Santa Cruz-Jared Childress war 13, als die Ranch, auf der er mit seiner Familie lebte, niederbrannte. Es war das Jahr 1991, und in den Oakland Hills, hinter denen die Ranch lag, war ein Feuer ausgebrochen, ein kleines Feuer, das die Feuerwehr schon fast gelöscht hatte, doch dann kam Wind auf, ein trockener, starker Wind aus Nordost, den sie hier in Kalifornien Diablo Wind nennen. Das Feuer geriet außer Kontrolle. Die Flammen kletterten die Berge hinauf, entzündeten Häuser, Bäume und Büsche, wurden zu einem Feuersturm, der über die Route 24 hinwegfegte, einen achtspurigen Highway, der sich durch die Städte Berkeley und Oakland windet. Am Nachmittag regnete es in San Francisco, auf der anderen Seite der Bucht, Asche.

Am 20./21. August 2021 im Blatt:
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Slavoj Žižek über den Kampf ums Klima: „Wir brauchen begrenzte Gewalt“
Ein Fall für den Burn Boss: Um Waldbrände zu verhindern, muss man Feuer legen
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Jared Childress weiß bis heute nicht, warum sein Zuhause damals in Flammen aufging. Die Ranch lag ein gutes Stück entfernt vom Feuer, vielleicht war es ein Kurzschluss, vielleicht Brandstiftung. Als sie die Feuerwehr riefen, ging niemand ran. Also versuchten sie selbst, das Feuer zu löschen, mit Schaufeln und Eimern, sein Vater, die Nachbarn und er, der noch ein Junge war. Childress erinnert sich nur verschwommen an diese Nacht. Sein erstes Feuer.
„Nach der Highschool wurde ich Feuerwehrmann“, erzählt er. Es war für ihn die logische Konsequenz aus dem, was er erlebt hatte. Anderthalb Jahre löschte er Autos, Häuser, hin und wieder einen Waldbrand. Als Feuerwehrmann hatte er eine klare Aufgabe: Jedes Feuer so schnell wie möglich zu beenden. Aber es fühlte sich an, als käme er immer zu spät. Dann fand er heraus, dass es auch eine andere Möglichkeit gibt, Feuer zu bekämpfen: mit Feuer.
Gezielt gelegte Feuer sind das wirksamste Mittel gegen Megabrände
Es ist ein sonniger Nachmittag in Santa Cruz. Jared Childress, 44 Jahre alt, sitzt in einem Café in Downtown, unter dem Tisch liegt sein Hund. Childress ist gerade dabei, seine Ausbildung zum Burn Boss abzuschließen, ein staatliches Programm, das ihm erlaubt, Brände zu legen. 2021 ist das erste Jahr, in dem dieses Programm stattfindet. Es ist Teil einer neuen Strategie, die Kalifornien verfolgt, um den verheerenden Waldbränden der vergangenen Jahre entgegenzuwirken.
Wissenschaftler sind sich schon seit Jahren einig, dass kleine, gezielt gelegte und kontrollierte Feuer, die Gestrüpp und Gehölz abbrennen, eines der wirksamsten Mittel gegen sogenannte Megafeuer sind; gegen Waldbrände also, die sich so schnell ausbreiten, dass die Feuerwehr nahezu keine Chance hat, sie einzudämmen, die Hunderttausende Hektar groß werden und die so heiß sind, dass sie Autos schmelzen und Wälder auf Jahrzehnte zerstören. „Prescribed fires“, so der Fachbegriff, entziehen diesen Megafeuern die Nahrung und machen Wälder widerstandsfähig.

2,2 Milliarden Dollar will Governor Gavin Newsom für die Prävention von Waldbränden in den nächsten Jahren ausgeben, eine halbe Million Hektar Landschaft soll dafür jedes Jahr entweder gezielt abgebrannt oder per Hand durchforstet werden. Doch bisher geht es schleppend voran. Im vergangenen Jahr war es ein Bruchteil davon. Und ein Grund ist, dass es bisher an Leuten fehlt, die in der Lage sind, diese gezielten Brände durchzuführen. Leute wie Jared Childress.
18 Teilnehmer hatte das erste Burn-Boss-Training im Mai. Ihr Zertifikat, das die kalifornische Behörde für Brandschutz, Cal Fire, ausstellen soll, haben sie bis heute nicht erhalten.
Über 10.000 Blitze steckten die ganze Westküste in Brand
„Wir wissen nicht, warum, es ist frustrierend“, sagt Childress. Er trägt den Schädel eines Rehs auf den gebräunten Unterarm tätowiert, weiße Strähnen durchziehen den Bart an seinem Kinn. Er ist erst vor ein paar Wochen hierhergezogen, in eine Gegend, in der es in den vergangenen Jahren immer wieder gebrannt hat, zuletzt vor einem Jahr, Mitte August 2020, als ein Gewitter über Kalifornien zog, aus dem über 10.000 Blitze niedergingen, die die ganze Westküste in Brand steckten, auch die Wälder von Santa Cruz. Wer hier wohnt, lebt mit dem Feuer. Muss mit dem Feuer leben.
In Kalifornien hat es schon immer gebrannt. Scott Stephens, der an der UC Berkeley ein Labor für die Erforschung von Waldbränden leitet, geht davon aus, dass vor 1800 jedes Jahr mehrere Millionen Hektar in Flammen standen. Ein Großteil des kalifornischen Ökosystems braucht Feuer zum Leben. Es gibt Fichten, deren Zapfen sich erst öffnen und ihre Samen freigeben, wenn Hitze von unten heraufdringt; Spechte, die ihre Nester in abgebrannten Bäumen bauen; Pflanzen, die auf verbrannter Erde wachsen, sind nährstoffreicher und für Tiere leichter zugänglich.
Und schon immer war ein Teil dieser Brände von Menschen gelegt. Die amerikanischen Ureinwohner nutzten und nutzen bis heute Feuer, Rancher roden seit Jahrzehnten.
Die Botschaft von Smokey Bear
Das Problem ist: Wo früher regelmäßig ganze Landstriche brannten, leben heute Menschen. Viele Menschen. Kalifornien ist der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA. Die Städte sind teuer, immer mehr Menschen ziehen in Vororte und in Gegenden, die viel zu dicht an den Wäldern liegen, in denen die Feuer ausbrechen.
Schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wüteten verheerende Waldbrände im ganzen Land. 1935 gab der National Forest Service die Maxime aus, jedes Feuer bis zum nächsten Tag, 10 Uhr morgens, zu löschen. Generationen von Kindern wuchsen in den USA mit Smokey Bear auf, einem Braunbären mit muskulösem Oberkörper, der Jeans trug und einen Ranger-Hut, eine Art Uncle Sam der Nationalparks, der ihnen von Plakaten entgegenrief: Nur DU kannst Waldbrände verhindern.
Das war es auch, was Jared Childress wollte. Die Waldbrände, die er als Feuerwehrmann löschen musste, waren ein paar hundert Hektar groß, was ihm riesig vorkam . „Ein Feuer wie den Oakland Hill Firestorm nannten wir damals ‚Career fire‘“, erzählt er. Es hatte am Ende über 3000 Häuser zerstört, 25 Menschen starben in den Flammen. Career fire - ein Feuer, das ein Feuerwehrmann vielleicht einmal während seiner Laufbahn erlebt. „Jetzt haben wir diese Feuer jedes Jahr.“ Childress zählt auf: Wine Country Fire, Kincade Fire, Glass Fire, Wallbridge Fire, Camp Fire. „Ich bin mittlerweile abgestumpft“, sagt er. Weil es jedes Jahr dasselbe ist, die Nachrichten wieder voll sind von apokalyptischen Bildern, so wie in diesen Tagen.
Das Feuer ist so groß wie die Feuer in der Türkei und Griechenland zusammen
Am 13. Juli fiel im Feather River Canyon, anderthalb Stunden entfernt von der Hauptstadt Sacramento, eine Douglasie auf eine Stromleitung des Energieversorgers PG&E. Als die Feuerwehr eintraf, stand bereits ein großes Stück Wald in Flammen. Der Canyon ist bekannt für die starken Winde, die hier entstehen. In derselben Gegend war erst vor drei Jahren das Camp Fire ausgebrochen, der zerstörerischste und tödlichste Waldbrand in der Geschichte Kaliforniens.
Jetzt fraß sich das Feuer wieder durch den Wald, in den vergangenen vier Wochen ist das Dixie Fire, das den Namen der Straße trägt, nahe der es ausbrach, auf über 200.000 Hektar angewachsen, eine Fläche fast doppelt so groß wie Los Angeles, so groß wie die Feuer in der Türkei und Griechenland zusammen. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen, manche verloren zum zweiten Mal alles, was sie besaßen. Das Dixie Fire zerstörte die Goldgräberstadt Greenville, verwandelte die historische Altstadt in verkohlte Gerippe.
Ein Stück die Küste hinauf brannte in Oregon schon vorher das Bootleg Fire. Der Rauch zog bis an die Ostküste der USA, ließ die Skyline von New York hinter einem Schleier aus Dunst verschwinden.
Das Dixie Fire ist das größte Feuer derzeit, aber es ist nur eines von vielen.
„Früher sah der Wald aus wie ein Gemälde von Jackson Pollock.“
„Es ist ein Desaster“, sagt Kate Wilkin, „und wir haben es selbst angerichtet.“ Kate Wilkin ist Feuerökologin an der University of San Jose, sie hat jahrelang erforscht, wie wichtig Feuer für das kalifornische Ökosystem ist. „Als es hier noch regelmäßig gebrannt hat, waren die Wälder viel lichter, wäre man dort spazieren gegangen, hätte man Sonnenschein im Gesicht gespürt.“ Große Bäume hatten genug Platz zu wachsen, das Unterholz war voller Lebewesen und Pflanzen. „Dieser Wald sah aus wie ein Gemälde von Jackson Pollock“, sagt Wilkin.
Nach Jahrzehnten, in denen jedes Feuer schnellstmöglich gelöscht wurde, erinnere der Wald jetzt eher an einen monochromen Mondrian, ein Dickicht voller Gestrüpp und Totholz, das brennt wie Zunder. „Und jetzt erleben wir wegen des Klimawandels die heißesten und trockensten Sommer, die Kalifornien je gesehen hat.“ Es ist das perfekte Rezept für eine Katastrophe.
Wilkin beobachtet, dass langsam ein Umdenken stattfindet. „Ich höre jetzt manchmal, dass Leute sagen: Wir haben unsere Wälder zu Tode geliebt.“
Vor vier Jahren ist Wilkin mit ihrer Familie an den Fuß der Sierra Nevada gezogen, in eine Gegend, die als Hochrisikogebiet für Waldbrände gilt. In ihrem Garten wuchsen Panderosa-Kiefern, die von verkohlten Brandnarben gezeichnet waren. Wilkin machte ihr neues Zuhause feuerfest, so gut es ging, riss Hecken aus dem Boden, die zu nahe am Haus standen, dichtete Fenster und Türen ab, montierte Drahtgitter vor die Lüftungsschächte, damit keine Funken hineingelängen, befreite das Dach von Laub.
In ihrem ersten Herbst brannte der Wald drei Kilometer von ihrem Haus entfernt, im Jahr darauf das Camp Fire nur 60 Kilometer Richtung Norden. „Ich hatte ein kleines Kind, ich fühlte mich dort nicht sicher, ich weiß einfach zu viel über Feuer“, erzählt Wilkin.
Jedes Feuer wird jetzt wieder gelöscht, und zwar so schnell es geht
Sie und ihre Familie zogen also wieder um, nach Santa Clara im Silicon Valley, in sicherer Entfernung von den Waldbränden. Wilkin berät heute Leute, die in der Gefahrenzone leben, wie sie ihre Häuser feuersicher machen können. Sie weiß, welches Trauma es bei Menschen hinterlässt, alles im Feuer zu verlieren. „Ich glaube daran, dass wir irgendwann mit den Bränden leben können“, sagt sie. Aber sie glaubt nicht daran, dass es schnell geht.
Anfang August hat Governor Newsom nach einer Konferenz mit Joe Biden und Kamala Harris bis auf Weiteres seine Strategie geändert. Sie klingt jetzt wieder sehr nach der alten, die Kalifornien erst in die jetzige Lage gebracht hat: Jedes Feuer wird gelöscht, und zwar so schnell es geht.
„Das ist nicht nur falsch, sondern auch völlig unrealistisch“, sagt Lenya Quinn-Davidson. Sie ist Direktorin des Northern California Prescribed Fire Council, sie hat das Burn-Boss-Programm mitentwickelt und wird vom Parlament als Expertin eingeladen, wenn es um Waldbrandprävention geht. „Sie werden es nicht schaffen, das Dixie Feuer zu löschen“, sagt Quinn-Davidson, es ist einfach zu groß. „Es wird brennen, bis sich das Wetter ändert oder im November der Regen einsetzt.“
Sie ärgert sich gerade sehr über Governor Newsom. „Es ist frustrierend“, sagt sie. „Wir müssen Feuer gezielt einsetzen und einen Weg finden, dass die Landschaft regelmäßig brennen kann, statt einfach wieder alles zu löschen.“
Für Quinn-Davidson gibt es einen Unterschied zwischen gutem und schlechten Feuer. Wenn sie darüber spricht, was sie an diesem guten Feuer fasziniert, sagt sie: „Feuer bietet uns eine Möglichkeit, mit der Natur in Kontakt zu treten, wir können die Landschaft damit formen und gleichzeitig formt das Feuer uns, bestimmt, wie und wo wir leben. Ich sehe es als diese wunderbare Verbindung zwischen Mensch und Raum.“

Wenn Funken über die vorher abgesteckten Grenzen fliegen, werden sie sofort gelöscht
Es ist nicht leicht, in diesen Tagen mit dieser Botschaft durchzudringen. Anfang Juli schlug ein Blitz mitten in der Wildnis an der Grenze zu Nevada ein, das Feuer brannte mehrere Tage umgeben von Felsen und einem kleinen See, die Feuerwehr entschied, es brennen zu lassen, auch weil sie kaum noch Personal hat, um sich sofort um jedes neue Feuer zu kümmern. Dann kam Wind auf, und aus dem kleinen Brand wurde ein Lauffeuer, das fast 30.000 Hektar verschlang, Tausende Häuser wurden evakuiert. Das Tamarack Fire war auch ein Grund für den Kurswechsel von Governor Newsom. Jedes Feuer birgt ein Risiko.
Als Burn Boss muss Jared Childress mit diesem Risiko leben. Seine Aufgabe ist es, das Risiko so klein wie möglich zu halten. Es ist ein Job, für den man jahrelange Erfahrung braucht.
Nach seiner Zeit bei der Feuerwehr arbeitete Childress auf einer Ranch. Regelmäßig half er dabei, die Weiden zu roden, um sie frei von Gestrüpp zu halten. Er begann, Ökologie zu studieren, und lernte, was die Landschaft, die er so liebte, wegen ihrer Vielfalt, all der Berglöwen, Luchse, Kojoten und Raubvögel, die darin leben, brauchte: Feuer. 2013 nahm er an einem ersten Training für kontrollierte Brände teil, Lenya Quinn-Davidson hatte es organisiert. „Bei der Feuerwehr habe ich gelernt, dass Feuer etwas Schlechtes ist“, sagt er. Jetzt sah er, dass Feuer, wenn man es sorgfältig plante, lenkbar war, beherrschbar.
Um ins Burn-Boss-Programm aufgenommen zu werden, absolvierte Childress unzählige Kurse: Vegetationsbrandbekämpfung, Brandmeisterlehrgang, Feuer-Meteorologie für Fortgeschrittene, Feuerlegen für Fortgeschrittene.
Es dauert Monate, ein Feuer zu planen. Genehmigungen müssen eingeholt werden; Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Wind, alles wird berechnet, bis die Bedingungen optimal sind. „Es ist eine Kunst, diese Art von Feuer zu legen“, sagt Lenya Quinn-Davidson. Sie nutzen dafür eine kleine Kanne, die mit Diesel und Benzin gefüllt ist. Aus der Kanne lassen sie das Feuer in großen Tropfen auf Gras und Büsche fallen. „Wir malen Feuer auf die Landschaft.“ Es ist ein langsamer Prozess, sorgfältig, abwartend, beobachtend. Wenn Funken über die vorher abgesteckten Grenzen fliegen, werden sie sofort gelöscht.
„Es ist aufregend, bei so einem Feuer dabei zu sein“, sagt Jared Childress. „Und wunderschön.“
Die Waldbrandsaison hat gerade erst angefangen
Vor ein paar Monaten hat Childress die Central Coast Prescribed Burn Association gegründet. Es ist eine von 14, die es mittlerweile in Kalifornien gibt. Noch darf er Rodungen nicht alleine organisieren, man kann ihn bereits anheuern, er übernimmt dann die Vorbereitungen, aber bis er endlich sein Zertifikat hat, muss er einen der wenigen Burn Bosses dazuholen, die für die Forstverwaltung arbeiten, um das Feuer tatsächlich durchzuführen.
Und auch, wenn er sich darüber ärgert, dass es so langsam vorangeht: Jetzt im Sommer sind die Bedingungen für kontrollierte Feuer sowieso nicht gut – es ist zu trocken, zu heiß. Also verbringt Childress seine Wochenenden damit, bei der Feuerwehr auszuhelfen. Die Waldbrandsaison hat gerade erst angefangen.
