Laura liefert sich ins Sanatorium ein. Mit kleinem Gepäck bezieht sie Quartier in einem Zimmer mit Ausblick auf Wiesen und Bäume. Die Angestellten sind verständnisvoll, das Haus bietet gediegene Hospitalisierung für die bundesdeutsche Mittelklasse der beginnenden 70er-Jahre. Die Frau will ihre Tablettensucht loswerden. Doch will sie dies wirklich? Ihre Off-Stimme verkündet etwas zu aufgesagt, dass sie sich künftig wieder besser „in der Leistungsgesellschaft bewähren“ möchte. In einem ruhigeren Moment bezeichnet die Patientin sich selbst als „außenweltkrank“, was glaubhafter klingt.
Die Außenwelt jedenfalls drängt auch in diesem Refugium weiter auf sie ein, in Form von Flashbacks, aber auch durch konkretes Personal. Ihr besorgter Ex-Gatte, der deutlich ältere Gelegenheitspartner sowie ein wesentlich jüngerer Lover geben sich die Klinke in die Hand. Als Laura nach ein paar Wochen in den Kreislauf der „Normalität“ zurückkehrt, ist die Hoffnung auf einen Neubeginn kaum noch spürbar. Das Fernsehspiel „Entziehung – Ein Tagebuch“ hatte bei seiner Ausstrahlung am 6. Juni 1973 mehr als zwei Millionen Zuschauer. Was neben dem brisanten Thema auch mit der Besetzung und Autorenschaft in Personalunion durch Gabriele Wohmann (1932–2015) zu tun hatte. Sie war damals als Verfasserin von Gedichten, Romanen, Erzählungen, Essays und Hörspielen eine der bekanntesten Schriftstellerinnen westlich der Elbe, galt als gnadenlose Analystin des entfremdeten Beziehungsklimas im späten Wirtschaftswunderland. Dass sie dort auch die Bewegtbild-Entwicklung wesentlich mitgeprägt hat, wird jetzt durch eine kleine Filmreihe in Erinnerung gebracht.
Geschichten über unentschlossene Frauen
Bereits mit ihrer ersten Arbeit für den Bildschirm schrieb Wohmann Fernsehgeschichte. „Das Rendezvous“ war 1965 eines der frühesten deutschen, von einer Frau verfassten TV-Szenarien. Als literaturwissenschaftlicher Begriff der „Neuen Innerlichkeit“ erst später in Mode gekommen, nahm Wohmann deren Methoden hier mutig vorweg: strikt subjektive Perspektiven, assoziative, ja phantasmagorische Einschübe, dabei nie auf ein moralisierendes Finale zulaufend.
Auch „Rendezvous“ erzählt von einer unentschlossenen Frau. Die Gattin eines erfolgreichen Werbefachmanns beginnt aus Frustration eine Affäre, weiß aber selbst nicht, ob sie dieses Abenteuer ernst nehmen soll oder nicht. Dem Drängen ihres ungeduldigen Quasi-Liebhabers zischt sie einmal entnervt entgegen: „Ich mag Leidenschaft nicht!“ Die vermurkste Beziehung wird zudem von irritierenden Nebenhandlungen flankiert. Keine der Linien findet dabei ihre klassische „Auserzählung“, mehrere Enden bleiben offen. Sie zeugen so, ästhetisch konsequent, von allgemeiner Entkopplung und Haltlosigkeit. In diesem bis heute sehenswerten Film schwingt etwas vom skeptischen Aufbruch der osteuropäischen Neuen Wellen jener Zeit mit. In Regisseur Thomas Fantl, 1928 in Prag geboren, wusste Wohmann spürbar einen adäquaten künstlerischen Partner.


