Ostrock-Kultband

50 Jahre City: Sag, wo die Soldaten sind

Jeder, der im Osten aufgewachsen ist, hat eigene Erfahrungen mit der Band City. Nach 50 Jahren auf der Bühne soll nun aber Schluss sein. Eine letzte Runde.

Die Band City macht Schluss.
Die Band City macht Schluss.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Am 30. Dezember ist Schluss: Nach 50 Jahren will sich die Band City von der Bühne verabschieden. Bis dahin drehen sie eine letzte Runde – der Titel ist doppeldeutig. „Die letzte Runde“ ist nicht nur der Titel unserer Abschiedstournee, sondern auch unsere letzte runde Scheibe, die wir aufgenommen haben“, erklärt Sänger Toni Krahl, der mit Gitarrist Fritz Puppel am Telefon Auskunft gibt. Seit 1972 haben sie 2500 Konzerte bestritten und über 15 Millionen Tonträger verkauft. „Die letzte Runde“ ist ein Doppelalbum. Eine CD enthält neue Songs, die andere Klassiker, teils mit Freunden wie Dirk Michaelis und Silly neu eingespielt, teils mit den Berliner Symphonikern aufgenommen.

Jeder, der im Osten aufgewachsen ist, hat seine persönlichen City-Erlebnisse. Ihr Debüt-Album „Am Fenster“ gehörte zu meinen ersten selbst gekauften Amiga-Scheiben. Der melancholische Über-Hit wurde Ende der 1970er-Jahre in den Diskotheken zelebriert, obwohl es heute schwerfällt, sich vorzustellen, wie zu einem minutenlangen Geigen-Solo getanzt wurde. Ich erlebte City in einem Kulturhaus der Nationalen Volksarmee, wo sie vor den Soldaten und Unteroffiziersschülern ausgerechnet den Klassiker „Sag mir, wo die Blumen sind“ spielten. Zu „Sag, wo die Soldaten sind“ schrie der ganze Saal: „Hier!“ „Den Song hatten wir für die Aktion ,Rock für den Frieden‘ aufgenommen, die eigentlich das Motto haben sollte: Unsere Raketen sind gut, die anderen schlecht“, erläutert Fritz Puppel. „Bei unserem Vorschlag sind die Offiziellen aus allen Wolken gefallen – der Song wäre zu pazifistisch.“ „Wir hatten“, ergänzt Toni Krahl, „damals ja das Privileg, auch im Westen auftreten zu dürfen, und haben sogar bei der Bundeswehr gespielt – und dort dieselben Reaktionen wie bei Euch hervorgerufen!“

„Nur noch beten“

Seither steht das Stück mit der Friedensbotschaft ununterbrochen in ihrem Live-Repertoire. Doch nie hätten sie geglaubt, dass es noch mal so aktuell werden würde. Wenige Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sind Puppel und Krahl sichtlich erschüttert. „Wir sind beide keine Christen“, so Krahl. „Aber eigentlich kann man nur noch beten.“ Der Sänger, der einige Jahre in Moskau zur Schule gegangen war, hatte sich schon 1968 mit russischen Panzern auseinandergesetzt: Wegen seines Protestes gegen den Einmarsch in Prag kam er mit 19 Jahren in Haft. Rockmusik mit Haltung sei fester Teil ihrer DNA, bekräftigt Puppel.

Ihr bestes Album „Casablanca“, von dem sie jetzt Titel wie „Z. B. Susann“ und „Wand an Wand“ neu aufgenommen haben, bot Texte, die provozierten. Noch so ein City-Erlebnis: Als die Band auf einem großen Festival von einem FDJ-Funktionär gebeten wurde, den Song „Halb und halb“ nicht zu spielen, willigte Toni Krahl ein – und rezitierte stattdessen vor Zehntausenden den Text mit so markanten Zeilen: „Und halblaut kommt’s aus dem Radio: Die halbe Menschheit krepiert irgendwo. Halbgötter tanzen ums Goldene Kalb – so ist die Halbwelt – halb und halb.“

Mit Alfred Roesler-Kleint arbeitet City bis heute zusammen – alle neuen Texte stammen von ihm. Mit „Wir haben Wind gesät“ enthält „Die letzte Runde“ wieder einen Song mit philosophischem Anspruch. Das eingängige Stück ist textlich wie musikalisch zweigeteilt. Zunächst singt Toni Krahl im getragenen Tempo von den Ambitionen der Menschheit, die Berge versetzen könne: „Es gibt nichts, das uns hindert, besser zu sein.“ Doch dann erfolgt die dialektische Umkehrung: Der Mensch ist nicht besser geworden. Wir lassen Flüchtlinge ertrinken, Flüsse austrocknen und twittern unsern Hass.

Krahl und Puppel geben zu, dass ihnen die Umsetzung nicht leicht gefallen sei. „Wir gerieten hier in eine Sackgasse, es erschöpfte sich zu schnell“, erklärt Krahl. Zu Hilfe kamen ihnen zwei junge Songschreiber aus Kanada, wo Roesler-Kleint lebt: Michael Friedman und Kerry Galloway.

Kein Lachen und kein Trommeln mehr

Dagegen wirkt das schunkelige Stück „Apokalypso“, das sich über die Weltuntergangsbeschwörungen lustig zu machen scheint, im Angesicht der realen Apokalypsen inzwischen fast flapsig. „Der Song war eigentlich zu Corona gedacht“, erklärt Krahl. Den letzten Song haben sie ihrem Schlagzeuger Klaus Selmke gewidmet: Das City-Gründungsmitglied war vor zwei Jahren gestorben und hatte die erste Version von „War gut“ noch selbst mit aufgenommen – damals war der Song einem Freund gewidmet. Mit einer kleinen Textänderung wurde er für Selmke passend gemacht: „Kein Lachen und kein Trommeln mehr“.

Nach dem Tod ihres Drummers war den Verbliebenen klar, dass sie ohne ihn nur noch diese letzte große Runde drehen wollten: „Ich habe fast 49 Jahre lang mit Klaus auf der Bühne gestanden“, sagt Puppel. „Das Bild auf der Bühne zeigt mir immer: Da fehlt einer!“ Bei den anstehenden zwei Tourneen sitzt Roger Heinrich als Gast am Schlagzeug. Die erste letzte Runde bestreiten sie im Mai unter dem Motto „Rocklegenden“, gemeinsam mit Dieter Birr, Dirk Michaelis und Silly – einige gemeinsame Songs stehen auf der zweiten CD. Die Tournee war durch Corona mehrfach verschoben worden.

Bei ihrer eigenen Tour werden sie im Sommer von den Berliner Symphonikern begleitet. „Wir müssen uns disziplinieren“, weiß Toni Krahl. „Du kannst keine Strophe vergessen und einfach hinten anhängen.“ Fritz Puppel hat stets den Song ins Zentrum gestellt: „Rachmaninoff auf sechs Saiten hat mich nie interessiert!“ Der Gitarrist freut sich auf das Zusammenspiel: „Die Berliner Symphoniker sind ein Edelorchester, haben Ehrfurcht vor den Songs und lassen Sternenstaub rieseln.“

Pläne über das allerletzte Konzert hinaus haben sie im Moment nicht. Toni Krahl, 72, steckt derzeit so tief im „Letzte Runde“-Tunnel, das er keine Energie für Pläne danach hat. Fritz Puppel, immerhin 77 Jahre alt: „Für mich ist am 30.12. Schluss – danach ist für mich ein Jahr lang Silvester.“

Das Doppelalbum „Die letzte Runde“ erscheint am 1.4. bei Electrola/Universal Music;

City im TV: Sa., 2.4. 20.15 Uhr, MDR Der große City Abend; Sa., 9.4. 22.00 Uhr, RBB 50 Jahre City

City Live: mit den Rocklegenden am 22.5. in der Max-Schmeling-Halle; mit den Berliner Symphonikern am 23.7. in der Parkbühne Wuhlheide; allerletztes Konzert am 30.12. in der Mercedes-Benz-Arena