Wir befinden uns in Deutschland an der Schwelle von der Pandemie zur Endemie. Das ist unstrittig. In China hingegen explodiert das Infektionsgeschehen. Von mehreren tausend Toten täglich ist die Rede. Der Weg von einer rigiden Null-Covid-Strategie zu einer vollständigen Öffnung ist kläglich gescheitert. Das Volk zahlt den Preis für eine irrationale Machtpolitik. Wir in Deutschland stehen wesentlich besser da. Das Virus ist nicht weg – aber es wird beherrscht. Das heißt aber auch, wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben.
Wir haben die Pandemie in drei Jahren und drei Phasen bewältigt. Das erste Jahr war von Lockdowns und Abstandsgeboten sowie einer skurrilen Maskendiskussion gekennzeichnet. Erinnern wir uns: Lieferketten waren zusammengebrochen, Masken und Schutzausrüstung fehlten. Statt sich um die Lieferung funktionsfähiger FFP2-Masken zu kümmern, verlangte der bayerische Ministerpräsident, selbstgenähte Masken zu tragen und verhängte Bußgelder gegen Menschen, die dies nicht taten. Heute wissen wir – auch selbstgenähte Masken sind besser als gar nichts. Aber die Maßnahme verdeckte das Versagen der Politik, der es anfänglich nicht gelang, genügend Masken und Schutzausrüstungen (PPE) zu besorgen.

In dieser Phase – ungeschützt durch Immunität, Impfungen gab es noch nicht – arbeiteten Ärzte und Pflegekräfte bis zum Umfallen; es fehlten Intensivplätze, es gab keine Therapien. Der verhängte „harte“ Lockdown hat in Deutschland gleichzeitig viele Leben gerettet. Im Vergleich zu unseren Nachbarn Italien, Großbritannien und Frankreich hat Deutschland diese Phase hervorragend gemeistert.
Unwürdig war, wie sich Einzelne bereicherten
Der Lockdown hat den Menschen gedient, aber er hatte auch gravierende Auswirkungen. Die Wirtschaft hatte Einbußen und Rückgänge zu verzeichnen, die Kinder mussten enorme Einschränkungen ihrer Bildungschancen hinnehmen, „vulnerable“ Gruppen wie etwa Altenheimbewohner wurden vor ihren Angehörigen gnadenlos „geschützt“ – bis zur Unwürdigkeit. Über die Grundrechtseinschränkungen wurde kaum diskutiert, die erschreckenden Bilder aus Oberitalien führten den Menschen vor Augen, welche Gefahren in diesem Virus stecken.
Unwürdig war allerdings auch, wie sich Einzelne bereicherten. Politiker und ihnen nahestehende Personen verdienten Millionen mit Provisionen für heftig überteuerte Maskenkäufe. Aber auch bei Testungen und Laboruntersuchungen wurde betrogen. Dies alles wird sowohl in den Ethikgremien des Bundestages wie auch strafrechtlich aufzuarbeiten sein.
Die Politik steckt – das sei an dieser Stelle auch einmal gesagt – in einem tiefen Dilemma. Sie muss zwischen Gesundheitsschutz und Grundrechten, Belangen der Wirtschaft und sozialen Folgen vermitteln. Es gilt, medizinische Fakten, sozialpsychologische Folgen, wirtschaftliche Auswirkungen und Grundrechtseinschränkungen in einer dynamisch sich ändernden Situation zu lösen. Und zwar jeden Tag neu – und oft auch anders. Das geht nur mit Offenheit und Transparenz, ideologiefrei und diskursiv, wenn es dem Wohle der Menschen dienen soll.

Freiheit endet dort, wo die anderer tangiert wird
Und dann kamen die Impfungen: Phase zwei! Sehnlichst herbeigewünscht mussten die Impfstoffe zu Beginn rationiert und priorisiert werden. Es herrschte ein beispielloser Run auf die seligmachende Impfspritze, was zum Aufbau von Impfzentren und mobilen Impfteams führte. Der Erfolg war durchschlagend. Trotz stark steigender Infektionszahlen sank der Anteil der Schwerkranken und Gestorbenen. Die Impfung wirkte! Welch Kontrast zur heutigen Impfmüdigkeit.
Danach setzte in der dritten Phase der Infektion die Immunität ein. Und mit dem Erwerb von Immunität durch eine Wechselwirkung von Impfung und Infektion griff das „Präventionsparadoxon“. Je erfolgreicher eine präventive Maßnahme (hier das Impfen) ist, desto weniger spüren die Menschen die Gefahr, die von der Grundkrankheit ausgeht. Und so leisteten wir uns dann eine zermürbende Debatte um Impfpflicht und Maskentragen. Der Politik hat es geschafft, im Interessenkampf der Parteien wichtige Schutzinstrumente für die Bevölkerung zu verhindern.
Wer wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12. Juni 2022 sagt: „Es darf nicht zum Prinzip werden, dass der Einzelne gegenüber der Gemeinschaft immer zurückstehen muss“, führt eine niveaulose Debatte über den Freiheitsbegriff. Er verkennt, dass mit der Gewährung von Freiheit auch immer die Gewährung und Verteilung von Lebenschancen verbunden ist. Oder einfacher ausgedrückt: Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit anderer tangiert wird.
Vier Lehren aus der Pandemie
Diese Pandemie mag vorbei sein – die nächste kommt bestimmt. Was haben wir also gelernt aus der Coronazeit 2020 bis 2022?
1. Wir brauchen bessere Daten
Trotz Internet und Digitalisierung haben wir viele Entscheidungen im Blindflug getroffen. Weder die Datensysteme der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch die durch den deutschen Föderalismus fraktalisierten Datenströme der Gesundheitsämter haben uns klare Bilder der Infektionslage geliefert. Viren halten sich nicht an Grenzen, schon gar nicht an nationale Kleinstaaten. Ein zerfleddertes, uneinheitliches Lagebild in Deutschland: Das darf uns nicht noch einmal passieren.
2. Freier Wissenschaftstransfer ist unabdingbar
Noch nie wurde wissenschaftlicher Diskurs so offen und transparent geführt wie zu Coronazeiten. Die Öffentlichkeit konnte live und in Echtzeit miterleben, wie wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert, verworfen und erneuert wurden. Das war gut – nur so konnten die Impfstoffe und Therapieansätze zügig entwickelt werden.
3. Kommunikation und Verantwortung gehen Hand in Hand
Leider haben wir beim schnellen Wissenstransfer auch erlebt, dass Ideologen sich der Ergebnisse bemächtigten. Und natürlich dabei nur den Teil der Wahrheit nutzten, der ihnen ins ideologisch gefestigte Bild passte. So konnten sich „Aluhüte“, „Querdenker“ und andere Verwirrte immer auch auf Teile der „Wissenschaft“ berufen. Und getreu der alten Maxime, dass von Halbwahrheiten vor allem die falsche Hälfte geglaubt wird, entstanden ans Absurde grenzende Diskussionen zwischen wissenschaftlichen Querulanten und seriösen Forschern. Das hat dem Kampf gegen das Virus oft geschadet – auch wenn es manchen Medien und manchen politischen Strömungen genutzt hat. Als Konsequenz sollten Wissenschaft, Politik und Medien einen Codex zu verantwortungsvollerer Kommunikation entwickeln.
4. Weltweite Kooperationen sind nötig
Die Pandemie ist ein weltweites Geschehen; wer glaubt, sie lokal oder regional ohne Vernetzung bewältigen zu können, wird scheitern wie China. Es wäre Aufgabe der WHO gewesen, weltweite Gesundheitssysteme zur Versorgung mit Impfstoffen und Impfung der Menschen aufzubauen. Die Beamten am Sitz der WHO in Genf haben weitgehend versagt – mehr medizinischer Sachverstand und mehr Feldarbeit wären hier nötig gewesen. Vielleicht klappt das ja beim nächsten Mal!

Deutschland hat nicht schlecht abgeschnitten
Konsequenz und Rationalität politischen Handelns haben sich jedoch bewährt. Vergleicht man einmal die Zahl der Toten pro Million Einwohner, so ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. Länder mit einer konsequenten und wissenschaftlich begründeten Politik (Neuseeland, Japan) schneiden wesentlich besser ab als Länder mit erratischen, föderalen und irrational überlagerten Politikansätzen (USA, UK). Unterschiede von 1:6,5 bei der Todesziffer sind zwischen vergleichbaren Staaten eigentlich nicht hinnehmbar.
Für selbstgefälligen Stolz ist sicher kein Raum – aber dennoch haben wir in Deutschland gar nicht so schlecht abgeschnitten. Unsere Todesziffer ist mit etwa 1952 Toten pro Million Einwohner nur mittelmäßig. Unsere wirtschaftlichen Einbußen waren relativ gering, das Bruttoinlandsprodukt ist mäßig gestiegen. Der Arbeitsmarkt hat nicht gelitten; es herrscht weiter Vollbeschäftigung – ja wir beklagen sogar einen Fachkräftemangel. Die sozialpsychologischen Auswirkungen der Schulschließungen werden uns noch lange begleiten und müssen sicher durch verstärkte Investitionen in Bildungsmaßnahmen dringend ausgeglichen werden.




