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31. März 1983 in Berlin: Die New-Wave-Band Ideal macht Schluss mit lustig

Mit ihrem mitreißenden Sound war die Band ein Fixstern der Neuen Deutschen Welle. Ihr Ende kam vor genau 40 Jahren – abrupt und per Telex.

Gestatten, Ideal: Frank Jürgen „Eff Jott“ Krüger (Gitarre, Gesang), Ernst Ulrich Deuker (Bass, Gesang), Annette Humpe (Gesang, Keyboards) und Hans Behrendt (Schlagzeug). Das Quartett spielte nur drei Jahre zusammen, dafür aber sehr erfolgreich.
Gestatten, Ideal: Frank Jürgen „Eff Jott“ Krüger (Gitarre, Gesang), Ernst Ulrich Deuker (Bass, Gesang), Annette Humpe (Gesang, Keyboards) und Hans Behrendt (Schlagzeug). Das Quartett spielte nur drei Jahre zusammen, dafür aber sehr erfolgreich.ullstein bild/ArenaPAL/Joe Bangay

Ein kopfloser Oberkörper, der sich um den Kragen seines weißen Hemds eine Krawatte bindet: Die Platte mit diesem Cover durfte Anfang der Achtzigerjahre auf keiner unserer Partys fehlen.

Und fast jedes Mal, wenn ein ungeübter oder bierseliger DJ aus unserer Clique – meist war Letzteres der Fall – die Scheibe auflegte, kamen die ersten Takte des Openers „Berlin“ aus den Boxen nicht geschossen, sondern geleiert. Belustigtes Aufstöhnen, ein schneller Handgriff und dann gehetztes Mitsingen: „Bahnhof Zoo, mein Zug fährt ein / Ich steig aus, gut, wieder da zu sein / Zur U-Bahn runter am Alkohol vorbei / Richtung Kreuzberg, die Fahrt ist frei“.

„Ich fühl' mich gut, ich steh' auf Berlin!“ Das Debütalbum von Ideal ist ein cooles Stück Musikgeschichte. Es erschien im November 1980. Bettina Sefkow gestaltete das Plattencover.
„Ich fühl' mich gut, ich steh' auf Berlin!“ Das Debütalbum von Ideal ist ein cooles Stück Musikgeschichte. Es erschien im November 1980. Bettina Sefkow gestaltete das Plattencover.Discogs

Diese Langspielplatte hat eine technische Besonderheit: Man darf sie nicht mit 33, man muss sie mit 45 Umdrehungen pro Minute abspielen, also der für Singles vorgesehenen Geschwindigkeit. Die Produzenten erhofften sich dadurch Klangvorteile, hatten damit aber keinen Erfolg. Die Band indes hatte ihn. Ihr Name: Ideal.

Ideal sind die wohl bekanntesten Vertreter der Neuen Deutschen Welle (NDW), die Anfang der 1980er zu ihrem kommerziellen Höhepunkt schwappte. Annette Humpe (Gesang, Keyboard), Frank Jürgen „Eff Jott“ Krüger (Gitarre, Gesang), Ernst Ulrich Deuker (Bass, Gesang) und Hans Behrendt (Schlagzeug) gründeten ihren Erfolg auf einen minimalistischen, aber mitreißenden Sound und einfache, aber aussagekräftige Texte über das Lebensgefühl ihrer Zeit. Sie beeinflussten mit ihrem Punk-New-Wave-Pop-Schlager-Mix viele andere Musikgruppen und Interpreten der NDW. Ihre zur Schau getragene Coolness bewog die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu schreiben, das Quartett hätte „auch als Tanzband beim Untergang der Titanic spielen können“.

Auftritt von Ideal 1981: „Eff Jott“ Krüger singt, Annette Humpe staunt, Schlagzeuger Hans Behrendt und Bassist Ernst Ulrich Deuker scheint’s total egal.
Auftritt von Ideal 1981: „Eff Jott“ Krüger singt, Annette Humpe staunt, Schlagzeuger Hans Behrendt und Bassist Ernst Ulrich Deuker scheint’s total egal.ullstein bild/s.e.t.

Die Gruppe formierte sich im Frühjahr 1980 um Annette Humpe. Für den Namen hatten sie anfangs drei Optionen: Deutsche Bundesband, Optimal und Ideal. Humpe hatte Klavier und Komposition in Köln studiert und war 1974 nach Berlin gezogen. Mit der Band Neonbabies, in der auch ihre Schwester Inga spielte, erzielte sie Ende der Siebzigerjahre erste Erfolge. Einen Teil des Repertoires übernahmen Ideal, zum Beispiel den später erfolgreichen Song „Blaue Augen“, das erste Liebeslied, das Annette Humpe schrieb: „Doch deine blauen Augen machen mich so sentimental / So blaue Augen / Wenn Du mich so anschaust, wird mir alles and’re egal / Total egal“.

Ein Konzert vor dem Reichstag am 30. August 1980 rückte Ideal auf die Erfolgsspur: Als Vorgruppe von Barclay James Harvest spielten sie vor etwa 175.000 Zuschauern. Die TV-Nachrichtensendungen „Tagesschau“ und „Heute“ berichteten über das Spektakel. Im selben Jahr schrieb die Band den Soundtrack zu Rosa von Praunheims Film „Rote Liebe“.

Ein Album herauszubringen, das gestaltete sich allerdings schwierig. Musikverleger Klaus D. Mueller, der Entdecker der Band, bekam von bekannten Plattenlabels nur Absagen. Er wandte sich daher an seinen Freund Klaus Schulze, einen Pionier der elektronischen Musik, der 1978 das unabhängige Label IC mitbegründet hatte. Die Band brachte dort im November 1980 ihr Debütalbum „Ideal“ heraus.

Viele Songs dieses Albums entwickelten sich zu Evergreens. „Berlin“ und „Blaue Augen“ gehören dazu, aber auch „Rote Liebe“: „Ich will wie neu sein / Will nicht mehr treu sein / Mal Mann, mal Frau sein / Naiv und schlau sein“. Oder „Hundsgemein“: „Du hast im Ritz gesessen / Echten Lachs gegessen / Alles ohne mich!“ Oder „Irre“: „Heut liebst du mich total und morgen kannst du mich nicht sehen / Und übermorgen ist es dir egal“.

Das Debütalbum von Ideal aus dem Jahr 1980, hier Seite 1, ist ein Klassiker der Neuen Deutschen Welle.
Das Debütalbum von Ideal aus dem Jahr 1980, hier Seite 1, ist ein Klassiker der Neuen Deutschen Welle.Karle Horn/CC BY 3.0

Das Debütalbum „Ideal“ stieg bis Juni 1981 auf Platz 3 der deutschen LP-Charts, wurde erst mit der Goldenen Schallplatte und schließlich mit Platin ausgezeichnet. Es folgten zwei weitere Studioalben. „Der Ernst des Lebens“ erschien im Oktober 1981, kletterte bis auf Platz 4 und erhielt letztlich ebenfalls Platin. Der ausgekoppelte Song „Eiszeit“ hielt sich 20 Wochen in den deutschen Charts, er ist damit hierzulande der erfolgreichste der Band: „Alle Worte tausendmal gesagt / Alle Fragen tausendmal gefragt / Alle Gefühle tausendmal gefühlt / Tiefgefroren – tiefgekühlt“. Das dritte Album „Bi Nuu“ kam im Dezember 1982 auf den Markt, blieb aber mit Platz 20 hinter den Erwartungen zurück.

„Die Luft ist raus“, stellten Ideal selbstkritisch fest. Das Quartett sagte eine geplante weitere Deutschlandtournee ab. Und gab am 31. März 1983 per Telex bekannt, sich zu trennen: „Ideal war von Beginn an als ein Projekt geplant, eine Arbeitsgemeinschaft, die so lange bestehen sollte, wie die Unterschiede der einzelnen Mitglieder die Arbeit spannend und kreativ machte. Unsere Musik war immer ein Resultat der Auseinandersetzung von vier verschiedenen Persönlichkeiten, nicht um Kompromisse, sondern um Songs zu (er-)finden, auf die jeder stehen konnte. In drei tollen Jahren haben wir aus dieser Konstellation das Beste rausgeholt.“ Die Band veröffentlichte drei Monate später noch ein Livealbum als „Andenken, Abschiedsgruß und Dankeschön an die Fans“. Das war’s.

Annette Humpe fühlte sich als Frontfrau auf der Bühne nie wohl. „Es war ja von Anfang an allen klar, dass ich nicht so ein Singezahn bin, der da vorne blond vorm Mikrofon steht“, sagte sie in einem Interview mit dem Deutschlandfunk 2016. „Ich kann gut Songs schreiben und arrangieren und Konzepte machen. Aber ich war nie glücklich mit meiner Stimme. Und ich finde, dass ich mich nicht gut bewege. Ich bin wirklich keine Rampensau, sondern möchte am liebsten mit dem Rücken zum Publikum stehen.“

Als Produzentin setzte Annette Humpe ihre Karriere fort. Sie arbeitete beispielsweise mit Rio Reiser, Die Prinzen oder DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl), auch mit Max Raabe. Und bildete zwischenzeitlich mit Adel Tawil das erfolgreiche Duo Ich & Ich. „Meine besten Lehrmeister sind die Beatles, weil ich alles nachgespielt hab auf dem Klavier, mit meiner Schwester zweistimmig gesungen“, sagte sie dem Deutschlandfunk. „Und da habe ich das meiste gelernt, auch was ein guter Song ist.“

Ideal waren übrigens nur in Deutschland und Österreich erfolgreich. Keines ihrer Alben und keiner ihrer Songs schaffte es in den USA oder Großbritannien in die Charts. Hundsgemein. Irre.