Durchbruch in der Forschung

Die Beatmung der Zukunft kommt vielleicht von hinten: So weit ist die Forschung

Von der Kuriosität zur ernsthaften Medizin: Die Studie, die 2024 mit einem Ig-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, zeigt erste Erfolge in der Humanmedizin.

Japanische Forscher haben erstmals Menschen erfolgreich über den Darm beatmet.
Japanische Forscher haben erstmals Menschen erfolgreich über den Darm beatmet.Sirichai Puangsuwan/imago

Was klingt wie die Pointe eines Arztwitzes, wird in der Intensivmedizin ernsthaft erforscht: die Beatmung über den After. Erste Studien am Menschen zeigen, dass die Methode sicher anwendbar ist. Könnte der Darm eines Tages als Reserve-Lunge dienen, wenn die Atemorgane versagen?

Die Idee wirkt absurd, fast schon albern: Ein Patient bekommt einen Schlauch in den After, eine milchige Flüssigkeit läuft in den Darm – und soll dort Sauerstoff ins Blut transportieren. Doch was nach medizinischer Satire klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Japanische Forscher haben nun erstmals systematisch am Menschen getestet, ob sich der Darm im Notfall als Atmungsorgan nutzen lässt. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Fachblatt Med, geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Die Methode ist machbar und scheint in bestimmten Dosen sicher zu sein.

Wie soll das funktionieren?

Mediziner nennen das Verfahren „enterale Ventilation“. Der Gedanke dahinter: Die Darmwand ist von feinen Blutgefäßen durchzogen und dünn genug, um Gase auszutauschen. Statt Luft atmet der Patient dabei eine spezielle Flüssigkeit ein – genauer: Sie wird in den Enddarm eingeleitet. In den Experimenten kam Perfluordecalin zum Einsatz, eine Flüssigkeit, die extrem viel Sauerstoff binden kann und bereits in anderen medizinischen Bereichen erprobt wurde.

Das Prinzip ähnelt einem Einlauf, nur mit dem Ziel, Sauerstoff ins Blut zu schleusen – eine Art „Hintertür“ zur Atmung. Entwickelt wurde es nicht, um die Lunge zu ersetzen, sondern um sie in Krisensituationen zu entlasten.

Erste Studie am Menschen: Was wurde getestet?

In einer Phase-1-Studie untersuchten Forscher um Takanori Takebe von der Universität Osaka und dem Cincinnati Children’s Hospital, wie gesunde Freiwillige die Prozedur vertragen. 27 Männer im Alter von 20 bis 45 Jahren erhielten einmalig unterschiedliche Mengen der Flüssigkeit – von 25 Millilitern bis zu 1,5 Litern.

Das Ergebnis: Kein Proband erlitt schwerwiegende Komplikationen. Häufigste Nebenwirkungen waren Blähungen, Druckgefühl und leichte Schmerzen, die jedoch von allein abklangen. Die Leber- und Nierenwerte blieben stabil, und die Flüssigkeit gelangte kaum in den Blutkreislauf – ein wichtiger Sicherheitshinweis. Bei einigen Studienteilnehmern stieg sogar die Sauerstoffsättigung im Blut leicht an.

„Es ging in dieser Studie primär um die Sicherheit, nicht darum, Menschen bereits zu beatmen“, betont Takebe. Der nächste Schritt sei eine Studie mit sauerstoffangereicherter Flüssigkeit, um den Effekt auf die Sauerstoffversorgung genau zu messen.

Aus Spaß wird Ernst

Dass die Darmbeatmung heute ernsthaft diskutiert wird, hat mit einem ungewöhnlichen Preis zu tun: 2021 zeigten japanische Wissenschaftler in Tierversuchen, dass Mäuse, Ratten und Schweine in sauerstoffarmer Umgebung länger überleben, wenn sie Sauerstoff über den Darm aufnehmen. Dafür erhielten sie 2024 den Ig-Nobelpreis für Physiologie, eine Auszeichnung für Forschung, die „erst zum Lachen, dann zum Nachdenken anregt“.

Die nun veröffentlichte Studie am Menschen ist der nächste Schritt hin zu einer möglichen Anwendung in der Klinik.

Wozu könnte das gut sein?

Die Methode könnte künftig bei akutem Lungenversagen zum Einsatz kommen: etwa nach schweren Infektionen, Unfällen mit blockierten Atemwegen oder in Pandemie-Zeiten, wenn Beatmungsgeräte knapp sind. Auch bei Frühgeborenen, bei denen jede zusätzliche Sauerstoffquelle zählt, wird die Technik diskutiert.

Im Tierversuch verlängerte die Darmbeatmung bereits das Überleben von Schweinen unter Sauerstoffmangel. Die Prozedur ist vergleichsweise simpel: Ein Schlauch, eine Pumpe, eine oxygenierte Flüssigkeit. Kein Hightech-Beatmungsgerät nötig.

Noch viele Hürden

Dennoch: Bis zur klinischen Anwendung am Patienten ist es ein weiter Weg. Unklar ist noch, ob sich auf diesem Weg genug Sauerstoff übertragen lässt, um Leben zu retten. Zudem müssen praktische Fragen geklärt werden: Wie wird die Flüssigkeit aufbereitet und wieder entfernt? Wie verträglich ist die Methode auf Dauer? Und wie akzeptiert wäre eine Therapie, bei der man „durch den Hintern atmet“?

Die Forscher sehen die enterale Ventilation nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung bestehender Verfahren. Was heute noch wie eine Kuriosität klingt, könnte morgen schon ein lebensrettendes Werkzeug sein – für Momente, in denen jede Minute Sauerstoff zählt.