Kolumne

Verhaltensfrage: Darf ich gegen den Willen des Toten zur Beerdigung gehen?

Was man zu Lebzeiten nicht geklärt hat, wird man danach nicht mehr klären. Schon, weil die Kommunikation zwischen Jen- und Diesseits unsicher ist.

Wer erst einmal im Grab liegt, kann sich nicht gegen Besuch wehren.
Wer erst einmal im Grab liegt, kann sich nicht gegen Besuch wehren.Imago

Je länger man auf der Erde weilt, desto näher rückt der Gedanke des Todes. Und weil es nicht sonderlich weiterhilft, sich ein schwarzes Nichts vorzustellen oder ein weißes Rauschen, andererseits aber die bildreicheren Jenseitsvorstellungen auch nicht so recht verfangen wollen, bindet man seine postmortalen Zukunftsvisionen eher an etwas Konkretes, das sich erledigen lässt – indem man für seinen Abschied und die damit einhergehenden Obliegenheiten vorsorgt.

Geizen mit der Zeit

Die reich ausgemalte Vorstellung der eigenen Beerdigung, der überwältigenden Anteilnahme ihrer Besucher, unter anderem der vor Trauer und schlechtem Gewissen kollabierenden Mutter, die einen zu Lebzeiten unausgesetzt für das nicht aufgeräumte Kinderzimmer kritisiert hat, kennt man vielleicht schon aus jungen Jahren. Mit den Jahrzehnten und den verschiedenen Zusammenhängen, in die man gerät, erweitert sich der Bekanntenkreis und leider steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass man an solche Personen gerät, die man nicht ausstehen kann.

Das merkt man nicht immer gleich, aber spätestens beim ersten Konflikt. Auch Konflikte sammeln sich an, und die meisten bleiben ungelöst. Weil sich parallel die Spanne des verbleibenden Lebens verkürzt, wird man geizig mit seinem Zeitetat. Es ist ein Akt der Selbstbestimmung und der Glücksökonomie, dass man immer souveräner und schneller erkennt, was für Typen einem die Energie absaugen, um diese immer kühler auszusortieren.

Was aber, wenn derjenige sich nicht aussortieren lassen will? Der grandiose Film „The Banshees of Inisherin“ erzählt davon: Colm (Brendan Gleeson) will von Pádraic (Colin Farrell) nichts mehr wissen, weil er ihn langweilig findet. Und um das klarzumachen, schneidet sich Colm einen Finger nach dem anderen ab, sobald Pádraic an seinem Horizont erscheint.

Solche Zeichen geraten möglicherweise missverständlicher und uneindeutiger, wenn man sie aussendet, nachdem man gestorben ist. Beispiele gelungener postmortaler Kommunikation sind vergleichsweise selten und schwer zu verifizieren. So ist zu verstehen, dass so mancher noch zu Lebzeiten verfügen will, wer zur Trauerfeier kommen darf und wer auf keinen Fall. Denn wer sich von abgeschnittenen Fingern nicht abhalten lässt, der weiß auch den Sinn von Traumbesuchen, Schreck- und Spukphänomenen zu ignorieren.

Die Frage bleibt, ob eine solche Ausladung verbindlich ist. Der Tote selbst kann sich nicht wehren, und die Macht derer, die seinen letzten Willen durchsetzen wollen, ist nicht unbegrenzt. Der Mensch gehört schon im Leben nicht sich selbst allein, vielleicht erst recht nicht als Toter. Die Verbindungen, die er eingegangen ist und die er schon als Lebender nur bis zu einem gewissen Punkt steuern konnte, weil es schließlich immer mindestens eine zweite beteiligte Seite gibt, werden durch den Tod geschieden – also durch etwas Drittes.

Nur Gutes über Tote

Damit gehen Tabus einher, etwa das, dass man über Gestorbene nichts Schlechtes sagen sollte. Denn damit sind sämtliche Konflikte für beendet erklärt. Für beendet erklärt heißt nicht: gelöst. Dem Wunsch des Toten, den Konflikt mit ins Grab zu nehmen, kann also nicht stattgegeben werden. Aber ebenso wenig kann man sich mit einem Toten versöhnen. Da nützt es dem gehassten Hinterbliebenen auch nichts, sich an den Sarg zu stellen, Blumen, Erde und Tränen in sein Grab zu geben oder sich gar mit dem Toten einzubuddeln. Aber nur weil es sinnlos ist, muss man es nicht verbieten.