Krieg in der Ukraine

Silly-Musiker Hassbecker: „Putins Krieg gilt eigentlich uns“

Silly-Gitarrist Uwe Hassbecker schreibt über seine Konzerterfahrungen in Osteuropa und darüber, wie er den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erlebt.

Spuren eines Bombenangriffs in einem Wohngebiet in Kiew.
Spuren eines Bombenangriffs in einem Wohngebiet in Kiew.AP/Vadim Ghirda

Sprachlos? Ja, wir sind sprachlos seit einiger Zeit. Es ist nicht leicht, sich gerade ein objektives Bild zu machen. Und überhaupt, was heißt schon objektiv …? Ist es besser, erst mal nichts zu sagen als etwas Haltloses? Gedanken ordnen. Was ist überhaupt los, was passiert da auf einmal? Hat die Welt mit Corona-, Klimakrise und Ähnlichem seit ein paar Jahren und für die nächste Zukunft nicht schon mehr als genug existenzielle Probleme zu lösen? Haben denn nicht alle Menschen schon ausreichend darunter gelitten?

Mir fällt es schwer, dieser Tage die richtigen Worte zu finden. Inzwischen verdichten sich aber mehr und mehr die Bilder und Meldungen, und es wird langsam, aber sicher klar, dass wir uns in einer der größten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg befinden. Um es genau zu sagen, am Rande zum Dritten Weltkrieg. So weit am Rand wie noch nie in meinem, in unserem Leben. So sieht es aus, und das ist die erschreckende Wahrheit!

Für Putin gibt es kein Zurück mehr

Begleitet werden meine Gedanken tagtäglich vom opportunistischen Gesäusel manch deutscher Politiker in diversen Talkshows, die bis vor kurzem noch nach den fetten Geschäften mit Wladimir gelechzt und sich und uns doch so in Sicherheit gewogen haben. Eine trügerische Sicherheit, für die wir heute und in Zukunft alle bezahlen werden müssen. Das ist sicher schlimm, aber weiß Gott nicht das Schlimmste.

In der Ukraine geht im Moment das ab, was eigentlich uns meint. Putins, oder genauer Russlands Krieg in der Ukraine ist nur eine Demonstration dessen, was eigentlich dem Westen gilt und was uns möglicherweise noch erwartet. Dabei fällt mir gerade auf – schwuppdiwupp bin ich mittendrin im Westen und kein „Ostrocker“ mehr. Alle, auch die standhaftesten „Ossis“ sind seit jetzt Wessis! Kleiner Scherz am Rande, Galgenhumor sozusagen ...

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Der Musiker
Uwe Hassbecker, 1960 in Leipzig geboren, spielt in der legendären Ostrockband Silly Geige und Gitarre. Hassbecker stieß Mitte der 80er-Jahre zu Silly, die nicht zuletzt durch die legendäre Sängerin Tamara Danz, mit der Hassbecker liiert war und die er ein halbes Jahr vor deren Tod 1996 heiratete, eine prägende Formation der Popmusik in der DDR war.
Uwe Hassbecker hat sich auch einen Namen als Produzent gemacht. Zusammen mit Rüdiger „Ritchie“ Barton, mit dem Hassbecker viele Silly-Songs komponiert hat, betreibt er seit einigen Jahren das Danzmusik-Studio am Stadtrand von Berlin.

Ich bin davon überzeugt, dass Putin eine Konfrontation mit der Nato geradezu provozieren will. Sein stoisch-aggressives Verhalten lässt überhaupt keinen anderen Schluss zu. Ihm bleibt kein Weg mehr zurück. Welcher ehrliche Demokrat, welcher ernst zu nehmende Politiker aus der westlichen Welt wird sich denn mit diesem skrupellosen Diktator noch an einen Tisch setzen können oder wollen, ohne sich selbst beinahe die Zunge abzubeißen? Ein Präsident, der wie im Wahn lügt, dass sich die Balken biegen und der bereit ist, ein ganzes Land zu unterjochen und das Leben Zigtausender Menschen aufs Spiel zu setzen. Was heißt, „er ist bereit“? Er hat bereits das Leben Zigtausender, auch seiner eigenen Landsleute auf dem Gewissen. Sinnloses Blutvergießen und Zerstörung ganzer Städte, die so manche Russen vielleicht mal selbst mit aufgebaut haben. Im „Bruderland“! Ja, es stimmt, die Ukraine und Russland haben eine enge gemeinsame Geschichte. Auch aus diesem Grund konnte sich wahrscheinlich sehr lange so gut wie kein Ukrainer vorstellen, dass Putin seine Drohung wirklich wahr macht, einmarschiert und Bomben auf ukrainische Städte und Menschen wirft.

Ein Präsident, aus dessen Mund öffentlich diese Worte kommen: „Man spuckt sie aus wie eine Mücke, … man spuckt sie auf den Asphalt.“ Gemeint sind einfach nur Andersdenkende, Oppositionelle, die in Russland grundsätzlich mit drakonischen Strafen zu rechnen haben, wenn sie nicht gar gleich umgebracht werden. Ein „falscher“ Satz, ein kleines Plakat, schon das Wort „Krieg“ im Zusammenhang mit der Ukraine reicht aus. In der gleichen Rede spricht er von Ländern wie unserem, „... Länder, die auch in Europa dienerhaft und unterwürfig die Entscheidungen ihrer Herrscher hinnehmen und ihnen unterwürfig in die Augen schauen …“.

Spätestens an dieser Stelle komme ich nicht um die Frage herum: Ist der verrückt geworden? Wladimir Putin selbst hat sich umgeben mit einer Handvoll Leuten, die dienerhaft alle Entscheidungen ihres Herrschers hinnehmen und ihm dabei unterwürfig in die Augen schauen, wenn sie sich das denn überhaupt trauen. Aggressiven Kampfhunden soll man ja auch besser nicht direkt in die Augen schauen. Er ist der Präsident eines Landes, in dem heute mehr denn je die Angst vorm Geheimdienst, der Polizei und der Obrigkeit alles überschattet. Lichtjahre von demokratischen Strukturen entfernt. Die Justiz korrupt, die staatlichen Medien von ihm gesteuert, Oppositionelle unterdrückt, im Knast oder besser gleich vergiftet.

Eine Taube am Roten Platz in Moskau.
Eine Taube am Roten Platz in Moskau.AP

Ich bin überzeugt: die Russen wollen den Krieg nicht

Ich bin kein Arzt, aber meines Erachtens ist Putin jemand mit einer schweren Persönlichkeitsstörung. Aufgrund seiner Position der gefährlichste Narzisst der ganzen Welt und somit meilenweit sogar vor Trump. Noch vor einigen Jahren war ich hier und da bei Diskussionen mit Freunden und Bekannten (unter denen auch Russen, die ihn als hemmungslosen Verbrecher dargestellt haben) ab und an geneigt, Putin bei bestimmten Punkten in Schutz zu nehmen. Spätestens jetzt wird mir klar, dass es Unsinn war und dass ich nicht verstanden habe. Mit jedem Tag liefert er mehr Argumente, ihm in keiner Weise zu folgen.

Vielleicht stimmt es ja, dass der Westen Putin nicht genau zugehört hat. Die Nato hat sich in der Tat im Rückblick nach 1989 Stück für Stück und Land für Land gen Osten erweitert und an Russland angenähert. Die massiven Bestrebungen der Ukraine, Nato- und EU-Mitglied zu werden, haben wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. Das ist auch eine Wahrheit, aber noch lange kein Grund für einen barbarischen, blutigen Angriffskrieg gegen die Nachbarn. Man hätte ahnen können, dass die Annexion der Krim 2014 nur eine erste Warnung war. Vielleicht haben es manche Staatsmänner sogar gewusst und ganz bewusst geschwiegen … Auch ein solches Schweigen ist eine Art Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weil es mit provoziert hat, was jetzt in der Ukraine geschieht.

Auf der Krim habe ich übrigens auch schon Musik gemacht, friedliche Musik. In den Achtzigern war ich wie einige meiner Kollegen auf mehreren langen Konzert-Tourneen in den Ländern der damaligen Sowjetunion unterwegs. Die Reisen führten uns durch etliche Gebiete und Kulturkreise, auch durch die Ukraine, das Baltikum, Belarus, Zentralrussland bis nach Asien. Zugreisen von bis zu drei Tagen über mehrere Tausend Kilometer waren keine Seltenheit. Natürlich waren die Eindrücke sehr verschieden, durchaus nicht nur positiv und sehr von den jeweiligen Kulturen geprägt. Was wir jedoch fast überall erfahren haben, ist eine sehr herzliche Gastfreundschaft der Menschen, die ich nie vergessen werde. Reiche Leute gab es zu dieser Zeit in der SU nur selten und das Leben war oft von ziemlicher Armut geprägt. Einfache Leute, ehrliche Leute, die alles, was sie hatten, mit uns geteilt haben. Für mich im Rückblick viele eindrucksvolle und auch schöne Erinnerungen.

Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Russen diesen Krieg nicht wollen würden, wenn sie denn wüssten, was in Wahrheit vor sich geht. Über die besonnene Haltung des Westens und der Nato, die sich bislang gegen eine direkte militärische Konfrontation mit Russland richtet, bin ich übrigens sehr froh. Ich bin überzeugt, dass wenn diese rote Linie überschritten wird, ein atomares Szenario auf den Plan gerufen wird, was einer Apokalypse gleichkäme. Keinem Ukrainer wäre damit geholfen, auch nicht dem ukrainischen Botschafter in Deutschland. Ich bin sicher, dass symbolträchtige Städte wie Berlin, Dresden, Paris oder Kiew fest im Visier sind, wahrscheinlich aber auch Moskau und Sankt Petersburg. Bleibt zu hoffen, dass Wladimir Putin oder irgendjemand seiner Jünger realisiert, was da alles auf dem „Spiel“ steht, auch in seiner Heimat.

Das, was ich hier schreibe, ist natürlich alles eine Momentaufnahme und die Dinge ändern sich quasi täglich. Vielleicht irre ich auch in manchen Punkten, und ich möchte betonen, dass ich nicht den Anspruch habe, die Wahrheit gepachtet zu haben. Irren ist menschlich, Menschen machen Fehler. Das ist nicht schlimm, solange man in der Lage ist, sich das selbst einzugestehen und zu korrigieren.

Das hier aufzuschreiben war mir wichtig und vielleicht hilft es mir selbst ein wenig, dieses absolut surreale Geschehen besser zu begreifen ...