Das Fliegende Auge

Slowenischer Film „Orkester“: Widersprüche der post-jugoslawischen Gesellschaft

Der Humor des Regisseurs Matevz Luzar zeugt von einem zutiefst humanistischen Ansatz: Er kommt ganz ohne Denunziation seiner Figuren aus.

Filmausschnitt Orkester von Matevž Luzar
Filmausschnitt Orkester von Matevž LuzarKrokodil Distribution/Mitja Lic

Der Reichtum Europas wird in seinen kleinsten Teilen am deutlichsten. Beispiel Slowenien: Mit zwei Millionen Einwohnern auf 20.000 Quadratkilometern geht die nördlichste der einstigen jugoslawischen Teilrepubliken fast als Zwergstaat durch. Doch die Vielfalt kommt der eines ganzen Kontinents nah. Es gibt ausgedehnte Wälder, weite landwirtschaftliche Flächen, lebendige Städte und verschlafene Dörfer, sogar eine effektive Industrie. Das Ganze wird malerisch von den Alpen und der Adria eingerahmt. Dass Slowenien dabei keine Insel der Seligen ist, wissen wir von Slavoj Zizek, seinem berühmtesten Einwohner. Unerbittlich legt er seinen Finger in die Wunden. Heimatliche Populisten nennt er beim Namen, er bezeichnet sie als „zweitklassiges Geschmeiß“.

Nun erreicht uns mit „Orkester“ ein slowenischer Spielfilm, der liebevoll-kritisch auf die Widersprüche der post-jugoslawischen Gesellschaft hinweist. Regisseur Matevz Luzar (Jahrgang 1981) trifft damit haarscharf den Puls der Zeit. Das Werk wurde weltweit auf Festivals gefeiert, gewann die nationale Trophäe als „Bester Film“ und geht demnächst als slowenischer Beitrag ins Rennen um den Oscar. Besonderheiten dabei sind sein humoristischer Ansatz und die multiperspektivische Erzählweise.

Zu erleben ist eine Blaskapelle aus der Industriestadt Zagorje ob Savi, die sich auf ihre alljährliche Tournee ins benachbarte Österreich begibt. Für diese Reise wird ein moderner Bus mit Chauffeur angemietet. Im Frachtraum landen die Instrumente und, nicht zu vergessen, jede Menge Flaschen Weißwein und Mineralwasser. Aus diesen Zutaten wird der „Špricer“ gemixt – das slowenische Nationalgetränk. Alkohol spielt neben den Musikern und ihren Familien die Hauptrolle in Luzars nordbalkanischer Tragikomödie.

Ausgehend vom sorgengekrümmten Bus-Kapitän Rajko und seinem sentimentalen bosnischen Beifahrer Emir fächert sich nach und nach diese Reisegesellschaft auf – soziale, kulturelle und ethnische Fallhöhen werden sichtbar. Auf den Stationen in Österreich tritt weiteres Personal auf, legt die kulturellen Missverständnisse und Minderwertigkeitskomplexe bloß. Eine lange Rückblende zeigt zudem die daheim zurückgelassenen Frauen: ihre Sorgen mit rebellischen Kindern und dementen Eltern, die neoliberalistische Mehrfach-Ausbeutung und ihre verzweifelten, inkonsequenten Ausbruchsversuche.

Matevz Luzar spielt in „Orkester“ viele Einzeltöne an, vermag aber stets, die großen Zusammenhänge im Auge zu behalten. In 111 Minuten erzählt er eine ganze Menge. Den Höhepunkt bildet die Einquartierung zweier Musiker bei einem frömmelnden Gastgeberpaar. Wie hier mit wechselseitig verschränkten Klischees jongliert wird, verrät nicht nur hohes inszenatorisches Talent. Diese Art von Humor zeugt von einem zutiefst humanistischen Ansatz: Er kommt ganz ohne Denunziation seiner Figuren aus.

Orkester läuft am 5. Januar im Kino Krokodil