Während der Lektüre des 500-Seiten-Wälzers „Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt“ plagten mich leichte Kopfschmerzen: Das Thema ist so komplex wie spannend – und der Anlass für mein Mittagessen mit Bestsellerautorin Franca Parianen. Die Hirnforscherin und Science-Slammerin erzählt mir vom Neurowissenschaftler James Fallon, der vor einigen Jahren unbedingt beweisen wollte: Kriminelle Hirne seien kleiner als der Durchschnitt. Dann habe sich herausgestellt, dass sein eigenes Gehirn auch nicht größer als das eines Killers war.

Selbst renommierte Forscher geben sich also der Lächerlichkeit preis, wenn sie von Vorurteilen oder sturer Wissensverweigerung getrieben sind, etwa nach dem Motto: „Wir wissen ja, dass Frauen dümmer sind, also wie beweisen wir das am schönsten?“ Den Schaden tragen diejenigen, gegen die sich die Vorurteile richten. „Es ist irritierend, wie das Leute in der Forschung machen können, die tatsächlich Verantwortung für Menschen haben“, sagt Franca Parianen und bezieht sich dabei auf einen bekannten Münchner Jugendpsychiater, der gegen alle wissenschaftliche Erkenntnisse Transidentität als Modephänomen verwirrter Kinder verhöhnt. „Sie kommen zu ihm, brauchen Hilfe, und er sagt: Ihr seid Teil des Problems.“
Als Wissenschaftlerin erkennt Franca Parianen die immergleichen Argumentationsmuster gegen die Selbstbestimmung von Transpersonen: Als einzig gültige Definition von Geschlecht lassen Genderkritiker menschliche Keimzellen gelten. „Sie funktioniert ja auch in der Biologie. Aber es ist nicht die einzige.“ Für die Forschung mindestens ebenso relevant sei die Erfassung von Geschlechtsmerkmalen, die auch Persönlichkeit oder Verhalten mit einschließt. „Kein einziges neurowissenschaftliches Experiment beginnt damit, dass man die Leute fragt: Welche Art von Keimzellen produzieren Sie eigentlich?“
Genderkritiker reduzieren die Betrachtung auf einen Teilaspekt, wollen dann aber bei allem mitreden: Gesellschaft, Gesetze, alles soll sich ihrer Sichtweise unterordnen. Mit Absicht werde da wissenschaftlich unsauber argumentiert: „Das ist nicht, wie Wissenschaft funktioniert oder jemals funktioniert hat“, sagt Parianen. Diskussionen müsse man führen, Fortschritt entstehe aber dadurch, „dass wir oft Sachen revidieren müssen.“ Für besonders problematisch hält Parianen, Wissensverweigerer immer wieder einzuladen – mit der Rechtfertigung: Wir brauchen doch den Dialog.
Welche unangenehmen Folgen Wissensverweigerung haben kann, erfuhr Max von Pettenkofer am eigenen Leib. Der damalige Chef der Bayerischen Akademie der Wissenschaften glaubte vor 130 Jahren, Cholera werde durch üble Dämpfe ausgelöst. Zum Beweis trank er ein Glas mit Vibrio cholerae. Auch der Durchfall seines Lebens lehrte den Forscher nicht eines Besseren.



