In der Welt, in der man tanzt, singt und performt, war Harry Belafonte ein leuchtender Stern, der über jegliche Grenzen hinweg zu schweben schien. Das waren zunächst einmal die Grenzen zwischen Ländern und Kontinenten. Als Sohn eines aus Martinique stammenden Matrosen und einer jamaikanischen Hilfsarbeiterin wurde er 1927 in Harlem, New York geboren. Nicht gerade Herkunftsmerkmale, die eine große Aufstiegs- und Showkarriere erahnen lassen.
Der Ausweg aus dem New Yorker Ghetto verlief über die alleinerziehende Mutter und deren jamaikanische Heimat, wohin sie mit Harry und dessen zwei älteren Brüdern zu ihrer Familie zurückkehrte. Eine von vielen Zwischenstationen.
Nur vier Jahre später, 1939, versuchte die Mutter erneut, in New York Fuß zu fassen. Ihrem Jüngsten ermöglichte sie den Besuch der George Washington High School, aber die Orientierungsphase für ein späteres Leben fiel aus. Kurz nachdem die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, ging der junge Harry zur Navy, um Demokratie und Vaterland gegen den deutschen Nationalsozialismus zu verteidigen.
Zeit seines Lebens strahlte Harry Belafonte Souveränität und Leichtigkeit aus
Fast scheint es, als hätten die Wechsel zwischen Welten und Milieus auf den jungen Harry Belafonte stabilisierend gewirkt. Zeit seines Lebens strahlte er eine Souveränität und Leichtigkeit aus, ein Charisma, das seine Wirkung bereits zu entfalten begann, noch ehe er sich bewegt hatte oder die Zuhörer einen Ton von ihm vernommen hatten. An den richtigen Lehrern und Begleitern mangelte es nicht. Nach Kriegsende nahm er an einem Schauspiel-Workshop teil, der von dem deutschen Theatergenie Erwin Piscator geleitet wurde, gleich nebenan studierten Marlon Brando, Tony Curtis und Walter Matthau.
RIP the legendary Harry Belafonte, 96
— TrivWorks (@TrivWorks) April 25, 2023
Will forever associate him with this pic.twitter.com/35kVyJPW99
Vom Fahrstuhlführer zum Showstar, die Kurzbiografie Harry Belafontes liest sich wie ein Aufsteigermärchen in einem Land, das weder Diskriminierung nach Rassentrennung kennt. Natürlich war es ganz anders. Am Ende seines langen und erfolgreichen Lebens zog er in seiner Autobiografie eine frappierend versöhnliche, zugleich aber auch ernüchternde Bilanz: Über sein eigenes Leben könne er sich nicht beklagen. „Dennoch scheinen die Probleme, mit denen die meisten farbigen Amerikaner konfrontiert sind, genauso schlimm und tief verwurzelt zu sein wie vor einem halben Jahrhundert.“

Die amerikanische Unterhaltungsindustrie gefiel sich in den 1950er-Jahren in einer polyglotten Weltläufigkeit, in der Harry Belafonte dank seiner multiplen Talente als Calypso-Sänger reüssierte. Schnell bekam er eine eigene TV-Show. Harry Belafonte war neugierig genug, über die eigenen Karriereambitionen hinauszublicken. Er hielt nach Talenten Ausschau und bot ihnen Auftrittsmöglichkeiten in seiner Show. Die fünf Jahre jüngere südafrikanische Sängerin Miriam Makeba startete über die Belafonte-Show eine Weltkarriere, und das „schmuddelige Phänomen“, wie Joan Baez den jungen Bob Dylan nannte, erhielt seine ersten Engagements als Mundharmonikaspieler bei Plattenaufnahmen von Harry Belafonte.
Belafonte engagierte sich in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung
Der Erfolg machte ihn nicht blind. Aufgrund seiner Vielseitigkeit mag sein Karriereverlauf rückblickend als ein wenig unbestimmt erscheinen. Falls er nicht immer gewusst haben mochte, wohin er wollte, wusste er doch sehr genau, woher er kam. Als engagierter Künstler marschierte er in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung an der Seite von Martin Luther King und James Baldwin, zur Überwindung der Rassentrennung wusste er zudem die Möglichkeiten seiner Branche einzusetzen. Eine katalysierende Wirkung hatte ein Auftritt mit der britischen Sängerin Petula Clark im Fernsehsender NBC, der zwischen Skandal und dem Beweis changierte, dass ein Schwarzer und eine Weiße eine gemeinsame musikalische Botschaft vertreten können.
Harry Belafontes Karriere war stark davon geprägt, ein nichtweißer amerikanischer Künstler zu sein, trotzdem betrachtete er seine Blackness weder als Berufung noch als programmatisches Ziel. Zusammen mit Julie Andrews sang er das Lied „Mr. Bojangles“, ein Song des Country-Sängers Jerry Jeff Walker, der von einem gestrauchelten Tänzer handelt, der allein in seiner Kunst ganz zu sich kommt. Im Lied ist Bojangles ein Weißer, tatsächlich ist es jedoch der Beiname des schwarzen Tanzstars Bill Robinson, der trotz seiner steilen Karriere in den 40er- und 50er-Jahren ebenfalls unter der Rassentrennung zu leiden hatte. In der gegenwärtigen Diskussion über kulturelle Aneignung kam Sammy Davis Jr. und Harry Belafonte die Anerkennung zuteil, durch ihre Versionen des Liedes Bojangles wieder zu einem schwarzen Tänzer gemacht zu haben.

