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Der vielleicht beste Netflix-Content für Silvester: die spanische Serie Smiley

Bilanz ziehen, Pläne schmieden, das Leben und die Liebe endlich auf die Reihe kriegen: Darum geht es in der spanischen Netflix-Serie Smiley.

Szene aus der Netflix-Serie „Smiley“
Szene aus der Netflix-Serie „Smiley“Netflix

Bruno überlegt lange, was er in der ersten SMS schreiben soll. Der Architekt hat am Abend zuvor den Barkeeper Álex kennen gelernt, es war ein romantisches Blind-Date und jetzt möchte er ihn gern wiedersehen. Nach langem Überlegen zuhause auf der Couch, während er den Hund streichelt, schickt er ein Smiley, jenes Ur-Emoticon, das doch eigentlich nur ausdrücken soll, dass gerade alles ganz gut ist.

Keine überschwängliche Freude, aber eben doch ein grundpositives Gefühl. Wenn Álex ihn richtig versteht, dann liest er darin vielleicht schon die erste Liebeserklärung? Doch Álex weiß nicht so recht, was ein einzelnes Smiley bedeuten soll und antwortet nicht. So beginnen die beiden Männer für sehr unterhaltsame acht Folgen umeinander herum zu tanzen.

„Smiley“ ist eine spanische Netflix-Produktion, die sich rund um das schwul-lesbische Leben in Barcelona dreht – und zwar an den letzten Wochen des Jahres. Neben den beiden Protagonisten geht es außerdem um ein Lesbenpaar, das im verflixten siebten Jahr kurz vor der Trennung steht, ohne es zu merken – es gibt ein Hetero-Paar, dass im Kinder-Stress vergessen hat, warum sie geheiratet haben und außerdem gibt es auch mehrere Personen die älter als 60 Jahre sind und die ebenfalls einander jede Menge großer Gefühle gestehen dürfen. Um nichts anderes geht es doch in der Zeit zwischen den Jahren: Bilanz ziehen, Pläne schmieden, Kraft schöpfen für das, was kommt.

Und so spielt die Geschichte um die beiden verhinderten Verliebten Álex (Carlos Cuevas) und Bruno (Miki Esparbé) auch passenderweise in diesem Jahr 2022, auch wenn bei den Dreharbeiten all die schrecklichen Ereignisse zwischen Krieg und Inflation noch nicht eingeschlagen haben konnten. Trotzdem ist es dem Team rund um das Regieduo David Martín Porras und Marta Pahissa gelungen, eine unterhaltsame und am Ende sehr anrührende Geschichte über das Kennenlernen im 21. Jahrhundert zu erzählen.

„Smiley“ beruht auf einem Theaterstück von Guillem Clua

Ein besonderer Kniff, der zwar nicht neu ist, aber sehr konsequent umgesetzt wurde, ist das Einbauen von SMS und Sprachnachrichten. So beginnt diese Liebesgeschichte nur, weil Álex die falsche Telefonnummer wählt und eine viel zu lange und verärgerte Sprachnachricht bei Bruno landet. Als sich die beiden dann kennenlernen, springt zwar sehr ein Funke über (#Abstellkammer), aber bei beiden setzt sich auch der Gedanke fest, dass sie vielleicht einfach zu unterschiedlich sind: Der Fitness-Fan Álex und der Liebhaber klassischer Hollywood-Filme Bruno – kann das gutgehen? Auffällig ist auch die Vorliebe der beiden Regisseure für den Split-Screen. So können sie zwei Lebenswege gleichzeitig zeigen und noch eine SMS einblenden.

Der Stoff beruht auf dem mehrfach aufgeführten Theaterstück von Guillem Clua, von dem auch das Drehbuch stammt. Den Stoff als Serie zu adaptieren, funktioniert, hat aber eben Schwächen, weil auf so einer langen Strecke nicht nur originelle Ideen in den Kopf kommen: Dass die Eltern der lesbischen besten Freundin sieben Jahre lang nicht mitbekommen haben, dass ihre Tochter eine Partnerin hat und mit ihr zusammenlebt? Haben sie sich einmal die Frisur ihrer Tochter angeschaut? Auch die Rolle der alten einsamen Tunte, die eine Schwulenbar führt und am Wochenende ein glitzerndes Frauenkleid anzieht, zeugt nicht gerade von langen Brainstorming-Sitzungen.

Doch insgesamt entsteht der angenehme Eindruck, das sich hier Menschen mit ihrem Thema gut auskannten: Denn die Einsamkeit von LGBTQ-Menschen gerade zum Jahresende ist eines, das bisher nur selten in Filmen oder Serien auftaucht – und auf jeden Fall nicht derart bunt und lebensbejahend umgesetzt wurde. Wenn der Plot hin und wieder Längen hat, gleicht das die liebevolle Figurenzeichnung aus. Auch die Idee, Álex und Bruno einander immer wieder in der Innenstadt von Barcelona begegnen zu lassen, ohne dass sie es merken, ist in seiner Zurückhaltung genauso wirkungsvoll, wie Álex’ ständig wiederkehrender Traum von einem roten Faden, der zu Bruno führt.

Silvester in Spanien: Zwölf Weintrauben an Mitternacht

Der Höhepunkt von „Smiley“ ist übrigens nicht in der letzten Folge, die gekonnt das Happy End abschnurrt und einen Monolog enthält, bei dem jeder weinen muss, der einmal eine Dating-App benutzt hat. Doch in der siebten Folge feiert Barcelona das Ende des Jahres 2022. Wieder beginnt alles mit einem Missverständnis am Telefon, aber am Ende stehen alle Protagonisten zusammen in einer Bar und essen nach spanischer Tradition zwölf Weintrauben, eine pro Glockenschlag um Mitternacht. Und am Ende dieses vielleicht schönsten Silvester-Contents auf Netflix hat sich der Plot entscheidend gedreht, und jetzt dürfen dann auch einmal Heteros kurz heiß und innig werden – in der Abstellkammer einer Homobar, wo sonst?

Vier  von fünf Sternen