Die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion hat dazu geführt, dass wir den Bezug zu dem, was wir essen, heute fast verloren haben. Beim Einkaufen denkt doch kaum jemand an Kühe, wenn er Milch in seinen Wagen legt. Oder an einen Hühnerstall, wenn er Eier einkauft oder an einen Schlachthof, wenn er etwas Fleisch besorgt.
Doch das Interesse daran, woher unser Essen kommt, steigt. Auch interessieren sich immer mehr Menschen für Kleingärtnerei, heutzutage heißt das dann Urban Gardening. Letztlich ist es natürlich das gleiche. Genauso wie ein Start-up auch nur eine normale Unternehmensgründung ist. Hört sich natürlich alles ein bisschen edler an. Wenn es was hilft, gerne.

Urban Gardening und Fermentation ist wieder gefragt
Heute sind jedenfalls uralte Verarbeitungstechniken wie Fermentation, etwa bei Sauerteigbrot, Bier oder Sauerkraut, wieder total im Kommen. Nicht nur bei Ökos, sondern auch bei einer reichen Großstadtelite. Auch das altbewährte Einmachen, also das Konservieren unter Luftabschluss, wird wieder beliebter, und mehr und mehr Menschen wissen den ursprünglichen und kräftigen Geschmack hausgemachter Produkte zu schätzen.
Die Lebensmittelindustrie hat nämlich über viele Jahre immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner bedient. Nichts durfte geschmacklich zu sauer, scharf, herb sein. So entstand ein fader Einheitsbrei, alles sollte möglichst vielen Menschen gefallen. Problem: Auch wenn es nicht so schmeckt, Fertigprodukte enthalten viel Salz, Zucker und Fett, was dick macht. Außerdem starb das Handwerk vielerorts aus.

Das alte Handwerk kehrt in die Metropolen zurück
Der Markt – zumindest in Städten wie Berlin, Hamburg oder München – hat zusehends darauf reagiert. Es gibt wieder mehr und mehr handwerkliche Bäckereien und Metzgereien mit geschmacksintensiven Broten, gut abgehangenem Fleisch, Craft Beer, das kräftig schmeckt, Hot Sauces, die wieder richtig scharf sind oder Käse aus Rohmilch, der richtig intensiv würzig ist.
Sucht man allerdings nach richtig kräftigen und kreativen Chutneys, den marmeladenartigen Soßen der Inder, dann hat man ein Problem. Vereinzelt stolpert man in Feinkostläden über überteuerte Gläschen mit Birnen-Safran-Chutney oder Apfel-Senfkörner-Mischungen, alles in schönen Manufakturen gemacht. In Berlin-Mitte gibt es britische Industrieware im Supermarkt zu völlig überteuerten Preisen. Für Otto-Normalbürger kaum erschwinglich und schon gar nicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Chutney heißt einfach leckere Soße
Da muss man selber ran, wir leben in Zeiten von DIY (Do-it-yourself), und ein Chutney zu kochen ist gar nicht so schwer; dazu später mehr.
Chutney kommen ursprünglich vom indischen Subkontinent, und in den dortigen Sprachen, also vor allem Hindi, Bengali und Urdu, umschreibt das Wort einfach eine leckere Soße. In Indien gibt es unzählige Varianten, basierend auf Joghurt, Gurke, Nüssen, Früchten und so weiter. Die Auswahl ist gewaltig. In Europa verstehen wir vor allem süß-säuerliche, würzige bis scharfe Fruchtsoßen darunter. Meisten werden diese Soßen aus reifen Früchten gekocht, nicht selten Mango, und dazu gibt es Schalotten, Ingwer, Tamarinde, Zitrone, Koriander- oder Senfsaat und meisten Essig. Man könnte behaupten, all das haben diese Soßen gemein.
Beim Essen sind die kräftigen Chutneys vielseitig einsetzbar, sie passen zu allerlei gegrilltem Fleisch, zu Käse und manchmal sogar Fisch, verfeinern Salatsoßen oder Marinaden. Ich liebe sie zu würzigem Käse mit englischen Crackern oder zu herzhaften Merguezwürstchen. Gelegentlich verfeinere ich auch meinen Couscoussalat damit oder einen Kichererbsen-Aubergine-Salat.

Zu Fleisch, Käse, Burrata oder sogar rohem Fisch
Selbst zu rohem Fisch können sie passen, quasi ein indisches Sushi oder Ceviche. Obwohl wir Deutschen süß-saures Essen lieben (Sauerkraut, Gewürzgurken, Sauerbraten oder das beliebte Schweinefleisch süß-sauer beim Chinesen) sind Chutneys nicht so wirklich bei uns angekommen. Schon gar nicht sind sie so ein Renner wie in England. Dabei haben wir ausreichend heimisches Obst und Gemüse, um tolle Varianten zu machen.
Wie wäre es etwa mit einem Apfel-Ingwer-Chutney, aus regionalen Äpfeln und Zwiebeln, Apfelessig und sogar europäischem Ingwer. Das passt doch wunderbar zu einer geräucherten Forelle und einem Salat oder einfach zu einem Käsebrot. Oder ein Kirsch-Chutney mit knackigen Haselnüssen und mit heimischen Kirschessig gekocht. Das wäre ein schöner Begleiter zu einem veganen oder vegetarischen Buchweizensalat. Oder ein Tomaten-Chutney auf einer schön cremigen Burrata oder Büffelmozzarella? Klingt gut, oder?
Ja, die Möglichkeiten sind wieder einmal zahlreich. Hier ist Ihre Kreativität gefragt. Klar ist: Es lohnt sich, größere Mengen zu kochen, denn im Glas eingemacht ist das Chutney gut konserviert und gekühlt mindestens sechs Monate haltbar. Bei mir halten sie oft länger als ein Jahr. Hier also gleich zwei Chutneys für den Sommer:

Rhabarber-Chutney
Zutaten für 2-3 Weckgläser (je nach Größe): 3-4 Stangen Rhabarber, 75 g Zucker, 1 daumengroßes Stück Ingwer, 3 Schalotten (oder eine mittelgroße Gemüsezwiebel), 1 Knoblauchzehe, 2 Sternanis, 1/4 Vanilleschote, 100 ml Apfelessig, 50 ml Wasser, 1 Prise Salz, etwas Öl (Senföl wäre perfekt, aber jedes Pflanzenöl funktioniert).
Zubereitung: Wir schälen die Schalotten, den Knoblauch und den Ingwer und schneiden alles in sehr feine Würfel. Den Rhabarber schälen wir ebenfalls und schneiden ihn in etwa fünf bis sieben Millimeter große Würfel.
Dann beginnen wir und schwitzen in dem Öl die Zwiebeln, den Knoblauch und Ingwer an. Alles bei mäßiger Temperatur. Nach vier bis fünf Minuten geben wir den Zucker dazu und löschen dann mit dem Wasser und Essig ab. Nun kommt der Rhabarber mit rein. Alles vorsichtig köcheln lassen.
Dann die restlichen Zutaten hinzugeben und alles einkochen, bis eine dickflüssige und kompakte Konsistenz entsteht. Nehmen Sie sich etwas Zeit dazu, alles bei geringer Hitze machen. Das heiße Chutney dann gleich in die sauberen Gläser abfüllen und verschließen. Ich koche die Gläser dann meisten noch ab; der Schritt ist nicht unbedingt notwendig, aber so bleibt alles noch länger haltbar.
Tipp: Rhabarber-Chutney passt wunderbar zu brandenburgischem Käse oder zu gegrilltem weißen Spargel, den ruhig auch lauwarm servieren mit einem feinen Kräutersalat.

Stachelbeer-Chutney
Zutaten (für 2-3 Gläser, je nach Größe): 1 Schale reife Stachelbeeren, 75 g Zucker, 1 daumengroßes Stück Ingwer, 3 Schalotten (oder eine mittelgroße Gemüsezwiebel), 1-2 TL Senfsaat, Abrieb und Saft einer Limette, 1 TL Honig, 100 ml Weißweinessig, 50 ml Wasser, Salz und ordentlich Pfeffer (am besten weißen).
Zubereitung: Wir schälen die Schalotten, den Knoblauch und den Ingwer und schneiden alles in sehr feine Würfel. Die Stachelbeeren waschen und halbieren wir. Dann beginnen wir und schwitzen in dem Öl die Zwiebeln, den Knoblauch und Ingwer an. Alles bei mäßiger Temperatur. Nach vier bis fünf Minuten geben wir den Zucker dazu und löschen dann mit dem Wasser und Essig ab. Dann kommen die Stachelbeeren dazu. Wieder alles vorsichtig köcheln lassen.
Dann die restlichen Zutaten hinzugeben und alles einkochen, bis ein dickflüssige und kompakte Konsistenz entsteht, mit den Senfkörnern dauert das hier gut 15 Minuten. Nehmen Sie sich die Zeit dazu. Das heiße Chutney dann gleich in die sauberen Gläser abfüllen und verschließen.
Tipp: Dieses Chutney passt ganz wunderbar zu einer Burrata, aber auch zu einem mit Ziegenkäse überbackenen Baguette. Oder zu einem knackigen Mischsalat mit frischem Estragon und krossem Tofu.
Anmerkung: Falls Sie sich für weitere Chutney-Rezepte interessieren, vielleicht für das oben abgebildete Aprikosen- und Mango-Chutney, dann schreiben Sie uns gerne!
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