Wer in Berlin bei einer Praxis, die auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist, anruft, weil er sich gegen Affenpocken impfen lassen will, der wird, wenn er Glück hat, auf eine Warteliste gesetzt. Berliner Praxen fehlt es an Affenpocken-Impfstoff.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit erklärte gegenüber der Berliner Zeitung: „Wir haben früh erkannt, dass die Impfnachfrage in Berlin sehr hoch ist und wir deshalb mehr Impfstoff brauchen. Entsprechend haben wir an den Bund appelliert. Mit Erfolg: Vergangene Woche haben wir noch einmal 1900 Impfdosen zusätzlich bekommen (zu den bis dahin erhaltenen 9500). Aber auch das wird nicht ausreichen, weswegen wir außerdem eine Abfrage an die anderen Bundesländer gestartet haben. Längerfristig hilft nur die Lieferung der zweiten Tranche, die der Bund bestellt hat. Von der zweiten Tranche werden voraussichtlich 31,8 Prozent an Berlin gehen.“
Das Ministerium von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kann unterdessen noch nicht sagen, wann mit dieser Tranche zu rechnen ist.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) erfolgt eine Grundimmunisierung für Erwachsene, die in der Vergangenheit keine Pockenimpfung erhalten haben, mit zwei Impfstoffdosen Imvanex im Abstand von mindestens 28 Tagen. Während die erste Impfstoffdosis bereits einen guten Basisschutz vermittle, diene die zweite Dosis dazu, die Dauer des Impfschutzes zu verlängern. Bei Menschen, die in der Vergangenheit gegen Pocken geimpft worden seien, reiche eine Impfstoffgabe aus.
Laut RKI gibt es in Deutschland bisher 3242 Affenpockenfälle in allen 16 Bundesländern. Darunter sind elf Frauen betroffen. In Berlin wurden bislang 1522 Fälle registriert. Hier sieht die Senatsverwaltung auch einen Rücklauf der Infektionszahlen, was neben der Aufklärung auch an der Impfung liegt. Aktuelle registriert Berlin nicht mehr als 15 Infektionen pro Tag.
WHO zweifelt am Impfstoff
Aber warum impfen lassen, wenn laut Weltgesundheitsorganisation die Affenpocken-Impfung kein Allheilmittel ist? Nach Meldungen einiger Impfdurchbrüche betont die WHO-Affenpocken-Expertin Rosamund Lewis am Mittwoch bei einer Veranstaltung in Genf, dass noch keine randomisierten, kontrollierten Studien vorlägen. Aber die Meldungen würden nahelegen, dass man sich nicht auf den Impfschutz allein verlassen sollte.
Bei randomisierten kontrollierten Studien werden Teilnehmer nach Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt und unterschiedlich behandelt, zum Beispiel eine mit dem Medikament, die zweite mit einem Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Erst aus der Auswertung solcher Studien lassen sich Schlüsse über die Wirksamkeit einer Substanz ziehen.
„Wir haben von Anfang an gewusst, dass dieser Impfstoff kein Allheilmittel sein würde, dass er nicht alle Erwartungen erfüllen würde, die in ihn gesetzt werden“, sagte Rosamund Lewis von der WHO. Lewis betonte, dass Geimpfte mindestens zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis warten müssen, damit der Stoff seine volle Wirksamkeit entfalten könne, ehe sie sich riskantem Verhalten aussetzen.
WHO rät von Sexpartys ab
Schon in der Vergangenheit hat sich die WHO an schwule Männer und Männer, die Sex mit Männern haben gewandt. Denn mehr als 90 Prozent der registrierten Affenpockenfälle sind dieser Gruppe zuzuordnen. Lewis von der WHO rief diese Männer dazu auf, die Zahl ihrer Sexualpartner zu reduzieren und Gruppensex zu vermeiden.
Eine Stigmatisierung schwuler Männer, die von vielen Interessenverbänden scharf kritisiert wird. Es impliziert, dass eine Pockeninfektion nur auf schwule Männer und nur durch Sex unter Männern übertragen werden kann. Dies ist nicht der Fall, da ein Virus die sexuelle Identität eines Menschen nicht erkennen kann. Ob eine Infektion über das Sperma möglich ist, ist aktuell noch nicht geklärt. Untersuchungen haben ergeben, dass das höchste Übertragungsrisiko durch die Pocken auf der Haut und Schleimhaut entsteht.
Eine Übertragung des Virus kann zudem über Kleidung, Bettwäsche, Handtücher oder Gegenstände wie Essgeschirr und Smartphones erfolgen, die in Kontakt mit einer infizierten Person waren. Zu einer Ansteckung kommt es, wenn das Virus an die Schleimhäute von Auge, Mund, Nase, Genitalien oder Anus gelangt. Möglicherweise sind auch die Atemwege eine Eintrittspforte. Zudem kann das Virus über kleinste Hautverletzungen in den Körper eindringen.


