Als ein Gedicht von einer Hauswand entfernt, ein zeithistorischer Roman wegen Verwendung des N-Worts als Schulstoff delegitimiert und modisches Tragen von Rastalocken zum Anlass für einen Konzertabbruch genommen wurden, geschah dies jeweils im Namen einer höheren Gerechtigkeit. Vorausgegangen waren politische Interventionen gegen die arglose Fortführung des Gewohnten. Die aktivistische Energie, die die überaus erfolgreichen kulturpolitischen Eingriffe befeuerte, ging einher mit weitgehend ungeprüften Annahmen und Unterstellungen zur ästhetischen Produktion. Ein einziges Wort in Eugen Gomringers „Avenidas“ evozierte das Unbehagen gegen sexuelle Gewalt und lastete es dem Gedicht an. Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ wurde einer rassistischen Sprache bezichtigt, und von Nicht-Jamaikanern gespielter Reggae samt Präsentation zugehöriger Frisuren wurde als kulturelle Aneignung gewertet und zur Absage gedrängt.

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