Berlin-Natürlich gibt es auch unerträgliche Querulanten unter den Impfgegnern. Solche, denen man mit den weltbesten Argumenten kommen kann, und die sich trotzdem niemals freiwillig gegen Covid-19 impfen lassen würden. Weil sie dagegen sein wollen – komme, was da mag. Weil sie im Internet gelesen haben, dass wir alle ausgetauscht werden sollen, dass Bill Gates uns chippen will, dass Angela Merkel und Hillary Clinton nachts zusammen das Blut Neugeborener schlürfen, um ihre Echsenmenschenidentität aufrechtzuerhalten. Oder so ähnlich. Man kennt den ganzen Quatsch.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch triftige oder zumindest nachvollziehbare Gründe gegen das Impfen gibt. Manche Menschen haben gleich mehrere davon. Solche etwa, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden dürfen – und zwar nicht deshalb, weil ein – um es euphemistisch auszudrücken – geschäftstüchtiger Arzt ihnen dafür widerrechtlich ein Attest besorgt hat, wie mehrfach gegen die Maskenpflicht geschehen. Sondern weil sie etwa aktuell an Krebs erkrankt, immungeschwächt, organtransplantiert und/oder schwanger sind.
Es gibt weitere Gründe, sich gegen eine Impfung zu entscheiden, oder sich auch einfach immer noch nicht zu trauen. Darunter fallen Menschen, die mit Ärzten, Impfungen an sich oder auch dem deutschen Gesundheitssystem bisher eher schlechte Erfahrungen gemacht haben. Das kommt bei weitem nicht so selten vor, wie man meinen könnte, wenn man die Politik oder führende Vertreter eben jenes Gesundheitssystems von sich reden hört. Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt? Erzählen Sie das mal den Contergan-Geschädigten.
Das beste Gesundheitssystem der Welt? Wohl eher das teuerste!
Oder den Angehörigen von bis zu 40.000 an Krankenhauskeimen Gestorbenen – auch damit ist Deutschland EU-weit führend. Und es gibt weitere Nachteile, unter anderem die zunehmende Privatisierung der Krankenhäuser oder die überzogenen Verwaltungskosten der Versicherungen sowie ein nahezu ungezügelter Abrechnungsbetrug, auch in der Pflegebranche, die das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem seit vielen Jahren darben lassen, mit bisher ungezählten Opfern, zu denen auch viele Todesopfer zählen.
Wer mit solcherlei Unbill bisher nicht ernsthaft in Berührung gekommen ist, darf sich glücklich schätzen. Doch es gibt eben auch die anderen, diejenigen, die selbst davon betroffen sind oder waren, sowie viele, deren Angehörige zu den Opfern eines Systems geworden sind, das den Profit längst in den Vordergrund gestellt hat vor das Wohlergehen der Patienten. Ihnen ist nicht vorzuwerfen, dass sie ihm nicht mehr trauen. Sondern der Politik, dass sie seit Jahrzehnten mehr oder weniger tatenlos dabei zusieht – und außerdem zulässt, dass das Personal im Gesundheitssystem genauso kaputt gespart wird.
Durch diese nachlässige bis gesundheitsgefährdende Haltung, man könnte auch von unterlassener Hilfeleistung sprechen, haben Politik und handelnde Akteure hierzulande ein Gesundheitssystem geschaffen, oder zumindest zugelassen, das seinen Namen nicht mehr verdient. Es sollte eher Krankheitssystem heißen. Aus diesem seit lange krankenden System heraus nun das Vertrauen für eine Impfung generieren zu wollen, deren Langzeitfolgen naturgemäß noch nicht untersucht sein können, weil die Impfung großartigerweise so schnell verfügbar war – das ist schon ein Kraftakt.
In Deutschland ist Zwang nicht der richtige Weg
Man sollte daher, gesamtgesellschaftlich gesehen, über jeden froh sein, der sich impfen lässt, darf aber gerade in Deutschland nicht grundsätzlich diejenigen beschimpfen oder gar gängeln, die sich – noch – nicht impfen lassen können oder wollen. Warum gerade in Deutschland? Weil wir historisch gesehen – um es noch einmal euphemistisch auszudrücken – keine allzu guten Erfahrungen mit der Allianz gesundheitlicher Zwänge durch die Politik gemacht haben. Vergasung, Euthanasie, Zwangssterilisierungen, erinnert man sich noch? Es gibt daher Stimmen, die es für undenkbar halten, hierzulande in absehbarer Zeit über eine allgemeine Impfflicht auch nur nachzudenken, und ich behaupte: Sie haben Recht.
Es gibt ein gutes Argument, das dagegen spricht, dass Impfzweifler für sich selbst entscheiden können, ob sie im Zweifel an Covid-19, an den von ihnen befürchteten Folgen einer Impfung oder an der Krankenhausversorgung sterben möchten, und das lautet: Wenn sie nicht geimpft sind, stecken sie womöglich unzählige andere mit Covid-19 an, nur wegen ihrer Zweifel. Aber erstens können auch Geimpfte andere anstecken, wenn auch statistisch nicht so oft. Zweitens, und das ist wichtiger: Genau deshalb haben wir ja seit anderthalb Jahren Pandemie-Vorkehrungen. Sie bestehen aus Abstandhalten, Masketragen, Händewaschen und Hygienekonzepten, diversen Lockdowns sowie Homeoffice, Homeschooling und vorwiegendem Homeliving, was uns dank Delta auch alles noch länger erhalten zu bleiben scheint.
Insofern gilt es zu differenzieren: Nicht alle Impfgegner sind Spinner, die man zu ihrem oder unserem Glück zwingen könnte, einer aktuellen Studie zufolge sind nicht einmal die Hälfte der Ungeimpften überzeugte Impfgegner. Es ist zu einfach, immer nur den Bürgern die Schuld zu geben, die Politik hat genauso Anteil daran. Doch das Narrativ der Unwilligen wird nur allzu gerne bedient.


