Debattenkultur

Analyseverbot? Was hinter dem Buchmesse-Eklat um Slavoj Žižek steckt

Die Frankfurter Buchmesse wurde mit einem provokanten Auftritt des slowenischen Philosophen eröffnet. Ist die Freiheit des Wortes bloß eine Phrase? Ein Kommentar.

Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek spricht während der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse.
Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek spricht während der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse.Arne Dedert/dpa

Reden über Israel und den Terror der Hamas? Nichts scheint derzeit schwerer. Das musste nicht zuletzt der beim FSV Mainz 05 unter Vertrag stehende niederländische Fußballer Anwar El Ghazi erfahren. Weil er auf Instagram eine Botschaft geteilt hat, in der Israel das Existenzrecht abgestritten wird, wurde er umgehend vom Spiel- und Trainingsbetrieb freigestellt. Er habe, so teilte der FSV Mainz 05 mit, „in einer Art und Weise Position zum Konflikt im Nahen Osten bezogen, die für den Verein so nicht tolerierbar war“. El Ghazis beim FC Bayern München spielender Kollege Noussair Mazraoui muss, wenn er von einem Spiel mit der marokkanischen Nationalmannschaft zurückgekehrt ist, ebenfalls wegen pro-palästinensischer Internetposts bei seiner Vereinsführung vorsprechen.

Fußball und Politik waren seit jeher ein weites Feld. Man sollte sich jedoch von dem Gedanken verabschieden, dass junge Fußballprofis nicht so genau wissen, was sie mit schnellem Finger in die Netzwelt hinausschicken. Der deutsche Ex-Nationalspieler Mesut Özil und sein französischer Kollege Karim Benzema scharen insbesondere in der muslimischen Welt Millionen von Followern hinter sich, die ihnen dankbar abnehmen, was sie über den Nahost-Konflikt denken. Eine differenzierte Haltung zur Lage Israels gehört nicht dazu.

Zitate von Breivik, Heydrich und Benjamin

Aber ist es angesichts dessen angebracht, von einem Analyseverbot zu sprechen? Genau das hat der slowenische Philosoph in seiner Rede im Rahmen der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse getan und den engagierten Widerspruch des hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker während seiner Rede gleich als Beleg für ein solches Verbot genommen. Im Verlauf seines furiosen Vortrags führte Žižek Zitate des norwegischen Terroristen Anders Breivik und des NS-Verbrechers Reinhard Heydrich gleich neben Sätze von Walter Benjamin und Moshe Dayan an, als ginge es darum, das Analyseverbot performativ herauszufordern.

Der Literaturbetrieb ist in Aufruhr, nicht allein weil Žižek die Gelegenheit dazu nutzte, Formeln von der Freiheit des Worts unvereinbar aufeinanderprallen zu lassen. Aus gedanklicher Nachbarschaft heraus assistierte ihm die amerikanische Philosophin Judith Butler, die in einem aktuellen Aufsatz eine moralische Verurteilung der Hamas ablehnte. Moralische Empörung, so Butler, sei beschränkt auf die Gegenwart und blende den Schrecken der letzten 70 Jahre aus, den die Palästinenser erdulden mussten. Der Mangel an Empathie für die Lage der Menschen in Israel, der sich in Butlers Text äußert, zeugt nicht gerade von einem Analyseverbot, wohl aber einer Verwahrlosung ihres Denkens.