Als wir Ines Paulke im vorigen Jahr treffen, erkennen wir sie nicht gleich. Dabei ist sie keineswegs aus den Fugen geraten oder ungünstig gealtert, nein, sie ist das zarte Persönchen mit dem schmalen Gesicht, den ebenmäßigen feinen Zügen geblieben. Sie ist 50 und sieht fabelhaft aus, nur das dekolletierte Dirndl irritiert auf einer Premierenfeier im Friedrichstadtpalast. Es passt auch nicht zu Ines Paulke, die als Künstlerin ja so gar nichts Volkstümliches hatte, im Gegenteil. Ines Paulke, diese wunderbare Sängerin mit der großen glockenklaren Stimme und der zurückhaltenden Bühnenpräsentation, hatte immer auch etwas Unnahbares, fast Elitäres, hielt stets so ein bisschen Distanz zum Publikum. Am Anfang musste man annehmen, das sei vielleicht kühle Attitüde auf dem Weg nach oben, aber auf der Bühne war dieses Artifizielle ihr Wesen. Sicher, als Star hat sie sich immer gesehen, nachdem sie einmal als solcher gefeiert wurde.Unvergessen bleibt ihr Auftritt 1988 beim Internationalen Schlagerfestival in Sopot, als sie die hymnische Ballade "The Colour of my Tears" von Arnold Fritzsch singt, die ersten Takte a cappella: Da wird es in der riesigen schwatzenden Waldoper plötzlich still wie in einer Kirche, bevor schließlich ein Jubelsturm losgeht. Jeder hat ihr zu dieser besten Leistung des Festivals gratuliert. Am Ende wird sie doch nur Zweite, weil die DDR damals wirklich gar keiner mehr leiden kann. Damals entschließt sich Ines Paulke, dort zu bleiben, wo sie einmal angekommen ist - auf den ganz großen Bühnen. Vorher gewann sie schon Nachwuchsfestivals, Arbeiterfestspiele und Kunstpreise und wird 1987 als Sängerin des Jahres geehrt. So sollte es bleiben. Dafür arbeitet sie hart, ach was, dafür tut sie fast alles. Sie lässt zum Beispiel ihre beiden Kinder bei deren Vater aufwachsen. So etwas tut wohl nur eine Mutter, die eine Karriere auf jeden Fall will.Wenn die dann aber ausbleibt, wenn die besondere Stimme, der unbedingte Wille und das darstellerische Talent nicht reichen zum großen Wurf, dann kann das schon das Selbstbewusstsein empfindlich dämpfen. Auch, wenn das nicht jeder gleich merken wird. Denn die Karriere von Ines Paulke gerät nach verheißungsvollem Anfang zur Wendezeit unvermittelt ins Stocken.Damals wollen die Leute bekanntlich das hören und sehen, was sie bisher nicht haben konnten. Und danach, als sie die alten Ost-Bands wieder lieben lernen, weil sie feststellen, dass ihnen irgendwann die Töne und Bilder zu den eigenen Erinnerungen fehlen, da wird Ines Paulke kein Bestandteil der Erinnerungskultur, weil ihre Ost-Karriere doch zu kurz war.Warme, volksnahe Lieder zum Mitsingen wie Veronika Fischers "Dass ich eine Schneeflocke wär" oder Ute Freudenbergs "Jugendliebe" hatte die Sängerin nicht in ihrem Repertoire. Ines Paulke, 1958 in Gräfenthal (Thüringen) geboren, war von Beruf Krankenschwester, bevor sie klassischen Gesang an der Bezirksmusikschule studierte und nach ersten Förderverträgen, wie sie in der DDR üblich waren, den kargen Glamour des damaligen Show-Geschäfts schätzen lernt.Sie beginnt als Popsängerin von Bands wie Motiv und Datzu und strebt schon bald eine solistische Karriere an. Sie bleibt auch nach der Wende eine stets aktive Sängerin, wenn auch mit wechselnden Aufgaben. So tritt sie mit Anke Schenker und Angelika Weiz als Swing Sisters und in einem Gospelprojekt auf, sie steht ein Jahr lang als Solistin auf der Bühne des Friedrichstadtpalastes, zuletzt zieht sie mit dem "Traumzauberbaum"-Kinderprogramm von Reinhard Lakomy von Ort zu Ort.Hier allerdings muss sie eine Rolle spielen - Auftritte als Solistin werden für Ines Paulke seltener. Als sich ihr langjähriger Partner, der Komponist und Pianist Peter Schenderlein (Rumpelstil), vor einigen Jahren einer neuen Partnerin zuwendet, als ihre Solo-Karriere definitiv beendet scheint, geht es ihr so schlecht, wie sie es in ihrem sehnsuchtsvollen Lied "Hauch mir wieder Leben ein" (Arnold Fritzsch / Ines Paulke) singt.Ein letztes Mal wird sie aufgefangen von einer neuen Partnerschaft abseits vom Showgeschäft im Bayerischen. Dort zieht sie hin, kauft sich ein Dirndl, erzählt im letzten Frühjahr noch, wie gut ihr das tut. Als auch diese Beziehung zerbricht, kommt Ines Paulke depressiv zurück nach Berlin, wohnt bei den Lakomys, bezieht eine Wohnung, findet doch ihr Lachen nicht wieder. Am Dienstag hat sich Ines Paulke in ihrem Auto im schwäbischen Thannhausen das Leben genommen. Sie hinterlässt einen Abschiedsbrief. Sie wurde 51 Jahre alt.------------------------------Foto: Ines Paulke, geboren am 20. September 1958 im thüringischen Gräfenthal, hat am 16. Februar 2010 ihrem Leben ein Ende gesetzt. Das Foto links zeigt sie in ihrer großen Zeit in den Achtzigerjahren, das andere in ihrer Pankower Wohnung 2005. In den letzten Monaten verlor sie Kraft und Lebensmut.