Vor genau drei Jahren, am 22. März 2020, einigten sich Bund und Länder auf jene Kontaktbeschränkungen, die man heute als ersten Corona-Lockdown bezeichnet. Er dauerte viele Wochen. Schrittweise Lockerungen gab es ab 4. Mai. Weitere Phasen intensiver Beschränkungen folgten. Sie trugen Namen wie „Lockdown light“, „harter Lockdown“ und „Bundesnotbremse“.
Zu den Maßnahmen des ersten Lockdowns gehörten: die Einführung eines Mindestabstands von mindestens 1,50 Metern, die Schließung von Gastronomie, Sportstudios und Geschäften, die Beschränkung von Kontakten auf den eigenen Hausstand – höchstens auf eine weitere Person. Schulen, Clubs, Theater und Kinos waren in Berlin bereits geschlossen. Und es gab auch Beschränkungen im Freien, zum Beispiel gesperrte Spielplätze.
Was davon war überhaupt sinnvoll? Dazu hat eine Expertengruppe eine Stellungnahme herausgegeben. Sie heißt „Lehren aus der Pandemie“. Zur 13-köpfigen Autorengruppe rund um den Kölner Mediziner Matthias Schrappe und den Freiburger Medizinstatistiker Gerd Antes – die bereits mehrfach mit kritischen Stellungnahmen aufgetreten sind – gehören neben Medizinern auch Politiker, ein Philosoph sowie mit Gerhard Scheuch ein bekannter Physiker mit dem Schwerpunkt Aerosolmedizin. Die Stellungnahme ist auf dem Portal sokrates-rationalisten-forum.de zu finden.
Bereits zu Pandemiebeginn gab es Wissen, das man hätte nutzen können
Zunächst bezweifeln die Autoren Aussagen über den Beginn der Pandemie wie „Man wusste ja noch nicht viel“ oder „So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie“, wie es der Philosoph Jürgen Habermas in einem Interview sagte. „Dieser Satz war damals und ist erst recht im Nachhinein betrachtet falsch“, schreiben die Autoren. Denn vieles von dem, was angeblich zur Bewältigung der Corona-Pandemie als Wissen neu erworben wurde, sei schon lange bekannt gewesen.
„Mit etwas mehr Aufrichtigkeit, Besonnenheit und Literaturstudium hätte man fast alles schon vorher parat haben können“, so die Autoren. Sie verweisen unter anderem auf die bereits seit mehr als zehn Jahren vorliegenden Empfehlungen zu einer Pandemiebewältigung, die neben „anderem unter dem Generaleindruck einer völlig neuen Herausforderung nicht berücksichtigt“ worden seien.
Neue Erkenntnisse zu völlig unterschiedlichen Infektionsverläufen
„Eine Infektion ist praktisch nicht zu verhindern“ – dies ist der erste Schluss, den die Autoren ziehen. Und zwar aus der bereits „von Influenzapandemien gut belegten Tatsache“, dass das Virus bei „aerogenen Infektionen“, im Gegensatz zum Beispiel zur Tuberkulose, praktisch nur über die Atemluft verbreitet werde.
Die Autoren beschreiben unter anderem, dass „Superspreader“ eine besondere Rolle bei der Verbreitung spielen, dass Infizierte schon vor der Erkrankung Viren „abatmen“ können, dass Corona- und Influenzaviren „mit einer Halbwertszeit von ca. einer Stunde in der Luft infektiös“ bleiben, dass manche Leute ansteckend sind, ohne selbst zu erkranken, und dass andere erkranken, ohne ansteckend zu sein. „Diese Heterogenität sind neue Erkenntnisse der Corona-Pandemie“, schreiben sie.
Sie schlussfolgern, dass „jeder Versuch einer Viruselimination durch radikale Quarantänemaßnahmen (Null- Covid-Politik) von vornherein zum Scheitern verurteilt“ gewesen sei. Eine vorbeugende Testung oder Quarantäne von infizierten Personen hemme die Ausbreitung praktisch nicht, weswegen diese Maßnahmen in der Breite sinnlos seien.
Quarantäne und Lockdown können die Viren nicht aufhalten
„Gleiches gilt für generelle Kontaktverfolgungen, denn diese erfassen immer nur einen eher kleinen Teil der Ausbreitungswege, deren Information ausschließlich in Studien sinnvoll ist.“ Landesweite Lockdown-Maßnahmen sowie Grenz-, Schul-, Universitäts- oder Kitaschließungen seien in der Regel nicht erforderlich. „Bei der Corona-Pandemie waren sie wirkungslos.“
Das hat gewiss auch damit zu tun, dass bei einer Pandemie ein neuartiges Virus auf eine Bevölkerung trifft, die bisher noch keinen Kontakt damit hatte und weitgehend ungeschützt ist. Und da man das Virus nicht mehr aus der Welt schaffen kann, folgt eine Welle auf die andere. Ein Lockdown kann die Infektionen zwar hinauszögern, aber nicht verhindern. Wie ja auch die Entwicklung in China zeigt.
Die Autoren räumen ein, dass der Schweregrad der Entwicklung der Pandemie anfangs nicht absehbar gewesen sei. „Etwa bis zum zweiten Halbjahr 2020 jedoch zeigte sich, dass keine bundesweite Überfüllung der Kliniken und insbesondere keine der Intensivstationen vorlag“, schreiben sie. Was natürlich auch an den Einschränkungen des Zusammenkommens größerer Menschengruppen im Frühjahr gelegen haben könnte.
Mit Blick auf die Pandemie insgesamt aber fassen die Autoren zusammen: „Die Ausbreitung der Viren durch die Atemluft ist nicht zu verhindern; eine Pandemie werden wir nicht unterbinden können. Nur bei drohendem Kollaps der kritischen Infrastruktur und vor allem der medizinischen Versorgung sollten und müssen Maßnahmen zur Verzögerung erwogen werden.“
Todesrate lag bei invasiv beatmeten Patienten deutlich höher
Zur Frage, ob es nicht doch angebracht gewesen sei, den Pandemieverlauf zu verzögern, bis eine Impfung oder wirksame Medikamente zur Verfügung standen, äußern sich die Autoren nicht. Auch nicht zu Erfahrungen vieler Mediziner, die in Kliniken bis zur totalen Erschöpfung arbeiteten.
Stattdessen stellen sie manche intensivmedizinische Behandlung infrage. Die Überlebensrate sei deutlich höher gewesen, „wenn Patienten mit Covid-19 (Lungenentzündung mit isoliertem Sauerstoffabfall im Blut) nicht auf solche Intensivstationen kamen, die bereits bei geringem Sauerstoffabfall intubierten und beatmeten oder gar eine extrakorporale Sauerstoffversorgung (Ecmo) anwendeten“, schreiben sie.
„Bei vergleichbarem Schweregrad lag die Mortalität bei Covid-19 auf Intensivstationen in Deutschland mit invasiver Beatmung konstant über 60 Prozent. Wurde nicht invasiv beatmet, lag die Todesrate konstant unter 10 Prozent.“ Die Autoren verweisen auf entsprechende Studien.
Hauptziel ist Verringerung der Virenlast, nicht Vermeidung der Ansteckung
„Das Hauptziel einer Pandemiebewältigung muss in der Reduktion der Virenlast bei einer Ansteckung bestehen und nicht in der Vermeidung der Ansteckung“, lautet eine Kern-Erkenntnis der Autoren. Denn die Schwere der Infektion und die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs würden davon beeinflusst, welche Virusmengen man aufnehme. Auch Spätfolgen wie Long Covid korrelierten „grob mit der Schwere des Krankheitsverlaufes“.
In diesem Zusammenhang analysieren die Autoren auch den Nutzen der Masken. Die Maskenpflicht habe keinen relevanten Einfluss auf die Infektionshäufigkeit gehabt, also Ansteckungen kaum verhindert, schreiben sie. Ein wirksamer Effekt der Masken liege aber in einer Verringerung der Virusmenge. So hätten chirurgische Gesichtsmasken und FFP2-Masken die abgeatmete und die inhalierte Virenmenge um 50 bis 70 Prozent reduziert, so die Autoren.
Masken können vor schweren Verläufen und Todesfällen schützen
Masken schützten beim korrekten Tragen „in erster Linie vor schweren Verläufen bis hin zu Todesfällen“. Dies sei aber nur in Innenräumen sinnvoll, vor allem, wenn viele Personen anwesend seien. Auch die gute Lüftung von Innenräumen und der Einsatz von Luftreinigern hätten einen Effekt. Man müsse dabei die Qualität des Luftaustauschs mit preiswerten Kohlendioxid-Monitoren erfassen. Als wirkungslos bezeichnen die Autoren dagegen Plastikschilde zum Beispiel an Verkaufstheken oder in Bussen.
Ein Pandemievirus könne im Grunde alle Altersgruppen betreffen, schreiben die Autoren. Auch junge Menschen könnten gefährdet sein, wie etwa die Spanische Grippe von 1918/19 zeigte. „2017/18 sollen weltweit 30.000 Kinder an der Influenza gestorben sein.“ Bei der Corona-Pandemie wiederum zeigte sich, dass viele Ältere von schweren Verläufen und Todesfällen betroffen waren.
Für Risikogruppen braucht es spezielle Schutzkonzepte
Die Autoren plädieren dafür, dass Risikogruppen in der Pandemie „individuell zugeschnittene Schutzkonzepte bekommen“, die vor allem darauf ausgerichtet sind, die „infektiöse Last“ zu reduzieren. Dabei sehen die Autoren es als besonders wichtig an, kurze Kontaktzeiten anzustreben.
Kontakte von wenigen Minuten stellten üblicherweise keine Gefahr dar, da die inhalierte Dosis zu gering sei. „Sind Personen im Raum, die Viren abatmen, so steigt die Viruslast im Atemtrakt mit dem Quadrat der Zeit“, schreiben sie. „Ein Beispiel: In einer Schulklasse mit einer Unterrichtszeit von ca. 35 Minuten beträgt die Gesamtbelastung nur knapp die Hälfte im Vergleich zu einer von 45 Minuten. Natürlich muss in der Pause immer gut gelüftet werden.“
Abstandsregeln sind sinnlos, es geht um kurze Kontaktzeiten
Eine Abstandsregelung sei nur bei Erregern sinnvoll, die vorwiegend durch Husten übertragen werden wie etwa bei Tuberkulose. Bei Corona dagegen verbreiteten sich die Viren mit der Atemluft rasch im Raum, vergleichbar etwa mit Zigarettenrauch.
Als unklug wird die Regelung bezeichnet, die Maske in Räumen (zum Beispiel in Restaurants und Sitzungssälen) dauerhaft abzunehmen, sobald man sich hingesetzt hatte. „Es wäre besser gewesen, sie nur bei der Nahrungsaufnahme abzunehmen“, so die Autoren. „Das Abnehmen der Masken in schlecht belüfteten Innenräumen hat vermutlich die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle erhöht, da bei einer hohen Viruslast im Raum die inhalierte Dosis deutlich höher war.“
„Im Freien sind keine Vorsichtsmaßnahmen erforderlich“, weil die abgeatmete Luft schneller nach oben steige und auch sofort verdünnt werde, lautet eine weitere Schlussfolgerung. Auch Masken seien „für draußen“ vollkommen sinnlos. Ebenso Maßnahmen wie die Schließung von Spielplätzen, nächtliche Ausgangssperren und ähnliches.
Desinfektion von Händen und Flächen bringt bei Sars-CoV-2 nichts
Bei Sportveranstaltungen selbst – etwa in Fußballstadien – gebe es auch keine Infektionsgefahr, „jedoch bei der Anreise in öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar im Pkw mit fremden Personen sowie auch bei längerem Aufenthalt in Stadiontoiletten oder schlecht gelüfteten Zugängen“. Hier könnten Masken zur Reduktion der Virenlast sinnvoll sein.
Weitere Lehren aus der Pandemie: „Oberflächen- und Händedesinfektion ist bei aerogen übertragenen Viren nicht sinnvoll.“ Diese Aussage führt die zum Teil exzessive Nutzung von Desinfektionsspendern ad absurdum. Zu Krankschreibungen und Quarantäne erklären die Autoren: „Da die Virusausbreitung nicht verhindert werden kann, ist eine Krankschreibung nur für tatsächlich Erkrankte sinnvoll. Quarantänemaßnahmen helfen ebenfalls nicht, da die Infizierten oft nicht oder kaum noch ansteckend sind und umgekehrt viele Personen das Virus verbreiten, bevor sie krank werden.“
Quarantäne und Lockdown könnten also entfallen – „zumal sie zusätzlich soziokulturelle Schäden und Erhöhung der Mortalität durch verzögerte Diagnostik und Therapie anderer Erkrankungen verursachen können, wie die jetzige Pandemie eindrucksvoll gezeigt hat“.
Statt Nachverfolgung durch Gesundheitsämter braucht es Kohortenstudien
Kritik üben die Autoren auch an der Kontrolle der Infektionsverläufe und Modellierungen. „Eine landesweite Kontrolle der Infektionsverläufe, zum Beispiel durch Gesundheitsämter, ist illusorisch“, schreiben sie. Allerdings sollten die permanent anfallenden Routinedaten zur Gesundheitsversorgung in miteinander vernetzten Datenbanken erfasst werden, was bisher komplett fehle.
„Einfache Modellierungen der Infektionsverläufe“, die die Komplexität der Pandemie nicht erfassten, seien sinnlos. Stattdessen brauche es angemessen große Kohortenstudien, so die Autoren. „Zur Überwachung einer Pandemie sind wenige, über das Land verteilte ausreichend große Kohorten erforderlich, in der die relevanten Daten prospektiv und mit hoher überprüfbarer Qualität erfasst werden.“
Effizienz der Impfungen kann nicht wissenschaftlich bewertet werden
Zu den Corona-Impfungen schließlich schreiben die Autoren: „Eine Impfung gegen respiratorische Viren kann Infektionen verhindern, Verläufe abmildern und Todesfälle reduzieren.“ Allerdings sei die Effizienz nur durch randomisierte und kontrollierte Studien, also mit einer Placebo-Impfgruppe, zu bestimmen. Erst dann könne man wirklich sagen, welch einen Effekt die Impfungen hatten.
Allerdings wurden die Impfungen per „Notfallzulassung“ und „bedingter Zulassung“ eingeführt, um möglichst viele Menschen vor schweren Corona-Verläufen zu schützen. Forschern zufolge war es ethisch nicht vertretbar, in einer solchen Situation noch Placebo-Impfstoffe zu injizieren, zumal bei Menschen, die damit gar nicht rechnen und auf die Impfung vertrauen.
Gut durchdachte und vorurteilsfrei geplante Konzepte für die sicher kommende neue Pandemie seien bereits jetzt erforderlich, schreiben die Autoren zum Schluss. „An den zumeist harmlos verlaufenden Grippepandemien kann die Funktionalität exemplarisch getestet werden.“













