Die Dietrich kennt jeder. Doch im Berlin der 1920er gab es viel mehr Film- und Bühnenstars, die Männern wie Frauen den Atem raubten. In Berlin und Babelsberg wurde der Frauentyp des Vamp von acht Schauspielerinnen in alle Richtungen ausgelotet – von total verrucht bis ironisch. Die neue Ausgabe unseres Geschichtsmagazins B HISTORY stellt sie vor.
Die Frivole: Lilian Harvey (1906–1968)

Augen zum Versinken, ein Mund zum Niederknien, Finger, um die sich ein Verstand wickeln lässt: Lilian Harvey (hier eine Szene aus „Der Kongress tanzt“, 1931) begeistert ihr Publikum mit fröhlicher Frivolität, Kritiker feiern sie als „blonden Puppentraum“. Die Tonfilm-Operette „Die Drei von der Tankstelle“ macht die in London geborene und in Berlin lebende Schauspielerin 1930 berühmt: „Ich habe heute drei entzückende Jungs kennengelernt. Drei Freunde. Und trotzdem hat keiner eine Ahnung, dass ich auch die anderen beiden kenne.“

Die Bezaubernde: Tilla Durieux (1880–1971)

Wie sie lockt, so schön, wie sie lauert, so gefährlich! Als Zauberin Circe in dem gleichnamigen Theaterstück verkörpert Tilla Durieux 1912 den Ur-Vamp. Dieses Foto zeigt den Höhepunkt des Stücks: Circe (bei Homer eine Göttin) bietet dem Odysseus einen Trank an, der ihn in ein zahmes Tier verwandeln soll. Seit ihrer Salome am Kleinen Theater von Max Reinhardt in Berlin 1903 spielt die Durieux verführerische, dämonische, gequälte Frauen. Über die Liebe sagte sie: „Man liebt einen Menschen nicht wegen seiner Stärke, sondern wegen seiner Schwächen.“
Die Todschicke: Margo Lion (1899–1989)

Enges Seidenkleid, streng zurückgekämmte Haare, bleich geschminkt, schwarz umrandete Augen und schwarz geschminkter Mund: So singt Margo Lion im September 1923 auf der Bühne des Berliner Kabaretts Die Wilde Bühne den Chanson „Die Linie der Mode“, eine Parodie auf die Neue Frau. Ihr Stil wird berühmt, ihr Image der „grotesken Neuen Frau“ kündigt den Großstadtvamp an. Nach dem Machtantritt der Nazis geht sie nach Paris, brilliert als Brecht-Interpretin, dreht Filme. Sie setzt ihre Karriere nach dem Krieg erfolgreich fort.
Die Unberechenbare: Fern Andra (1893–1974)

Auf einen Kelch Champagner mit Fern Andra? Aber Vorsicht! Jeden Typ Frau kann sie, die bei Max Reinhard in Berlin Schauspiel lernte, spielen: Millionärstochter oder Bürgersfrau, Zirkusartistin oder Blumenhändlerin, Königin oder Sklavin. Auch Vamp. Als Schauspielerin, Produzentin, Regisseurin, Drehbuchautorin wirkt die Amerikanerin allein in Deutschland an über 40 Filmen mit. Eine „Selfmade Woman“ ist sie, die weiß, wie sie sich inszenieren und vermarkten muss, hier für ein Modeblatt 1928. In ihren beiden Autobiografien berichtet sie von sensationellen Liebesabenteuern.
Die Leidenschaftliche: Pola Negri (1897–1987)

Wer gibt hier wem Feuer? Eigentlich spielt Pola Negri dunkelhaarige Schönheiten, leidenschaftlich und unergründlich. Auch als Blondine – hier in „Three Sinners“ 1928 – entflammt sie Herzen. Bei der Ufa in Babelsberg wurde sie zum Star. Ihren Durchbruch feierte sie in und als „Madame Dubarry“ 1919: Da setzt sie sich auf des Königs Schoß und fordert ihn mit Blicken auf, ein Dokument aus ihrem Ausschnitt zu ziehen. Auch privat macht sie Schlagzeilen: Sie heiratet einen echten Grafen, verlobt sich mit Rudolph Valentino (er stirbt kurz vor der Hochzeit), ehelicht einen falschen Prinzen, hat viele Affären, auch eine mit Charlie Chaplin.
Die Zeitlose: Dita Parlo (1908–1971)

Dieser Blick (zu mir oder zu dir?), dieser Fingerzeig (da geht’s lang!): Dita Parlo ist um 1930 begehrt. Mit „Melodie des Herzens“ macht sie 1929 Geschichte, ist diese Ufa-Produktion doch der erste komplett vertonte deutsche Spielfilm. Darin spielt sie ein Mädchen, das in die Prostitution gleitet. Ihre Aura inspiriert in den 1990er-Jahren einen Popstar und eine Tänzerin: Madonna nennt ihr Alter Ego im Buch „SEX“ und im Song „Erotica“ Dita, und Heather Renée Sweet gibt sich den Künstlernamen Dita Von Teese.
Die Tröstende: Henny Porten (1890-1960)

Als dieses Foto um 1910 entsteht, ist Henny Porten bereits ein Filmstar. Schon als 16-Jährige stand sie in Berlin vor der Kamera. Sie hat das Image des unschuldigen und tugendhaften Mädchens (und später das der mütterlichen Venus). Für Soldaten, die Postkarten wie diese hier in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bei sich tragen, ist sie ein nymphenhafter Vamp. Sie schicken ihr säckeweise Post, Sterbende vermachen ihr ihre Orden. Mit Ende des Kriegs verflüchtigt sich Portens Sorge, als Propagandapüppchen benutzt zu werden. Und später, unter den Nazis, wehrt sie sich erfolgreich dagegen.
Die Ikonische: Marlene Dietrich (1901-1992)

Hohe Wangenknochen, lockendes Lächeln, perfekt gewachsene Beine, den Körper mal mit einer Federboa bedeckt, mal mit einem Smoking bekleidet. Marlene Dietrich – hier in ihrem Hollywoodfilm „The Song of Songs“ 1933 – ist als Sexsymbol und Stilikone berühmt geworden. Ihren Durchbruch hat die Schönebergerin in „Der blaue Engel“ 1930 als laszive Lola Lola, an deren liederlich-lichtem Dasein sich Männer verbrennen. Privat liebt sie auch Frauen. Wie Berlin und Hollywood dazu stehen, sei ihr, sagte sie mal, „wurscht“.
