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Claas Relotius als Werbetexter: Ein gutes Zeichen für den Journalismus

Der berühmteste Reporterfälscher aller Zeiten soll einen neuen Top-Job haben. Ist das unmoralisch? Ganz im Gegenteil. Ein Kommentar.

Claas Relotius stand im Mittelpunkt eines Medienskandals.
Claas Relotius stand im Mittelpunkt eines Medienskandals.Julius Hirtzberger/dpa

Aufmerksamkeit zu generieren ist der Job der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, seit Jahrzehnten ist sie damit weltweit so erfolgreich wie kaum eine andere. Kunden wie Saturn („Geiz ist geil“), Edeka („Supergeil“) oder Ebay („3–2–1, meins“) haben sie damit nachhaltig beglückt. Andere Kampagnen sind schlechter gealtert, „Is mir egal“ für die BVG zum Beispiel, und auch RWE wird sich in diesen Tagen eher nicht mehr mit dem Slogan „Rheinland wird Reinland“ schmücken wollen.

Der neueste PR-Coup allerdings kommt keinem zahlenden Kunden zugute, sondern der Firma selbst. Laut Recherchen der Bild-Zeitung und dem Branchendienst Horizont wird der ehemalige Spiegel-Journalist Claas Relotius in Zukunft für Jung von Matt arbeiten. Die Agentur bestätigte die Meldung auf Anfrage bisher nicht.

Ist Claas Relotius psychisch krank?

Dass der berühmteste Reporterfälscher aller Zeiten mitbringt, was ein Werbetexter braucht, daran besteht kein Zweifel. Bei den Jurys diverser Journalistenpreise sorgte er in der Vergangenheit mit seinen erfundenen Zeilen für Begeisterungsstürme, und der Berufsethos in der Werbewelt dürfte Relotius eher entsprechen als jener, den Leser und Leserinnen von Journalisten erwarten. Generell sollte man von moralischen Bewertungen allerdings absehen, sowohl in Bezug auf Relotius’ Verfehlungen als Journalist als auch im Hinblick auf seinen neuen Job.

Bei einem ausführlichen Interview, das der ehemalige Journalist dem Schweizer Magazin Reportagen im Juni 2021 gab, erzählte er von Gedächtnislücken und Verfolgungswahn, womit er angeblich über Jahre immer wieder zu kämpfen hatte: „Nach einer Rückkehr aus Albanien bin ich über mehrere Tage in ein Waldstück bei Hamburg gegangen, um nach einem Störsender zu suchen, der meine Gedanken blockiert und die Kommunikation mit anderen Menschen verhindert“, so Relotius. „Einmal stand ich nachts auf der Zoobrücke im Gegenverkehr und wusste nicht, warum.“ Man sieht die Bilder vor sich, sie erinnern an Relotius’ vermeintlich journalistische Texte – und können freilich ebenso erfunden sein.

Wissen tut das wahrscheinlich nur Relotius selbst, hoffentlich jedenfalls, sicher aber nicht Journalisten oder Leser, die nun angesichts der Meldung aufschreien. Es einem psychisch kranken Menschen zu verwehren, seinen  Lebensunterhalt zu verdienen, kann nicht das Ziel sein. Man sollte sich vielleicht eher für ihn freuen, dass er in der Werbebranche sicher viele Menschen mit Erfahrung auf diesem Gebiet treffen wird, die zum Austausch bereitstehen. Und auch wenn Claas Relotius am Ende doch nur ein kerngesunder Betrüger sein sollte, so kann man eine andere klare Botschaft begrüßen, die der Jobwechsel ja auch beinhaltet: Journalismus und Werbung gehören getrennt!