Einmal im Jahr fühle ich mich ganz besonders talentiert, kann mit ein bisschen Glück in die Zukunft blicken. Und gerade ist sie wieder da, meine Talentzeit. Wenn Sie also jetzt Lust auf einen Städtetrip ohne (nervige) Menschenmassen haben, empfehle ich für Freitag, den 23. Juni 2023, Malmö, Göteborg oder Stockholm. An diesem Tag werden Sie dort kaum Einheimische treffen, die Straßen leer genießen können. Das fühle ich.
Ehrlich gesagt, weiß ich das auch. Denn kommendes Jahr am 23. Juni feiert Schweden – wie auch am jetzigen Wochenende – midsommar. Kaum ein Fest wird im größten Land Skandinaviens intensiver gefeiert als die Sommersonnenwende, bei kaum einem Fest zieht es Schwedinnen und Schweden häufiger raus in die Natur. Dabei spielt keine Rolle, dass der längste Tag des Jahres ja eigentlich immer am 21. Juni ist – gefeiert wird immer am nächstliegenden Freitag.
An Mittsommer wird in Schweden, anders kann es nicht gesagt werden, ordentlich gepichelt, dazu völlig abstrus um die Mittsommerstange getanzt. Vielleicht zieht es die Massen auch deshalb in ihre stugor – Wochenendhäuser – aufs Land, fast jede Familie hat eins. Betrunken unter Freundinnen und Freunden blamiert es sich doch gleich ein bisschen weniger.
Dabei bechert Schweden nicht ähnlich banal wie Deutschland, grölende Massen mit Bollerwagen sucht man vergeblich. Gegrölt wird – irgendwie – aber auch. Denn vor jedem Schnaps wird ein Schnapslied angestimmt; so wird sich zumindest offiziell nicht grundlos betrunken, stattdessen gemeinsam musiziert. Mit ein bisschen Alkohol für die Stimmbänder.
Schwedische Trinklieder: Wer keinen Ganzen trinkt, kriegt auch keinen Halben
Das bekannteste Schnapslied „Helan Går“ heißt übersetzt „Der Ganze geht“ und spielt auf den Schnaps im vollen Glas an. Feuchtfröhlich fordert man zwischen Erdbeeren, Hering und Kartoffeln also zum „Exen“ auf, denn wer den Ganzen nicht trinke, habe auch keinen Halben mehr verdient. Die gesungene Version von „Nicht groß schnacken, Kopp in Nacken“, nur in elegant.
Ganze trinkt man im Laufe der Freitagsfeierlichkeiten übrigens viele. Vielleicht auch, weil man im Laufe des Tages viel Mut braucht, den man nüchtern mitunter nicht aufbringen kann. Als ich vor Jahren das erste Mal an der Westküste feierte, mir Freundinnen und Freunde einige der Traditionen erklärten, war ich überzeugt, dass sie beim „Tanz der Frösche“ maßlos übertreiben mussten.
Dabei tanze man nämlich um die Maistange, hüpfend wie ein Frosch, und singt (schon wieder) über „die kleinen Frösche“, die keine Schwänzchen hätten, auch keine Öhrchen, aber eben dennoch lustig anzuschauen seien. Der Refrain des Lieds würde dabei Froschgeräusche machen, bei jedem Schwänzchen oder Öhrchen im Text müsse man wild gestikulierend die fehlenden Ohren, den fehlenden Schwanz am eigenen Körper zeigen. Als ich dann nach vier Aquavit hüpfend um die Maistange auf mein fehlendes Schwänzchen zeigte, wusste ich einerseits, an diesem Tag kann in Schweden alles passieren, und anderseits, dass ich genau deshalb noch einen fünften brauche.
Die Hitzewelle aus Deutschland macht jetzt aber auch Halt in Schweden. Es wird wahrscheinlich das wärmste Mittsommerwochenende seit mehr als fünf Jahrzehnten. So richtig daran geglaubt hat im Vorfeld kaum jemand. Traditionell stellt man sich besonders hier an der Westküste zur Sommersonnenwende eher auf Regen ein.
Ob das für mich als Deutsche so gut ist, ich weiß es nicht. Bei Regen hatte ich bei den Tanzeinlagen in den vergangenen Jahren wenigsten immer eine gute, wenn auch offensichtliche Ausrede. Nun gilt aber: Je besser das Wetter, desto öfter bin ich ein Frosch ohne Ohren. Ich kaufe lieber noch eine Flasche Aquavit, skål!


