B HISTORY: Liebe, Lust & Laster

Frivole Lokale an der Spree: So war früher das Nachtleben in Berlin

Eldorado in den 1920ern, Rolf Eden in den 1970ern, KitKat seit 1994: An der Spree wird Sextainment groß geschrieben. Wir stellen die ikonischen Lokalitäten vor.

Frau oder Mann? Völlig egal im Travestielokal Eldorado in der Schöneberger Lutherstraße, heute Martin-Luther-Straße, hier im Jahr 1926.
Frau oder Mann? Völlig egal im Travestielokal Eldorado in der Schöneberger Lutherstraße, heute Martin-Luther-Straße, hier im Jahr 1926.Elli Marcus / ullstein-bild (erschienen in: Der Querschnitt, 2/1931)

Erotische Vergnügungslokale gehören zur DNA dieser Stadt. Heute heißen sie Berghain, About Blank oder Insomnia. Doch auch vor hundert Jahren gab es bereits frivole Lokale an der Spree, damals meist „Dielen“ genannt. Es gab Tanzdielen und Vergnügungslokale für Männer, Frauen oder Transvestiten, die als „intime Treffunkte“ in einschlägigen Zeitschriften um eine amüsierbereite Kundschaft warben. Fetischfaibles konnten schon damals in Darkrooms ausgelebt werden. Es gab wirklich alles, was Berlin-Besucher aus der Provinz verstörte (und magisch anzog). Denn eins war Berlin nie: verklemmt. In der aktuellen Ausgabe unseres Geschichtsmagazins B HISTORY stellen wir Berlins frivolste Lokale der letzten einhundert Jahre vor. Enjoy. 

Eldorado

Tja, wer hat hier einen Penis? An der Bar im Travestielokal Eldorado in der Motzstraße in Schöneberg, 1920er-Jahre.
Tja, wer hat hier einen Penis? An der Bar im Travestielokal Eldorado in der Motzstraße in Schöneberg, 1920er-Jahre.Herbert Hoffmann/dpa/ullstein-bild

„Ein ganz mädchenhafter Revuestar tanzt unter dem Scheinwerferlicht weiblich graziös Pirouetten. Er ist nackt bis auf die Brustschilde und einem Schamgurt, und selbst diese Nacktheit ist noch täuschend, sie macht den Zuschauer noch Kopfzerbrechen, sie lässt noch Zweifel, ob Mann, ob Frau.“

So beschreibt Curt Moreck 1931 in „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin“ eine Aufführung im Travestie-Lokal „Eldorado“ in der Schöneberger Lutherstraße 31/32 (heute Martin-Luther-Straße), gegenüber dem einst so berühmten Restaurant Horcher. Das Hauptprogramm besteht jedoch aus Flirten und Tanzen unter den Gästen, genau so wie es die Netflix-Doku „Eldorado" eindringlich vorführt. Ein zweites Eldorado eröffnete 1928 in der wenige Hundert Meter entfernten Motzstraße 15. Hier trat auch Muguette auf. Ihr Name war natürlich eine Anspielung auf die ikonische Pariser Schauspielerin und Sängerin Mistinguett alias Jeanne Florentine Bourgeois. Aber auch auf das Maiglöckchen, französisch „muguet“.


Eden Playboy Club & New Eden Saloon

Eden Playboy Club 1971: Rolf Eden planscht im Smoking mit Indrid Steeger (rechts im Bild) und Monica Marc.
Eden Playboy Club 1971: Rolf Eden planscht im Smoking mit Indrid Steeger (rechts im Bild) und Monica Marc.Quade/ullstein-bild

So sah sich Rolf Eden am liebsten: mit zwei Frauen im Arm. Das Foto oben mit Ingrid Steeger und Monica Marc im offiziellen Planschbecken des Eden Playboy Club entstand im September 1971, bei den Dreharbeiten zum Erotikfilm „Sonne, Sylt und kesse Krabben“. Kommt noch besser: Das Titellied hieß „Nackedi, Nackedu, Nackedeideidei“.

Es war eine Zeit, in der viele Männer in Frauen hauptsächlich eins sahen: Betthäschen. Für Playboy Rolf Eden war es eine geile Zeit– mehr als 1000 Geliebte will der Berliner, der 1930 in Tempelhof geboren wurde, gehabt haben. Er nannte die Discothek Big Eden sein Eigen, dazu den Eden Playboy Club und den New Eden Saloon, alle am Kurfürstendamm gelegen. Im Club gab’s barbusige DJs und Poolshows mit Gogo-Girls, im Saloon Strip-Dancing und Misswahlen.

Wie kein anderer habe Rolf Eden die West-Berliner Nachkriegskultur „zu seiner Bühne ungenierter Lebensfreude gemacht, immer dazu bereit, sich nicht allzu ernst zu nehmen“, schreibt Harry Nutt im August 2022 in der Berliner Zeitung, nachdem Eden mit 92 gestorben war. „Er agierte selbst Ende der 1970er-Jahre, als der feministische Diskurs das chauvinistische Milieu, aus dem Edens Clubs exemplarisch herausragten, besonders misstrauisch beäugte, wie einer, dem man nichts übelnehmen kann“. Naja.

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Berliner Verlag
Sittengeschichte(n) und mehr
Liebe, Lust & Laster verheißt die neue Ausgabe unseres Geschichtsmagazins B HISTORY. Wir schildern, wie sich die Prostitution in Berlin entwickelt hat und wie wild die 1920er wirklich waren. Außerdem porträtieren wir die Väter des Kondoms und des Aufklärungsfilms sowie den Vordenker der LGBTQ-Bewegung. Und wir widmen uns Preußens berühmtester Mätresse.

B HISTORY
 gibt es im Einzelhandel für 9,90 Euro, im Leserservice unter der Telefonnummer +49 30 2327-77 und unter der  Mailadresse leserservice@berlinerverlag.com  zzgl. Versandkosten.

Celly de Rheidt

Das Ballett Celly de Rheidt erregte um 1920 in Berlin Aufsehen. Das Nackttanzplakat entwarf der Grafiker und Bühnenbildner Josef Fenneker.
Das Ballett Celly de Rheidt erregte um 1920 in Berlin Aufsehen. Das Nackttanzplakat entwarf der Grafiker und Bühnenbildner Josef Fenneker.Dietmar Katz/Kunstbibliothek, SMB/bpk-Bildagentur

Plötzlich hatte Alfred Seveloh eine Geschäftsidee: Durch „Schönheit in ihrer reinsten und orginalen Form“ sollte seine 20-jährige Frau Anna ein strahlendes Licht in den grauen Alltag kriegsgebeutelter Herren bringen. So gab sich Anna den Künstlernamen Celly de Rheidt (nach ihrer Mutter Maria von der Reith), scharte ein paar Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren um sich und bot mit ihnen Nackttänze dar.

Die ersten Auftritte hatte Celly mit ihrem „Ballett“, zu dem anfänglich auch Anita Berber gehörte, 1919 bei „Schönheitsabenden“ des Berliner Verlegers Wilhelm Borngräber. Sie führte im Jahr darauf in der Motzstraße 38 in Schöneberg eine eigene Bühne und gastierte im Sommer 1921 im Nelson-Theater am Kudamm.

Wobei: Ganz nackt traten die Tänzerinnen nicht auf, sie hüllten sich in einen Schleier oder trugen einen Schurz. Für Kritiker waren die Aufführungen „Hopserei“. Celly beendete ihre Karriere 1924, nachdem sie ein zweites Mal geheiratet hatte.  


KitKatClub

Performance im KitKatClub während der Party zur Premiere des Hollywoodfilms „Basic Instinct 2“ im März 2006.
Performance im KitKatClub während der Party zur Premiere des Hollywoodfilms „Basic Instinct 2“ im März 2006.Jens Kalaene/ZB/dpa

Ja, im KitKatClub ist Sex erlaubt, hetero, homo oder auch mit sich selbst. Wer sich jedoch eine schnelle Nummer erhofft, sollte gar nicht erst versuchen, hineinzugelangen. Und ja, Pärchen sind sehr gerne gesehen. Wer jetzt aber denkt, hier geht’s um einen Swingerclub, irrt sich.

„Raum zum Freisein“ mit Techno und Trance bietet der KitKatClub seinen Gästen. Seit 1994 gibt es ihn, inzwischen in der Köpenicker Straße 76/Brückenstraße 1, über der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße in Mitte. Mit dem CarneBall Bizarre wurde der Club bekannt. Auch bei dieser Party gilt ein Dresscode: „Kinky, Fetish, Gothik, Lack & Leder, Kostüme, Glitzer & Glamour, elegante Abendgarderobe, Außergewöhnliches jeder Art!“

Ach ja, wer Gäste belästigt, fliegt raus.


Chez Romy Haag

Romy Haag mit David Bowie, 1977.
Romy Haag mit David Bowie, 1977.Henrik Gaard/ullstein-bild

Ein schönes Paar waren sie, Romy und David. Romy Haag erinnert sich allerdings an den Musiker David Bowie mit gemischten Gefühlen. „Ein Segen und Fluch“ sei ihre Beziehung gewesen, sagt sie 2017 dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Danach interessierte sich niemand mehr für mich.“

Als Edouard Frans Verbaarsschott wurde Romy Haag 1948 in Scheveningen (Niederlande) geboren. Von Mitschülern verhöhnt, vom Vater geschlagen, von einem Priester und einer Nachbarin missbraucht, entfloh Edouard dem Elternhaus, ging mit 13 Jahren zum Zirkus und mit 16 nach Paris, um dort im bekannten Nachtclub Alcazar als Schönheitstänzerin aufzutreten. Es folgten Engagements in New York und Atlantic City.

Die Liebe zu einem Straßenmusiker aus Berlin, den sie in den USA kennengelernt hatte, führte Romy Haag 1974 an die Spree. „Hier war nichts los, kein einziger Nachtclub, wo Transsexuelle ordentlich arbeiten konnten, nur Striptease- und Animierläden“, erzählt sie im Spiegel. Sie eröffnete daher selbst einen Club, in der Fuggerstraße 33 in Schöneberg. „Im Eingang war jemand als Papst verkleidet, mit einem Telefonbuch als Bibel und einer Klobürste, mit der er die Zuschauer segnete.“

Schnell wurde das Chez Romy Haag zu einem angesagten Club, für 5 Mark Eintritt sahen Gäste eine ständig wechselnde Show. 1983 zog Romy wieder in die Welt hinaus. In der Fuggerstraße 33 befindet sich heute der Connection Club.


Toppkeller

Da staunt der Herr am Eingang: 1925 verewigte Rudolf Schlichter den Toppkeller in seinem Bild „Damenkneipe“.
Da staunt der Herr am Eingang: 1925 verewigte Rudolf Schlichter den Toppkeller in seinem Bild „Damenkneipe“.Archiv Viola Roehr von Alvensleben

„Toppkeller – das ist die Parole, die man sich zuflüstert, wenn man einen kühnen Ausflug in die dunkelroten Gefilde des Ungewöhnlichen machen will“, schreibt Curt Moreck 1931 in „Ein Führer durch das lasterhafte Berlin“. Die schäbige Kellerkneipe im dritten Hinterhof der Schwerinstraße 13 in Schöneberg war ein Lesben-Lokal.

„Dort traf sich wirklich alles“, berichtete die Künstlerin Gertrude Sandmann, Mitbegründerin der Gruppe L 74 (Lesbos 1974), „die Akademikerin wie die Verkäuferin, die ,Dame von der Straße‘ wie die Dame der Gesellschaft, prominente Künstlerinnen wie die Arbeiterin.“ Dazu kamen Männer „von der anderen Seite“, wie Moreck schreibt, und „lüsterne Zuschauer“. Für alle sei der Ort eine „Börse“ gewesen, „wo man findet, was man sucht, ohne viel Mühe“.


Haller-Revue im Admiralspalast

Quadriga des Brandenburger Tors in nackig: Szenenbild aus der Haller-Revue „An und Aus“ 1926 im Admiralspalast.
Quadriga des Brandenburger Tors in nackig: Szenenbild aus der Haller-Revue „An und Aus“ 1926 im Admiralspalast.bpk-Bildagentur

Barbusig, nur mit einem knappen Höschen bekleidet, stehen, knien oder liegen sie auf der Bühne. Zwei, sechs, insgesamt achtzehn Frauen sind zu sehen, allesamt dunkelhaarig und schlank. Um die Nachbildung der Quadriga drängen sie sich. Einige haben den Wagen bestiegen, als wollten sie jeden Moment die Pferde zu einer Triumphfahrt antreiben.

Dieses Szenenbild war einer der Höhepunkte in der Haller-Revue „An und Aus“, die 1926 im Admiralspalast an der Friedrichstraße 101/102 aufgeführt wurde.

Die Revue, die die Opulenz von Operette und Varieté mit Kabarett vereint, ist zu jener Zeit in Berlin das Unterhaltungsgeschäft schlechthin. Die erfolgreichsten Produzenten heißen Herman Haller, eigentlich Hermann Freund, im Admiralspalast, James Klein in der Komischen Oper an der Friedrichstraße 104, Rudolf Nelson im Nelson-Theater an der Ecke Kurfürstendamm 217/Fasanenstraße 74 und Erik Charell im Großen Schauspielhaus am Schiffbauerdamm.

In der Revue finde „der Wunschtraum des Mannes, der von vielen Frauen in einer träumt, zumindest durchs Aug‘ Erfüllung“, schrieb der damals in Berlin lebende Schriftsteller Alfred Polgar in seinem Artikel „Girls“ fürs Prager Tagblatt am 11. April 1926. Diese Art von Theater „sättigt die erotische Phantasie, ohne das vielleicht mit beteiligte Herz oder Hirn zu überladen“.

Das Grundkonzept ist an allen vier großen Berliner Revuetheatern gleich: eingängige Tanz- und Gesangsnummern, ein paar Sketche und ein paar Stars, viel Exotik und noch mehr Erotik. Wobei: Erotische Revue ist nicht gleich erotische Revue. Haller inszeniert extravagant international und Klein konkurrenzlos freizügig, Nelson prachtvoll unpolitisch und Charell kunstvoll subtil.

Bei Theaterkritikern hat Klein keinen guten Stand, viele sehen in seinen Inszenierungen plumpe Fleischlichkeit. Beim Publikum hingegen hat er Erfolg mit „Alles nackt“ oder „Zieh dich aus“, in der der junge Hans Albers den Baron Felix mimt, oder „Von Bettchen zu Bettchen“, seiner letzten Nummer in der Komischen Oper. Das liegt auch an den Programmheften, die bebildert sind wie Herrenmagazine.