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Wie das Badezimmer in Berliner Wohnungen Einzug hielt

Früher wusch man sich zu Hause mit Wasser aus einer Schüssel. Oder badete in einer in der Küche aufgestellten Wanne. Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich das.

Heut nehm ich ein Bad! Mit diesen „Badeapparaten“ im eigenen Haushalt warb die Firma Moosdorf & Hochhäusler in der Illustrirten Zeitung 1899. In Berlin hatte sie zwei Filialen.
Heut nehm ich ein Bad! Mit diesen „Badeapparaten“ im eigenen Haushalt warb die Firma Moosdorf & Hochhäusler in der Illustrirten Zeitung 1899. In Berlin hatte sie zwei Filialen.ullstein-bild/Historisches Auge

Die Wände schillern golden, ein Kronleuchter funkelt über der frei stehenden Badewanne, daneben steht ein lilafarbener Samtsessel mit Fußbank. Nebenan geht es minimalistischer zu: graue Fliesen, weiße Wanne, mattschwarze Armaturen. Schätzungsweise drei Dutzend Nischen hat eine Berliner Sanitärfirma in einem Gebäude in Tempelhof mit Musterbädern ausstaffiert. Waschschalen haben Becken abgelöst, ebenerdig zugängliche Duschkabinen sind hier Standard. Oder darf’s vielleicht eine kleine Infrarotkabine sein?

Wir schreiben das Jahr 2022. Auffällig ist: In fast jedem Musterbadezimmer befindet sich eine Sitzgelegenheit. „Der Installateur ist heute beinahe schon ein Inneneinrichter“, sagt Ralf Leuthäuser, der stellvertretende Obermeister der Berliner Sanitärinnung. Längst gehe es nicht mehr um profane Nasszellen, sondern um Wohnlichkeit und Wellness.

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Berliner Verlag/Coverfoto: Yva
So wohnte Berlin
Es ist ein Urbedürfnis des Menschen: ein Dach über dem Kopf. Darunter findet sich Geborgenheit aber nicht von allein. „Ein Haus wird gebaut, aber ein Zuhause wird geformt“, wie das Sprichwort besagt. Ein Zuhause in Berlin war schon immer in vielerlei Hinsicht besonders.

Das neue B HISTORY mit dem Titel „Zu Hause in Berlin“, aus dem dieser Artikel stammt, bietet akribisch recherchierte, opulent illustrierte und mitreißend erzählte Berliner Wohngeschichte(n).

Das Geschichtsmagazin der Berliner Zeitung – 124 Seiten mit 277 Abbildungen – gibt es im Einzelhandel für 9,90 Euro, im Leserservice unter der Telefonnummer +49 30 2327-77 und unter der E-Mail-Adresse leserservice@berlinerverlag.com zuzüglich Versandkosten sowie im Aboshop.

Das Bad zu Hause weiß der Mensch seit der Antike zu schätzen: Archäologische Funde belegen, dass die Paläste der sagenumwobenen Herrscher von Mesopotamien bereits im Jahr 4500 vor Christus Badezimmer mit Wannen aus Ton hatten. Und im frühen Griechenland war es Brauch, dem Gast ein Bad zu bereiten.

Mitteleuropa saß diesbezüglich lange auf dem Trockenen. Wer im Mittelalter der Körperhygiene frönen wollte, suchte eine öffentliche Badestube auf, sehr zum Missfallen der Kirche, die das als unsittlich, ja schädlich geißelte. Seuchenausbrüche in der Folgezeit brachten die Stuben der Reinigung endgültig in Verruf, sodass viele im 15. und 16. Jahrhundert schließen mussten.

Zu Hause wusch man sich mit einfachsten Mitteln, „mit einem Eimer oder einer Schüssel, gefüllt mit sauberem Wasser“, wie im Museum der Badekultur im nordrhein-westfälischen Zülpich zu erfahren ist. „Aus der Schüssel und dem darunter befindlichen Möbel wurde mit der Zeit ein Waschtisch. Er stand meistens im Schlafzimmer“ (heutzutage ist es Trend, eine Badewanne im Raum mit dem Bett stehen zu haben, was sich „en suite“ nennt).

Der Waschtisch war auch in Berliner Wohnungen üblich, das änderte sich allmählich ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1854 ging das erste Wasserwerk in Betrieb; und 1874 verpflichtete eine Polizeiverordnung die Hausbesitzer, ihre Gebäude an die Wasserversorgung anzuschließen. Das Badezimmer blieb dennoch vorerst ein Luxus. Wer sich gründlich, von Kopf bis Fuß, waschen wollte (meist einmal die Woche), stellte eine Zinkwanne in die Küche und füllte sie mit Wasser, das in Eimern mühsam in die Wohnung geschleppt und in Töpfen auf dem Herd erhitzt wurde.

Nur wenige Berliner verfügten Anfang des 20. Jahrhunderts über ein Badezimmer. Daher nutzten sie Volksbadeanstalten (hier im Admiralspalast, 1911), in denen sie auch ein Dusch- oder Wannenbad nehmen konnten.
Nur wenige Berliner verfügten Anfang des 20. Jahrhunderts über ein Badezimmer. Daher nutzten sie Volksbadeanstalten (hier im Admiralspalast, 1911), in denen sie auch ein Dusch- oder Wannenbad nehmen konnten.ullstein-bild/Waldemar Titzenthaler

Die Erfindung des Badeofens Ende des 19. Jahrhunderts machte vieles leichter. Die modern gewordene Reinigungsprozedur regte die Fantasie von Tüftlern an, die sich allerlei kuriose Apparate ausdachten. Beheizbare Sitzbadestühle beispielsweise. Ein Verkaufsschlager war zeitweise die Wellenbadschaukel, die der Berliner Klempner Carl Dittmann 1889 auf den Markt brachte: ein Blechgehäuse mit gewölbtem Boden, in dem sich durch stetiges Schaukeln ein mehr oder weniger starker Wellengang erzeugen ließ. Nur eine Minderheit der Berliner konnte sich das leisten.

Bewohner großer Mietskasernen nutzten die Waschküchen, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die Keller oder Erdgeschosse nachträglich eingebaut worden waren; sie badeten dort nach einem Belegungsplan. Andere mieteten ein Wannen- oder ein Brausebad in einer jener Volksbadeanstalten, die damals in Mode kamen.

Wie gefragt diese waren, zeigen die Zahlen, die Stadtbaurat Ludwig Hoffmann, Architekt des 1898 bis 1901 errichteten Baerwaldbades in Kreuzberg, für die ersten neun Monate festhielt: Täglich nutzten um die 650 Frauen und Männer die Badewannen und Duschbäder.

Ein Badezimmer in der Wohnung zu haben, gehörte in bürgerlichen Kreisen zunehmend zum guten Geschmack, auch angeregt durch die Ausstattung der Grand Hotels. Wenngleich: Die Auswirkungen erhitzten so manches Gemüt. „Es gibt nun tatsächlich viele Leute, die mit dem Wasser eine ganz unverantwortliche Verschwendung treiben und dadurch in der willkürlichsten Weise über den Geldbeutel ihres Hauswirts verfügen“, beklagte die Deutsche Hausbesitzer-Zeitung 1908. Anlass für ihre Schelte war ein Streit zwischen einer Charlottenburger Hausbesitzerin und ihrer Mieterin, die es mit der Körperhygiene wohl übertrieben hatte. Die Vermieterin soll ihr angesichts des Wasserverbrauchs vorgeworfen haben: „Anständige Damen baden nicht alle Tage!“

Im Jugendstil präsentiert sich dieses braun-blaue Badezimmer in der Villa Borsig am Tegeler See, die 1913 bezogen wurde. Die Wanne befindet sich durch ihren Nischenstandort im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Im Jugendstil präsentiert sich dieses braun-blaue Badezimmer in der Villa Borsig am Tegeler See, die 1913 bezogen wurde. Die Wanne befindet sich durch ihren Nischenstandort im Zentrum der Aufmerksamkeit.WikiCommons/A. Savin

Nur 13,3 Prozent aller Berliner Wohnungen verfügten 1910 über separate Badezimmer (oder Toiletten) – 60,2 Prozent hingegen waren es im wohlhabenden Tiergartenviertel. In den folgenden fünfzehn Jahren verdoppelte sich die Quote. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten alle Neubauten funktionale Badezimmer, damals „Nasszellen“ genannt.

In den badlosen Altbauten hingegen war Fantasie gefragt. Im Zuge der Gentrifizierung dürften auch die letzten Behelfsduschen in Küchen oder früheren Speisekammern wegsaniert worden sein. Auswahl für solche Projekte haben Bauherren reichlich: Ein Badausstatter bietet in seinem Katalog 4,5 Millionen Artikel an. Ein Kompaktbad mit Dusch-WC, einer Kombination aus Toilette und Bidet, gibt es hier ab 12.000 Euro, das Premiumbad mit Lichtkonzept und Einbaulautsprechern ab 25.000 Euro. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Vergoldete Wasserhähne inklusive.


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