Gefragt, ob sie noch in Kiew sei, antwortete die ukrainische Regisseurin Zhanna Ozirna vergangene Woche, man möge doch bitte nicht Kiew schreiben, sondern Kyjiw, und nicht die Ukraine, sondern Ukraine. Das Land sei schließlich keine Region wie etwa der Kaukasus oder der Ural, sondern ein eigenständiges Land. „Bitte zeigen Sie Respekt gegenüber unserem Land, unserer Sprache und unserer Identität“, schrieb sie. Tatsächlich lautet die Transkription der ukrainischen Hauptstadt aus dem Ukrainischen Kyjiw, das bestätigt auch Susanne Frank, stellvertretende Direktorin am Institut für Slawistik an der Humboldt-Universität. Kiew ist die Transkription des russischen Namens. Der Duden nennt beide Schreibweisen, ohne aber den Unterschied zu erklären.
Wie man die ukrainische Hauptstadt oder überhaupt ukrainische Eigennamen transkribiert, hat also politische Implikationen. Manche reagieren auf die russische Schreibweise empfindlich. Schon 2011, im 20. Jahr der Unabhängigkeit des ukrainischen Staates, sagte Bohdan Aschnjuk, der Leiter des Instituts für Linguistik an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften dem Deutschlandfunk, dass es für einen Ukrainer wichtig sei, wie die Hauptstadt seines Landes im Ausland geschrieben werde. 2020 äußerte sich der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan entsprechend: „Natürlich gibt es wichtigere Dinge, zum Beispiel, wenn deutsche PolitikerInnen die Ukraine unterstützen und sich nicht Putin beugen. Aber auch die Schreibweise ist wichtig. Aus solchen Details entwickelt sich die Identität eines Landes.“
Englischsprachige Medien nutzen die ukrainische Transkription
In diesen Tagen des russischen Kriegs gegen die Ukraine ist die Frage, welche Schreibweise man benutzt, für die Menschen in der Ukraine wichtiger denn je. Die New York Times oder der britische Guardian benutzen schon länger die ukrainische Transkription. Dazu hat sie 2018 das ukrainische Außenministerium aufgefordert. In Deutschland geht es durcheinander. Zwar schreiben deutsche Medien Wolodymyr oder Wolodimir, wenn von dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Rede ist, das ist die ukrainische Transkription. Den ehemaligen Boxer schreiben sie als Wladimir Klitschko. Wahrscheinlich weil Klitschko als Boxer zu einer Zeit bekannt wurde, als die russische Transkription noch vorherrschend war. Bei anderen geografischen Namen geht es durcheinander: Charkow oder Charkiw, Lwow oder Lwiw und Dnjepr oder Dnipro.
Das Verhältnis von Russisch und Ukrainisch stand in Ukraine immer schon im Zeichen der Emanzipation von Russland. In der Zeit des Russischen Reichs, dem der Ostteil des heutigen Landes angehörte, gab es eine massive Russifizierung der ukrainischen Sprache und Kultur. 1876 verbot Zar Alexander II. aus Angst vor separatistischen Bestrebungen ukrainische Publikationen. Während der Sowjetzeit war Russisch Verkehrssprache, es dominierte alle wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten sowie die Medien. Ukrainisch war jedoch nicht verboten. Mit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 wurde Ukrainisch zur Amtssprache, eine kontroverse Entscheidung. Russisch ist in der Ukraine tief verwurzelt, auch wenn dies ein Ergebnis der gezielten Russifizierung zu Zeiten des Russischen Reichs und später der Sowjetunion sein mag.
2019 machte ein Gesetz Ukrainisch zur alleinigen Sprache im öffentlichen Raum
Susanne Frank von der Humboldt-Universität macht darauf aufmerksam, dass Ukrainisch seit dem 18. Jahrhundert auch als Literatursprache neben dem Russischen fungierte: „Der Philosoph Hryhorij Skoworoda zum Beispiel und der Schriftsteller Iwan Kotljarewskyj schrieben und publizierten auf Ukrainisch, Taras Schewtschenko sammelte und literarisierte als Romantiker ukrainisches Volksgut und gilt mit seinem vor allem aus aus Lyrik bestehenden Oeuvre bis heute als ukrainischer Nationaldichter, wohingegen der aus der Ukraine stammende Schriftsteller Nikolaj Gogol das Russische wählte und in seinen russischen Erzählungen die Ukraine zum Gegenstand zugleich humoresker und nostalgisch-verklärender Auseinandersetzung machte.“ Er sei bis vor kurzem als Vertreter der russischen Literatur kanonisiert worden. „Während des gesamten 20. Jahrhunderts hat sich ukrainische Literatur in ukrainischer Sprache kontinuierlich – wenn auch mit einer katastrophalen Zäsur durch die stalinistischen Säuberungen – weiterentwickelt.“
Ukrainisch ist die vorherrschende Sprache im Land, aber fast 30 Prozent der Ukrainer gaben 2001 bei der Volkszählung Russisch als ihre Muttersprache an. 2012 bekam Russisch in manchen Regionen wie etwa der Krim wieder einen offiziellen Status als Regionalsprache. Im Jahr 2019 jedoch – kurz nach dem Wahlsieg von Wolodymyr Selenskyj – verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das Ukrainisch zur alleinigen Sprache im öffentlichen Raum macht. Zwar können Zeitungen oder Bücher auch weiter auf Russisch erscheinen, aber die Auflage in Ukrainisch muss ebenso hoch sein. Ausgenommen von der Pflicht zum Ukrainischen sind Publikationen in den Sprachen anderer Minderheiten im Land wie der Krimtataren, der Polen, Ungarn, Rumänen, Griechen, Bulgaren, aber auch Englisch sowie alle offiziellen Sprachen der EU.
Ausländische Filme oder Fernsehsendungen müssen synchronisiert oder übersetzt werden. Da diese meist aus Russland kommen, ist dies auch ein Versuch, die russische Medienmacht zu brechen.
Wolodymyr Selenskyjs Muttersprache ist Russisch, doch er lernte Ukrainisch
Es gibt ein Recht auf Bedienung in der Landessprache, es gilt für Staats- und Gerichtsdiener, Verkehrspolizisten, Ärzte, für die Mitarbeiter von Supermärkten, Apotheken, Banken. Das erste Wort, das ein Kellner in einem Restaurant an einen Gast richtet, muss auf Ukrainisch sein. Antwortet dieser auf Russisch, kann das Gespräch in dieser Sprache weitergeführt werden. Verstöße können mit Geldstrafen geahndet werden.
Dieser Versuch, die ukrainische Identität, die Unabhängigkeit von Russland und die Hinwendung zum Westen mithilfe der Sprache zu stärken, mag umstritten sein, doch muss man dieses Gesetz auch als Reaktion auf die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 verstehen, die von Russland unter anderem damit begründet wurde, man müsse die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung dort schützen. Seitdem forderten viele Ukrainerinnen und Ukrainer die Abkehr von der Zweisprachigkeit. Susanne Frank sagt, dass seit der Besetzung der Krim auch immer mehr russischsprachige Autorinnen und Autoren die Sprache gewechselt haben. Sie nennt den aus Donezk stammenden Schriftsteller Wolodymyr Raffejenko. „Er hat eine Trilogie über die Stadt geschrieben und den letzten Teil auf Ukrainisch verfasst.“ Der russischsprachige Dichter Boris Chersonskij aus Odessa versuche sogar, Lyrik auf Ukrainisch zu schreiben – aus politischen Gründen. „Autoren wie Chersonskij und Raffejenko haben verinnerlicht, dass Russisch nunmehr als ‚Sprache des Feindes‘ gilt.“

