, die Ansprüche hoch und das Budget ist auf Kante genäht. Nicht selten kommt Internatsstimmung auf, mit allem, was dazugehört: Höhenflüge, Leistungsdruck, Zusammenhalt, Mobbing. Nur, dass hier alle ihr Schulgeld selbst verdienen müssen.

Die Vorwürfe: Alkoholexzesse, Demütigungen, Schläge

Der Vergleich von erwachsenen Menschen mit Schülern hinkt freilich in gewisser Hinsicht. Man möchte den Volljährigen mehr zutrauen, bei der Achtung der Grenzen anderer und auch bei der Unterstützung von Kollegen, denen Unrecht geschieht. Leider kann man sich darauf, unter anderem aus den beschriebenen Gründen, in der Realität nicht verlassen. Umso wichtiger ist es also, dass es Verantwortliche gibt, die eingreifen – allerspätestens, wenn Betroffene selbst um Hilfe bitten.

Seit ein paar Tagen liegt nahe: Bei den Produktionsfirmen, die in der Vergangenheit mit Til Schweiger gearbeitet haben, sitzen solche Menschen nicht. Laut einem Bericht des Spiegel, für den die Journalisten mit über 50 Weggefährten des Filmemachers gesprochen haben, soll dieser am Set von „Manta Manta – Zwoter Teil“ regelmäßig volltrunken am Set erschienen sein, Kollegen gedemütigt und einem von ihnen sogar ins Gesicht geschlagen haben.

Til Schweiger mit seinen Töchtern Luna Schweiger und Lilli Schweiger 2014 bei der Premiere des Kinofilms „Honig im Kopf“ im Cinestar am Potsdamer Platz 
Til Schweiger mit seinen Töchtern Luna Schweiger und Lilli Schweiger 2014 bei der Premiere des Kinofilms „Honig im Kopf“ im Cinestar am Potsdamer Platz imago

Sämtliche Schilderungen der cholerischen Entgleisungen des Filmemachers wurden von der Constantin Film GmbH, die die „Manta Manta“-Fortsetzung mitproduzierte, dementiert; manche Behauptungen sogar ins Gegenteil verkehrt. Während die Informanten dem Spiegel von einem Klima der Angst berichteten, hieß es seitens der Produktionsfirma: „In Wirklichkeit war die allgemeine Stimmung während der Dreharbeiten überwiegend überdurchschnittlich positiv.“ Ein Statement, das umso mehr überrascht, da es sich laut der Zeugenberichte bei dem von Schweiger geschlagenen Mann um einen Mitarbeiter von Constantin handeln soll.

Bei Warner Bros., Schweigers langjährige Produktionspartnerfirma vor Constantin Film, will man sich nicht zu den Vorwürfen äußern, die sich zum Teil auch auf Filmdrehs aus dieser Zeit beziehen. Die Verantwortung trage allein die ausführende Produktionsfirma, also Schweigers eigene Firma Barefoot Films.

Welche Verantwortung tragen die Filmförderanstalten?

Auf die „lückenlose Aufklärung“, die Claudia Roth nun von Constantin Film gefordert hat, dürfte die Kulturstaatsministerin lange warten. Die Zeit sollte sie nutzen, um Erkenntnisse aus der Schweiger-Recherche in den laufenden Reformationsprozess der Filmförderung einfließen zu lassen. Denn dass sich bei den Produktionsbedingungen einiges verbessern muss, ist nicht erst klar, seit auch Menschen außerhalb der Branche wissen, dass einer der erfolgreichsten deutschen Filmemacher seit Jahren Angestellte tyrannisiert haben soll. Dass zum Beispiel Ruhezeiten bei Drehs nicht eingehalten werden, ist Standard. Würde das nun jemand bei Verdi melden, könnte die Gewerkschaft den Dreh abbrechen – doch wer will dafür schon verantwortlich sein?

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, sowie Eva Hubert (v.l.n.r.), Themis-Vorstandsvorsitzende, nehmen an einem Pressegespräch zu fünf Jahren Vertrauensstelle Themis teil, die 2018 im Zuge der MeToo-Bewegung ins Leben gerufen wurde.
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, sowie Eva Hubert (v.l.n.r.), Themis-Vorstandsvorsitzende, nehmen an einem Pressegespräch zu fünf Jahren Vertrauensstelle Themis teil, die 2018 im Zuge der MeToo-Bewegung ins Leben gerufen wurde.dpa

Auch wenn es neuen bürokratischen Aufwand verursachen würde, der durch die überarbeiteten Regularien der Filmförderung eigentlich abgebaut werden soll: Es muss schlicht besser kontrolliert werden. Die Vertrauensstelle Themis, bei der sich seit 2018 Menschen melden können, die in der Kultur- und Medienbranche sexuelle Belästigung oder Gewalt erleben oder beobachten, darf rechtlich nur beraten und auf Wunsch vermitteln. Zum Beispiel mit Constantin Film – das Ergebnis kann man sich nach der Spiegel-Recherche vorstellen. 

Angesichts der bestehenden Verhältnisse klingt auch Roths Vorschlag eines „Code of Conduct“, einer Selbstverpflichtung der Branche, wenig zielführend. Lieber gleich weiter zum nächsten von Roth vorgeschlagenen Schritt, sollte die Selbstverpflichtung keine durchgreifende Wirkung zeigen: den „Code of Conduct“ für alle Förderungen verbindlich zu machen. Denn besonders dort, wo Steuergelder fließen – auch „Manta Manta – Zwoter Teil“ wurde mit gut einer Million Euro gefördert –, wäre es legitim und ist augenscheinlich angebracht, sicherzustellen, dass Gesetze zum Arbeitsschutz eingehalten werden.

Generell ist zu hoffen, dass der aktuelle Fachkräftemangel, der auch in der Filmbranche eine Herausforderung für die Arbeitgeber darstellt, die Verhandlungsposition und das Selbstbewusstsein der Angestellten stärken kann.

Ein weiterer Film von Til Schweiger und Constantin Film ist übrigens schon abgedreht und soll im Dezember in die Kinos kommen. Der Titel: „Das Beste kommt noch!“