Auf dem Weg zur Wintergarten-Premiere „Varieté Gaga“ vor ein paar Tagen lese ich eine Seite in der Berliner Zeitung über Gegensätze der Potsdamer Straße (14. März). Ah, interessant, denke ich – wie wird wohl ein junger Autor, der sich der Galerienszene der Gegend widmet, auf den alten Wintergarten blicken? Der ist der Fixpunkt dieser Straße – haushoch erleuchtet, mit einem glitzernden Vordach strahlt das Etablissement jedem von weitem entgegen – egal ob man sich vom Schöneberger Ufer nähert oder von der Kurfürstenstraße.
Das Varieté-Theater, 1992 eröffnet, zählt zum Kulturkanon der Stadt. Es läuft ohne jede Subvention, ist aber einer der schönsten Theaterräume der Stadt – mit Sternenhimmel, Open-Air-Hof und den schärfsten Glamour-Klos Berlins. Täglich empfängt es bis zu 500 Gäste, löst einen kleinen Straßenstau aus. Vorher war hier das Quartier Latin, es spielten Rio Reiser, Nina Hagen, Udo Lindenberg und Silly.
Es gab also keineswegs nur Hausbesetzer, Kriminalität und Prostitution, bevor die Galeristen in die Hinterhöfe zogen, wie der Autor über die Straße räsoniert. Man erfährt ein wenig über die Ansprüche der Galeristen, ihre Angebote, erwähnt wird ein rosa Designer-Kuscheltier-Schwein. Sonst spielen Hässlichkeit und Tristesse der Straße eine Hauptrolle. Das Varieté wird so erwähnt: Beim Blick nach draußen „sieht man Müll und den Wintergarten“.
Sensationen und Applausstürme
Ich will ergänzen, dass mir der Müll verborgen blieb. Er war nicht da oder wurde vom Varieté-Glanz überstrahlt, egal. Nun ein rascher Sprung weg von der Tristesse, rein ins Vergnügen. Denn die jüngste Inszenierung (Rodrigue Funke) verdient radikale Bewunderung: eine Nummernshow, in der der britische Exzentriker Jack Woodhead zwar nur akrobatische Sensationen präsentiert, aber mit so viel Witz und Drive, dass das Publikum Applausstürme ausschüttet.
Nicht nur für die ukrainische Architekturstudentin Ameli Bilyk (19), die auf einem dünnen Schlappseil einarmig Handstand macht, während sie mit zwei Beinen und einem Arm jongliert, unglaublich. Auch für die krassen Motorradfahrer, die durch eine Metallkugel von nur 3,80 Meter Durchmesser im Kreis jagen, ohne anzustoßen. Selten so gestaunt. Chapeau!

