Umweltschützer schlagen Alarm: Ausgerechnet unter einer Bundesregierung mit grüner Beteiligung droht vor Rügen eine ökologische Katastrophe. Der Grund: Die Bauarbeiten für das an der Küste Rügens bei Mukran geplante Flüssigerdgas-(LNG)-Terminal sollen laut einer am 27. Dezember vom Bergamt Stralsund veröffentlichten Bekanntmachung auch während der Hering-Laichzeit im Greifswalder Bodden durchgeführt werden.
„Das ist totaler Frevel“, sagt Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe (DUH), der gemeinsam mit anderen Umweltverbänden und lokalen Bürgerinitiativen gegen das Vorzeigeprojekt des Bundeskanzlers Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck Sturm läuft. Eigentlich sind Januar und Februar absolute Tabu-Zeiten. Zerger zur Berliner Zeitung: „Wenn in dieser kritischen Zeit dort gebaut wird, stellt das die Existenz des Ostsee-Herings infrage. Die Folgen wären nicht nur ökologisch verheerend, sondern auch wirtschaftlich, denn der Bau im Januar und Februar bedroht die Ostsee-Fischerei.“
Gemäß dem vom Bergamt Stralsund ausgerechnet zwischen den Feiertagen veröffentlichten Zulassungsentwurf darf der Gasnetzbetreiber Gascade auch im Januar und Februar noch im und vor dem Greifswalder Bodden Wiederherstellungsarbeiten am Meeresboden für die Anbindungspipeline des LNG-Terminals vornehmen. Ökologische Einwände des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, des Landesamtes für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei (Lallf) sowie des Biosphärenreservatsamtes Südost-Rügen wegen möglicher Auswirkungen auf das Laichgeschehen verwarf das Bergamt als unbegründet.
Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, hinterlässt den Eindruck, dass das Bergamt von falschen Annahmen ausgeht. Er sagte der dpa, die Heringe seien wegen der höheren Wassertemperaturen bereits direkt eingewandert. Sie sammelten sich nun und warteten darauf, in ihr Laichgebiet zu ziehen. Die Arbeiten müssten daher bis zum Ende der Laichzeit Mitte Mai pausieren. Der Hering stehe ohnehin stark unter Druck und sei wichtig für die Zukunft der Küstenfischerei in der Ostsee.
Was die Umweltschützer besonders stört: Gascade soll zwar zur Messung der Wassertemperatur und bei einer Überschreitung zur Einstellung der Bauarbeiten verpflichtet werden, „wenn nicht durch eine geeignete Methode nachgewiesen wird, dass das Laichgeschehen des Herings noch nicht begonnen hat“. Doch damit hat es das Unternehmen in der Hand, eine entscheidende Variable zu beeinflussen oder aber einfach auf Zeit zu spielen.
Gascade hat einen eigenen Umweltgutachter beauftragt und geht nach eigenen Angaben von einer Laichzeit ab März aus. Sollten die Ergebnisse der Messungen des Unternehmens jedoch mit Verspätung kommen oder sich nachträglich als falsch erweisen, wäre der Schaden für das Ökosystem der Ostsee nicht mehr rückgängig zu machen. Ein solches Procedere ist der Albtraum für jede ökologische Kontrolle von industriellen Projekten.
Das Bergamt erklärte laut dpa, es bestehe kein Anlass zur Sorge. Bis zu einer endgültigen Entscheidung Anfang Januar bleibe die am Donnerstag veröffentlichte Zulassung ein Entwurf ohne tatsächliche Rechtsfolgen. Die Deutsche Umwelthilfe sieht die Lage nicht so entspannt, weil die Bauarbeiten nach der Zulassung durch das Bergamt am 4. Januar fortgesetzt werden können.
Die Umweltschützer sind besonders misstrauisch, weil sie gerade erst einen handfesten Skandal bei dem LNG-Projekt aufgedeckt haben: Die Umwelthilfe hat Anzeige gegen den Konzern Deutsche Regas erstattet, weil es Hinweise auf unerlaubte Bauarbeiten im November und im Dezember am LNG-Terminal auf Rügen gäbe. Drohnenaufnahmen hätten ergeben, „dass auf dem Gelände umfangreiche Arbeiten für den geplanten Störfallbetrieb der oberen Kategorie durchgeführt wurden, ohne dass die notwendigen Genehmigungen vorlagen“, so die DUH. Regas bestreitet die Vorwürfe und behauptet, alles sei genehmigt gewesen.
Constantin Zerger sagt, das LNG-Projekt solle offenkundig „mit brachialer Gewalt“ durchgedrückt werden. Es bestehe keine Gasmangellage, weil die Gasspeicher für diesen Winter gut gefüllt seien. Der Gasverbrauch sei wegen der rückläufigen Industrietätigkeit viel geringer als noch vor einigen Jahren. Außerdem sei das LNG-Projekt so sehr im Zeitverzug, dass es gar keinen Beitrag zur Energiesicherheit in diesem Winter liefern könne. Es gäbe daher keinen übergeordneten Grund, „warum man die intakte Umwelt vor Rügen zerstört“. Daher kündigt Zerger an: „Wir wollen den Bau rechtlich stoppen und werden die Entscheidung des Bergamts, wenn sie wirklich aufrecht bleibt, in einem Eilantrag vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten.“
Es sei offensichtlich, dass das „LNG-Beschleunigungsgesetz“ von Robert Habeck nicht als Rechtsgrundlage für den Bau heranzogen werden könne. Das Gesetz sieht vor, dass bei Projekten zur Behebung von bestimmten Notlagen die Beteiligung der Öffentlichkeit gestrichen werden kann. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, sagt Zerger. Er sei zuversichtlich, dass das Gericht der DUH-Argumentation folgen werde.
