Am Anfang ist die Kunst, und zwar mit dem Wort, um beim alten Testaments zu bleiben. Sam Durant, Künstler der Haubrok-Collection, gibt an der Hauswand gleich nach dem Eingang zum Lichtenberger Kunst & Gewerbe-Hof den Leitgedanken: „Another World Is Possible“. Schwarz auf Rot in wackliger Schrift. Direkt davor hat die Bildhauerin Ana Prvacki ihr „Bienen-Memorial“ ins Gras gestellt: vier marmorne Grabsteine für das Bienensterben in der menschengemachten Öko-Krise.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, tröstet Hölderlin. Denn schräg gegenüber wächst ein Mini-Wald heran als langer Saum und Schutzwall hin zur lauten, staubigen Herzbergstraße: 8500 bienenfreundlich blühende Baumwinzlinge haben die Bewohner und Akteure der „Fahrbereitschaft“ zu Frühlingsanfang mit Freunden gepflanzt. Beuys hätte seine Freude daran. Und ums Eck hängt ein weißes Friedensfähnchen von Heimo Zobernig an der Hauswand.

Dass eine andere Welt als die jetzige krisen- und kriegsgeschüttelte möglich ist und wie das zu schaffen wäre, dafür wirbt die sonntags offene Schau der Haubrok-Sammlung in der Lichtenberger „Fahrbereitschaft“. Es ist Kunst, die zu denken geben will. Und mit „Consider Listening“ (Erwäge es zuzuhören) schließt sich ab 4. Mai immer sonntags eine dreiteilige Podiumsdebatten-Reihe an, wo es, so der Hausherr des Kunst- & Gewerbehofes, Axel Haubrok, „aufs Einanderzuhören ankommt. Ohne ideologische Scheuklappen. Mit Interesse, Respekt und Anstand gegenüber jeder anderen Meinung und Ansicht, ohne Verächtlichkeit.“ Es gehe, so setzt Barbara Haubrok hinzu, „um die Freiheit und Rolle der Kunst und Kultur, um dringliche Fragen der Zukunft in diesen oft ratlosen Zeiten, wo fast täglich eine neue Krise aufkommt“.
Die Berliner Zeitung ist Medienpartner dieses wahrlich komplexen Unterfangens, das just zum Berliner Gallery Weekend beginnt und wo es um die in letzter Zeit arg in Bedrängnis geratene Freiheit kritischen Denkens geht und um Cancel Culture: nicht nur mit antisemitischen Ressentiments bei Demos, an Berliner Universitäten, sondern auch, oft undifferenziert, in der hiesigen Kulturszene.

Auch die aktuelle Sparhammer-Politik des Senats, Ateliernot und das Aussetzen der Künstler-Honorare für Ausstellungen heizen die Stimmung fatal an. Am 4. Mai um 17 Uhr moderiert der Chefredakteur der Berliner Zeitung Tomasz Kurianowicz die Diskussion „Braucht Berlin noch Kultur“, an der die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss, Berlins ehemaliger Kultursenator Klaus Lederer und der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller teilnehmen.
„Man muss offen miteinander reden, ohne Wut und Hass“, sagt Axel Haubrok. Darum zeigen er und seine Frau Barbara diese Ausstellung mit politischer Kunst, die auf der Biennale Venedig, der Documenta, auf Berlin Biennalen zu sehen war, über die debattiert wurde. Der ganze Erzählstrang von Skulpturen, Installationen, Fotografien bildet nach dem Willen des Sammlerpaares „den Background für faire Debatten über Kultur und Gesellschaft insbesondere in unserer Stadt Berlin“.

Gesprächspartner sind Künstler, Schauspielerinnen, Schriftsteller, Wissenschaftlerinnen, Medienleute. Sie diskutieren mit Politkern und Kulturförderern. „Wenn die Zivilcourage zur offenen Meinungsäußerung fehlt, gefährdet das die Demokratie“, sagt Axel Haubrok. Und gerade vom östlichen Stadtbezirk Lichtenberg her, wo es keine Polit-Zentralen, Musentempel und Galeriemeilen gibt, glaubt der Sammler, könnten Kunst und sachliche Gespräche dabei helfen, Lösungen zu finden.
Friedliche Lösungen, welches Zauberwort: Die Haubroks sind ja in gewisser Weise selbst „Betroffene“. Seit 40 Jahren Sammler einer noch immer wachsenden Kollektion des Who's who internationaler Konzeptkunst, zogen sie 2008 aus Düsseldorf nach Berlin, gründeten ihre Foundation. Und starteten 2013 mit Verve im ruppigen Lichtenberger Industriegebiet Herzbergstraße ein Projekt für Kunst und Handwerk. Auf dem 18.000-Quadratmeter-Areal des ehemaligen Fuhrhofs der DDR-Regierung wurden bis 1989 die Tatras, Tschaikas, Ladas und Volvos der SED-Natschalniks betankt, repariert, geputzt. Nun gibt es dort eine hierzulande beispiellose Allianz aus Kunst und Gewerbe. Die Inspiration kam dem Paar – er Westfale und aufgewachsen in der väterlichen Kfz-Meisterwerkstatt, sie gebürtige Berlinerin und Designerin – beim Besuch eines Kreativprojekts in Kalifornien, als an Donald Trump noch nicht zu denken war.

Über 5 Millionen Euro steckte das Sammlerpaar in die Sanierung des heruntergekommenen Geländes, in Heizung, Belüftung, den Bau einer Bilderrahmen-Werkstatt. Das Pförtnerhaus ist zum Büro der Foundation geworden. Seit zwölf Jahren also arbeiten im Lichtenberger Nordosten knapp 70 bildende Künstlerinnen und Künstler, Architekten, Bühnenbauer, Rahmenbauer, Tänzerinnen, Musiker, Bootsbauer zu moderater Miete in den Garagen-Ateliers, Proberäumen und Werkstätten Tür an Tür mit Kfz-Meistern, Mechatronikern, Reifenwerkern, Lackierern, Elektrikern.
Seit zwölf Jahren proben die Haubroks auch die „Kunst des Duchhaltens“. Denn die Gewerbe-Amts-Bürokratie verbietet (bei einer im Jahr 2020 angedrohten und seither nicht zurückgenommenen hohen Geldstrafe), dass die Besitzer auf ihrem eigenen Gelände eine dringend benötigte Leichtbauhalle für Kunstausstellungen bauen lassen. Expositionen in den alten Räumen des Fuhrhofs, wie aktuell die ausgesprochen politische Schau zu den Podiumsdebatten „Consider Listening“, müssen vom Bezirksamt eine Sondergenehmigung erhalten. Nur an einigen Wochenenden ist „Publikumsverkehr geduldet“. Als würden Kunstfans die Gewerbetreibenden stören. Diese amtsstubengenerierte Kulturpotenzial-Verschwendung verursacht seit 2013 landesweit Kopfschütteln, aber auch etliche Runde Tische im Lichtenberger Rathaus konnten die Posse bis heute nicht beenden.

Doch für ihr Sonntagsprojekt mit Podien, Kunst, Konzerten bekamen die Haubroks vom Bezirksamt Stempel und Unterschrift. Man weiß also die „Fahrbereitschaft“ als Kreativort zu schätzen. Und vielleicht ist ja bei den Gesprächen endlich mal zu klären, wo im Rathaus in der Möllendorffstraße eigentlich dieser unerklärliche Vorbehalt samt amtlicher Sperre sitzt, Kunst und Gewerbe zusammenzudenken und diese einzigartige Stadtrand-Symbiose in Berlins Kultur und Alltag hineinleuchten zu lassen. Also: Start frei für Debatten!
