Kunst des Journalismus

Sensation! Kisch im Original!!

Die Kisch-Auktion bei Bassenge zeigt, welch großen Anteil dessen Prager Übersetzerin am Ruhm der Reporterlegende hatten. Und wie zärtlich er mit ihr umging.

Los 3057: Egon Erwin Kischs eigenhändiges „Hallo! Jarmila?“ auf dem Umschlag (genial gestaltet von Paul Pfund) der Neuauflage seines Sammelbands „Der rasende Reporter“, 1930. Taxe 360 Euro.
Los 3057: Egon Erwin Kischs eigenhändiges „Hallo! Jarmila?“ auf dem Umschlag (genial gestaltet von Paul Pfund) der Neuauflage seines Sammelbands „Der rasende Reporter“, 1930. Taxe 360 Euro.Bassenge Berlin

Berlin-Was als erstes auffällt beim Schmökern in diesem wundervollen Auktionskatalog (ja, es ist so einer, in den man sich mit Genuss reinfallen lässt, ein Fest für das biologische wie das innere Auge) ist die familiäre Offenheit von Egon Erwin Kischs Briefen. Der „rasende Reporter“ der Berliner Zwanziger, der tätowierte Frauenheld, Wirklichkeitsfresser und Erlebenskünstler, nie ohne Zigarette im Mundwinkel, erst manisch in die Tasten hauend und danach ins gloriose Berliner Nachtleben oder in die finstersten Ecken der Unterwelt abtauchend: Weit weg ist dieser Klischeeheini (der natürlich trotzdem existierte, das In-die-Tasten-Hauen mal ausgenommen, denn Kisch schrieb alle seine Texte mit der Hand) auf einmal. Stattdessen erscheint uns der Schriftsteller hier wie ein großen Bruder, der die Empfängerin im fernen Prag, seine tschechische Übersetzerin Jarmila Haasová, wie eine kleine Schwester mit immer neuen Kosenamen bedenkt und ihr von seinem Tun und Denken berichtet. Alles garniert mit kalligrafischen Schnörkeln oder mit dem Füller handgezeichneten Vignetten wie einem Mini-Kisch mit Reisetasche auf einer Postkarte. 

Pionier des Action-Journalismus

Das ganze, vor Ereignissen und Begegnungen schier überquellende Kisch-Leben kommt einem hier entgegen. Erst fand es in Berlin und Buckow am Schermützelsee, seinem Schreibrefugium, statt. Ab 1933 im Exil in Paris und Versailles, dem belgischen Bredene und in Spanien. Und vor allem auf Kischs Reportage-Reisen kreuz und quer durch die Welt, von Russland und China bis New York oder Mexiko. Das ganze Auf und Ab des europäischen 20. Jahrhunderts, das Schöne wie das Schrecklichste, der Innovationsschub der 1920er und die katastrophale Rache der Kleinbürger danach, all das findet individuell gefilterten Niederschlag in den Briefen und Erstausgaben mit handschriftlicher Widmung, die am 13. Oktober im Auktionshaus Bassenge als Nachlass der 1990 verstorbenen Jarmila Haasová versteigert werden.

Als Russland noch cool war: Briefe von„ Egonek“ (rechts) und seiner Lebensgefährtin Gisela Lyner aus der Sowjetunion, 1931.
Als Russland noch cool war: Briefe von„ Egonek“ (rechts) und seiner Lebensgefährtin Gisela Lyner aus der Sowjetunion, 1931.Bassenge Berlin

Dazu kommen Vintage-Fotografien, die der Schriftsteller seiner Post beilegte. Sie zeigen ihn, den Pionier des Action-Journalismus und Urahnen von Günter Wallraff, gern mal in schrägen Outfits: 1929 als Derwisch mit Turban in Algerien oder als Leichtmatrose auf dem Frachtschiff Jefferson Myers auf Kurs von Baltimore via Panama nach Los Angeles, wo er Charlie Chaplin treffen wollte. 1937 dann in der grimmig schwarzen Uniform (komplett mit Barett und Gewehr) der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Diktator Franco. Langweilig wurde es einem Egon Erwin Kisch wohl nie.

Harmonisches Schriftbild mit schnurgeraden Zeilen

„Die Arbeit an dieser Auktion und dem Katalog war selbst wie eine Reportage“, sagt Markus Brandis, CEO von Bassenge und Mastermind dieser außergewöhnlichen Auktion. „Beim Lesen dieser Korrespondenz wird man richtig reingezogen in diese unglaubliche, fürchterliche Zeit. Man durchlebt sie wie sonst eigentlich nur bei Victor Klemperer. Kisch hat ja viele Leute aus Prag und Berlin wieder getroffen im Exil, ob Heinrich Mann, Klaus Mann oder Irmgard Keun, die ‚Das kunstseidene Mädchen‘ schrieb.“

Was überrascht: Das überaus harmonische Schriftbild mit schnurgeraden Zeilen der handschriftlichen Briefe. Darin verraten sich nicht nur Kischs größtes Asset – eine Konzentration, für die das Wort „Geistesgegenwart“ geradezu erfunden sein könnte – und sein Spekulieren auf eine neugierige Nachwelt, sondern auch seine Gentleman-Haltung der Adressatin gegenüber. Ein Vierteljahrhundert hindurch ging das so, ab 1923 bis zu Kischs Tod in einem Prager Hospitalbett im März 1948.

Flapper-Power: Jarmila Haasová (links) und ihre Freundin Gisela Lyner in Neu-Strehlitz, 1925.
Flapper-Power: Jarmila Haasová (links) und ihre Freundin Gisela Lyner in Neu-Strehlitz, 1925.Bassenge Berlin

Und noch eine Erkenntnis stellt sich beim Vertiefen in diese Briefe ein: Es hätte wohl keinen literarischen Dauerbrenner Kisch gegeben ohne jene zwei Frauen, die nun die heimlichen Stars dieser Versteigerung sind. Zum einen Jarmila Haasová, die viel mehr war als Kischs Übersetzerin ins Tschechische – sie war auch kritische Lektorin (frecher O-Ton Kischs in einem Brief von September 1929: „... da Du dich sowieso gründlich damit befassen mußt, findest Du alle Geschmacklosigkeiten leichter als ich, der dieses Buch noch heute immer nicht ruhig lesen kann ...“). Und sie war seine Agentin und Honorarverwalterin, sein guter Geist. Ihre Hartnäckigkeit gegenüber Prager Verlagen sicherte dem jüdisch-böhmischen Kisch und seiner Lebensgefährtin Gisela Lyner auch nach 1933 ein finanzielles Auskommen.

Womit wir bei der zweiten Lebensfrau des Egon Erwin Kisch wären. Gisela Lyner, die er 1938 im Versailler Exil schließlich heiratete, tippte alle seine Manuskripte auf der Maschine ab; von ihr, die ihre Briefe meist mit „Gisl“ signierte, stammen ebenfalls einige Blätter in dieser Auktion. „Sie hat sich dabei die Augen verdorben, wäre fast erblindet und musste sich einer Operation unterziehen“, sagt Markus Brandis. „Das war richtig harte Arbeit auf den damaligen Schreibmaschinen. Da gab es öfter mal eine Sehnenscheidenentzündung.“

Was also ist jetzt zu tun, für jede und jeden, die den guten, den eigensinnigen, unabhängigen Journalismus lieben? Diesen Katalog studieren und mitbieten natürlich. Sich oder einem glücklichen Verwandten/Freund (Weihnachten naht!) ein Stück europäische Moderne sichern. Einfach so? Einfach so.

Egon Erwin Kisch - Der Nachlass der Jarmila Haasová. Auktion am Mittwoch, den 13. Oktober um 18 Uhr bei Bassenge Berlin, Erdener Straße 5a, 14193 Berlin-Grunewald. Der auf 200 Stück limitierte Katalog in Leinen kostet 20 Euro.


Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.