Einen Kaktus umarmen – mit diesem Bild wurde einmal das Problem der Eltern von Teenagern beschrieben. Diese finden plötzlich alles doof, auch ihre „Alten“. Sie maulen und streiten, knallen Türen. Und dennoch brauchen sie zugleich Trost, Unterstützung und Zuspruch.
Nun haben Forscher den Zustand der Lebenszufriedenheit von Menschen genauer untersucht. Und sie fanden heraus: Zu keiner anderen Zeit im Leben nimmt die Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein so steil ab wie in der Adoleszenz. Das zeige die Analyse deutscher und britischer Daten, wie die Wissenschaftler im Fachjournal Royal Society Open Science berichten. Bei Mädchen beginnt der Rückgang offenbar früher als bei Jungen, später gleicht sich die Entwicklung wieder an. Als Ursache vermuten die Wissenschaftler, dass Mädchen bestimmte Entwicklungsphasen wie die Pubertät früher durchlaufen als ihre männlichen Altersgenossen.
Meist werde die Lebenszufriedenheit in Studien erst ab einem Alter von 16 bis 18 Jahren erfasst, erläutern die Autoren um Amy Orben von der University of Cambridge in Großbritannien. Solche Studien ergeben vielfach eine paradox wirkende U-förmige Kurve: Die subjektiv empfundene Lebenszufriedenheit nimmt zunächst bis ins frühe und mittlere Erwachsenenalter ab, gefolgt von einem Wiederanstieg im höheren Alter – obwohl im mittleren Alter objektive Merkmale wie das Einkommen meist besser sind als zuvor und obwohl sich Einflussfaktoren wie die Gesundheit im Alter merklich verschlechtern.
Die Hirnentwicklung ist erst mit Mitte 20 abgeschlossen
Die neue Studie zeigt nun: Während der Adoleszenz – dem Alter von etwa zehn bis 24 Jahren – fällt die Lebenszufriedenheit am stärksten ab. „Wir finden eine nahezu universelle Abnahme der Lebenszufriedenheit während der Adoleszenz“, schreiben die Forscher. „Dieser Rückgang ist steiler als zu jedem anderen Zeitpunkt im Erwachsenenalter. Darüber hinaus deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Lebenszufriedenheit heranwachsender Mädchen geringer ist als die der Jungen, dass sich dieser Unterschied jedoch nicht bis ins Erwachsenenalter erstreckt.“ Die Studie unterstreiche die Bedeutung der Untersuchung des subjektiven Wohlbefindens von Jugendlichen, um Forschung, Politik und Praxis zu informieren.
Als Adoleszenz wird die Zeit von der späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum Erwachsensein mit weitgehender körperlicher, emotionaler und sozialer Reife bezeichnet. Fachautoren bezeichneten diese Phase im Ärzteblatt als „psychosoziale Pubertät“, in der wesentliche mentale und soziale Entwicklungsschritte erfolgten. Grundlegende körperliche Veränderungen fänden statt, zugleich stiegen die Anforderungen von Eltern, Schule und Gesellschaft an die Jugendlichen.
Oft spricht man vom Teenager-Alter oder der Pubertät, die nur einen Teil der Entwicklung ausmacht. Aus der Sicht der Hirnforschung sind die Veränderungen viel tiefgreifender. Es kommt zu einem Umbau des Gehirns (unter anderem mit einer Abnahme der grauen und einer Zunahme der weißen Gehirnsubstanz), der bis zu einem Alter von Anfang/Mitte 20 dauert. Neurobiologisch ist dann die Hirnentwicklung abgeschlossen.
Eine Zeit der erhöhten Risikobereitschaft und Lust an extremen Gefühlen
Forscher beschreiben, dass in dieser Umbauphase ein Ungleichgewicht zwischen dem „kognitiven Kontrollsystem“ des Gehirns und dem „affektiven System“ besteht. Das limbische System hat die Oberhand über den Präfrontalkortex. Es ist eine Zeit der erhöhten Risikobereitschaft und Lust an extremen Gefühlen. Entwicklungsgeschichtlich ist das durchaus sinnvoll, denn wer bald „in die Welt hinausziehen“, „auf eigenen Füßen stehen“ und „Abenteuer erleben“ soll, der braucht ein gewisses Maß an Sprunghaftigkeit und Risikofreude, die nicht jedes Mal durch das Kontrollsystem gebremst werden.
Bei der Suche nach einem eigenen Weg braucht es auch Ideen und Impulse, die Älteren vielleicht unvernünftig erscheinen. Diese „Sturm und Drang“-Zeit bringt aber auch all das mit sich, was die Eltern nervt: Motivations- und Stimmungsschwankungen. Erhöht ist auch die Anfälligkeit für affektive Störungen oder Störungen der Impulsregulation.
Für die aktuelle Studie zur Lebenszufriedenheit in dieser Zeit analysierten die Forscher Daten von mehr als 37.000 Jugendlichen aus Großbritannien und Deutschland im Alter von zehn bis 24 Jahren sowie von rund 95.000 erwachsenen Teilnehmern im Alter ab 25 Jahren. Genutzt wurden Angaben zur empfundenen Zufriedenheit aus der britischen Haushaltsbefragung „Understanding Society“ und der Langzeitstudie „SOEP“ (Sozio-oekonomisches Panel) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
Das Befinden in der Jugend wirkt sich aufs ganze Leben aus
Die Daten reichen bis ins Jahr 2018, beinhalten also nicht den Zeitraum der Corona-Pandemie. Auch andere äußere Einflüsse – wie die aktuellen Krisen – spielten noch keine Rolle. Sie könnten über Zukunftsängste und Sorgen die Lebenszufriedenheit zusätzlich verschlechtern. Doch bereits im Rahmen der britischen Isle-of-Wight-Studie (die von 1964 bis 1974 lief) berichteten etwa 40 Prozent der 14- bis 15-Jährigen über Gefühle des Unglücklichseins, 20 Prozent gaben Selbstwertkrisen an, und sieben Prozent hatten Suizidideen.
Das liegt zum großen Teil an den tiefgreifenden inneren Prozessen in der Adoleszenz, etwa im Gehirn, wie das Team um Amy Orben schreibt. Sie wirkten auf die kognitiven Fähigkeiten, das Sozialverhalten und die psychische Gesundheit – und das langfristig. Daher sei das Verständnis, wie sich das subjektive Wohlbefinden in der Adoleszenz entwickelt, wichtig für die Förderung des Wohlbefindens über den gesamten Lebensverlauf.
Warum aber nimmt die Lebenszufriedenheit gerade in dieser Lebensphase so drastisch ab? Dafür gebe es verschiedene mögliche Erklärungen, so die Wissenschaftler. „Erstens könnte der Rückgang der Lebenszufriedenheitswerte während der Adoleszenz darauf zurückzuführen sein, dass sich die Lebensbedingungen in dieser Zeit verschlechtern“, schreiben sie. Gemeint sind damit etwa die zunehmende soziale Unsicherheit, die stärkere Autonomie (mit der ja auch das Gefühl der Sicherheit und des Behütetseins zurückgeht) oder die Ungewissheit, was nach der Kindheit folgt. Die Unzufriedenheit könne auch „Folge bestimmter entwicklungsbedingter Veränderungen“ sein, etwa durch die Pubertät.
Bereits Siebenjährige sind unzufrieden mit ihrem Körper
Dass bei Jungen die Lebenszufriedenheit später abnimmt als bei Mädchen – was vor allem Daten aus Großbritannien zeigen –, könnte an der „beschleunigten Reifung“ heranwachsender Mädchen liegen. Viele Mädchen leiden unter den sichtbaren Folgen der Pubertät: weiblichere Formen und andere Veränderungen, gefolgt von Unsicherheiten im Alltag – etwa Sexismus und Belästigungen auf der Straße. Im Alter von elf bis 16 Jahren schämen sich 42 Prozent der Mädchen für ihr Aussehen. Das ergab vor einiger Zeit eine Umfrage der britischen Jugendhilfsorganisation Girlguiding unter rund 1600 Mädchen und Frauen im Alter von sieben bis 21 Jahren.
Verschärft wird die Unzufriedenheit heute offenbar sehr stark durch die sozialen Medien, die ein bestimmtes Körperbild vermittelten. „Schon im Alter von sieben Jahren sagt rund ein Fünftel der Mädchen, dass sie abnehmen wollen“, hieß es in einem Bericht zur Befragung. Dieser verwies auch auf eine zunehmende Zahl von Teenagern, die den Wunsch haben, operative Eingriffe vornehmen zu lassen, um ihr äußeres Erscheinungsbild verändern zu lassen, bis hin zum Intimbereich.
Der Rückgang der Lebenszufriedenheit bei Jungen dürfe aber auch nicht außer Acht gelassen werden, schreiben die Autoren der aktuellen britisch-deutschen Untersuchung. Männer haben zum Beispiel „eine höhere Inzidenz von externalisierenden Problemen“ als Frauen. Damit ist etwa gemeint, dass sie in der späteren Adoleszenz häufig Alkohol- und Drogenprobleme entwickeln, zu Störungen des Sozialverhaltens und Gewalt neigen.
Auch psychische Störungen nehmen in der Adoleszenz zu
Die Wissenschaftler vermuten, dass auch die Weiterentwicklung des „sozialen Gehirns“ im Jugendalter zu einer verstärkten Lebensunzufriedenheit beiträgt – etwa über eine verbesserte „Mentalisierung“, das heißt die Fähigkeit von Jugendlichen, zu verstehen, wie andere denken und fühlen. Die Gruppe der Gleichaltrigen spielt in dieser Zeit eine immer stärkere Rolle, und damit auch, wie man selbst wahrgenommen wird. Ablehnung, Kritik, Mobbing, Wettbewerbsdruck – all dies kann sich auf die Lebenszufriedenheit auswirken. Es sei eine Zeit, in dem man stärker sein Leben mit dem von anderen vergleiche und sich sozial neu orientiere.
Die Lebenszufriedenheit sei zwar nicht mit der psychischen Gesundheit identisch, schreiben die Forscher. Bei Jugendlichen nähmen aber psychische Störungen wie Depressionen oder Angstzustände deutlich zu und andere Formen des subjektiven Wohlbefindens ab.







