Chefket steht am Samstagabend im schwarzen Hoodie mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne des Festsaals Kreuzberg. Er rappt seinen Song „Wir“. Es geht um Vorurteile, interkulturelle Verständigung und die deutsche Geschichte. Dann reckt er seine Faust in die Luft: „Gegen Antisemitismus, gegen Genozid“, proklamiert er.
Das darf durchaus als Reaktion auf die politische Affäre um seine Person verstanden werden. Denn der in der baden-württembergischen Provinz als Sohn türkischer Zuwanderer aufgewachsene Rapper machte vor wenigen Wochen Schlagzeilen, als Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ihn aufgrund eines vermeintlich antisemitischen Trikots rügte und Jan Böhmermann ein Konzert mit ihm absagte. Der Stein des Anstoßes, das von Chefket selbstzufrieden getragene Trikot des fiktiven FC Palästina, sprach Israel das Existenzrecht ab. Aber macht ein antisemitisches Trikot gleich einen antisemitischen Rapper?
Hauptsache, der moralische Kompass ist im Lot
Wohl eher nicht. Vor allem, weil Chefket in seinen Songs immer wieder für religiöse Toleranz wirbt. Antisemitische Lyrics? Fehlanzeige! Eher ist das Skandal-Trikot Ausdruck eines im Kulturbetrieb hegemonialen pseudopolitischen Moralismus, der seinen Akteuren zur wohlfeilen Selbstvergewisserung, auf der richtigen Seite zu stehen, bei gleichzeitigem Unwillen zur tieferen Analyse taugt: Wirklich schlimm dieser Genozid in Gaza! Klar ist Israel ein weißes Kolonialprojekt! Free Palestine from German Guilt! So spricht die Szene und deshalb auch man selbst, schließlich kann, was alle sagen, ja nicht falsch sein. Der moralische Kompass ist im Lot, mitunter lässt sich sogar die Gewissheit, etwas aus der deutschen Geschichte gelernt zu haben, mit den jahrtausendealten Ressentiments gegen Juden verbinden. Dem Spiegel sagte Chefket nach der Affäre um seine Person: „Ich bin Rapper, kein Historiker.“ Aber ob man Historiker sein muss, um Landkarten ohne Israel als problematisch zu empfinden? Um seine eigenen Weltgewissheiten mit der Wirklichkeit abzugleichen?
