Secondhand mit Expertise

outofuseberlin: Ein Berliner Pärchen mischt die Vintage-Szene auf

Sissi und Pat brauchen keine Nachnamen mehr – in der Modeszene kennt sie auch so jeder. Dabei seien sie doch geradezu normal, beteuert das Pärchen. Ein Porträt.

He’s a keeper: Den Chanel-Mantel im Workwear-Stil hat Pat für seine Freundin Sissi gefunden.
He’s a keeper: Den Chanel-Mantel im Workwear-Stil hat Pat für seine Freundin Sissi gefunden.Dahahm Choi

Berlin-Wenn Sissi Pohle und Patrick Scherzer unterwegs sind, muss man sich das wohl wie ein Wes-Anderson-artiges Roadmovie vorstellen. Weniger im überbordenden Look des „Grand Budapest Hotel“, eher wie „Die Royal Tenenbaums“ – verrückt, entrückt im besten Sinne, herrlich sonderbar.

Sissi Pohle im gestreiften Strickpulli zum karierten Plisseerock, Patrick Scherzer wahlweise mit blauem, mit grünem oder pechschwarzem Strubbelhaar, steigen sie dann in ihren uralten, knallgelben Mercedes W123 200. Darin gurken sie quer durch Deutschland, veranstalten irgendwo im Nirgendwo auf menschenleeren Rasthöfen kleine Pausenpicknicks auf der Motorhaube. Ihr Ziel kann überall liegen und ist doch immer dasselbe: die besten, die schönsten Vintage-Teile finden – Kleider ebenso wie Keramiken, Mode wie Möbel – in Bayern oder Berlin, im Norden, im Süden, im Westen und Osten des Landes.

Seit einigen Jahren sind Pohle und Scherzer bloß noch als Sissi und Pat bekannt – Nachnamen völlig überflüssig. Man kennt die beiden nur zu gut auf sämtlichen Modeveranstaltungen in Berlin, auch auf den Fashion Weeks in Mailand oder Kopenhagen, in den sozialen Medien sowieso. Dort zeigen sie sich und ihre Schätze, die sie unter dem Label outofuseberlin verkaufen – online und seit neuestem auch über ihren Showroom in der Pappelallee, der vor wenigen Wochen erst eröffnet hat.

„Eigentlich befindet ihr euch hier in unserem Wohzimmer“, sagt Sissi.
„Eigentlich befindet ihr euch hier in unserem Wohzimmer“, sagt Sissi.Dahahm Choi

Wer die Straße in Prenzlauer Berg hinunterspaziert an diesem kalten Herbsttag, an dem wir die beiden besuchen, könnte das kleine Ladenlokal beinahe übersehen. Eine schnöde 7 steht an der silbernen Metalltür, die Hausnummer; das Schaufenster ist abgehangen. Auf dem Glas aber prangt ein Spruch, ein Versprechen, das beim Schritt durch die Ladentür eingelöst wird: „I was too punk for you“, steht da – dieser Showroom ist nichts für den Mainstream.

Krachbunte Kleider hängen an ulkig verformten Kleiderstangen, die die Antwerpener Künstlerin Charlot van Geert entworfen hat, viele Vintage-Designerteile sind darunter, Originale von Yves Saint Laurent, von Hermès und von Chanel. Auf den blauen Metallregalen gegenüber drücken sich Accessoires und Dekorationsartikel aneinander: flaschengrüne Glasvasen nebst Margielas Tabi-Boots, ein altes Teeservice und güldene Miu-Miu-Sandaletten, Ohrringpaare sind auf einem Schachbrett aufgereiht wie König, Königin und Bauern.

„Eigentlich“, sagt Sissi und öffnet die Arme zur einladenden Geste, „befindet ihr euch hier in unserem Wohnzimmer.“ Der gleiche Tisch, die gleichen Regale – selbst ganz ähnliche Vintage-Teppiche aus der Türkei haben die beiden sowohl in ihrer Wohnung wie in ihrem Showroom verteilt. Schon das verdeutlicht, wie eng das Paar mit seinem Business verbunden ist, wie fließend sich die Übergänge zwischen Privatleben und Punkladen gestalten. Vor wenigen Jahren gründeten Sissi und Pat outofuseberlin als eine Art multidisziplinäres Vintage-Brand in Berlin. Sie verkaufen Secondhandartikel, statten damit Künstlerinnen und Schauspieler aus, finden sich auch mit anderen Modeunternehmen für Kooperationen zusammen.

Eigentlich ist Pat derjenige, der alle pieces findet, die in meinem Kleiderschrank landen.

Sissi Pohle

Sissi stammt aus dem baden-württembergischen Freiburg im Breisgau, Pat aus Kitzingen in Unterfranken – beiden ist eine charmante Sprachfärbung geblieben. Kennengelernt hat sich das Paar auf Instagram, natürlich, das erste reale Treffen folgte auf der Berliner Fashion Week – ein modernes Modemärchen mit Liebes-Happy-End also. „Ich hatte mir eigentlich ein Hotel zur Fashion Week gebucht“, sagt Pat und lächelt milde. „Aber als wir uns getroffen haben, musste ich sofort stornieren und die ganze Woche bei Sissi verbringen.“

Auf dem blauen Metallregal: flaschengrüne Vasen nebst Margielas Tabi-Boots, Teeservice, Miu-Miu-Sandalen.
Auf dem blauen Metallregal: flaschengrüne Vasen nebst Margielas Tabi-Boots, Teeservice, Miu-Miu-Sandalen.Dahahm Choi

Was die beiden eng verbindet, ist eine tiefe Liebe zu Kleidern und Klüngel, zu Secondhand-Teilen vor allem. In ihrer Heimat hatte Sissi im Einkauf eines luxuriösen Optikers gearbeitet, später wechselte sie zur Brillenmarke Mykita in Berlin, auch in einer PR-Agentur war sie zwischenzeitlich tätig. Pat war indes einige Jahre in der Designabteilung des Kitzinger Modelabels Drykorn für Strick, Jersey und Hemden zuständig. 2019 gründete das Paar dann gemeinsam outofuseberlin. Und während Sissi besonders für Interior-Stücke ein Händchen beweist, schafft Pat vor allem die Modeteile heran – für die gemeinsame Vintage-Marke ebenso wie für seine Freundin.

„Eigentlich ist Pat derjenige, der alle pieces findet, die in meinem Kleiderschrank landen“, sagt Sissi; auch den anthrazitfarbenen Chanel-Mantel im Workwear-Stil, den sie zum Interviewtermin trägt, habe er unlängst gefunden. „Der Mantel hing random an einem Ständer, auf einem total verbogenen dünnen Metallbügel in Mailand auf dem Flohmarkt“, erzählt Pat. „So einen wahnsinnigen Fund macht man alle paar Monate mal.“

Wenn du vor einem Tisch mit 500 Vasen stehst, brauchst du Vorstellungskraft.

Patrick Scherzer

Zum Erfolg der beiden gehört also nicht nur das gute Auge, sondern auch eine gehörige Portion Ausdauer – die Bereitschaft, sich durch Berge abgelegter Sachen zu wühlen. „Wenn du vor einem Tisch mit 500 Vasen stehst, dann gehört schon ein bisschen Vorstellungskraft dazu, um das eine wirklich schöne Objekt zu entdecken“, sagt Pat. Was gefunden wird, wird erst mal sorgfältig gereinigt; was allzu viele Zeichen der Zeit an sich trägt, wird ausgebessert. Immer wieder setzt sich auch Pats Mutter im heimischen Kitzingen an die Nähmaschine, um Modeteile wieder herzurichten.

Davon, wie erfolgreich die beiden auf ihren Touren sind, haben längst auch die Modemarken Wind bekommen. Gelegentlich fragten große Häuser bei den beiden an, um das eigene Archiv aufzubessern. „Habt ihr was von Yves Saint Laurent aus den Achtzigern“, heißt es dann, oder: „Wir suchen alte Modelle von Versace.“ Das ist schon interessant, weil es verdeutlicht, dass Sissi und Pat ein aktuelles Phänomen der Mode mitprägen: Immer tiefer wagen sich Designerinnen und Designer in die Archive ihrer Labels hervor, um aus Altem Neues entstehen zu lassen.

Modernes Märchen: Sissi und Pat haben sich auf Instagram kennengelernt.
Modernes Märchen: Sissi und Pat haben sich auf Instagram kennengelernt.Dahahm Choi

Es dürfte zum Beispiel kein Zufall sein, dass Dior in den vergangenen Jahren seine „Saddle“-Bag in neuen Formen vielfach wieder auf den Markt brachte, nachdem das Modell auf einschlägigen Secondhand-Plattformen wie Vestiaire Collective oder The Real Real immer populärer wurde; auch bei vielen anderen Marken lässt sich vermehrt ein Aufleben alter Entwürfe erkennen. Labels beobachten also sehr genau, was Anbieter wie outofuseberlin machen, schauen interessiert auf Figuren wie Sissi und Pat. Was zum Trend wird, entscheidet sich nicht mehr nur in den Pariser Ateliers und Mailänder Modewerkstätten – sondern auch im Geschäft mit Vintage-Ware.

Die Kooperationen Sissis und Pats mit den ganz großen Namen der Branche gehen aber weit über die Bereitstellung rarer Archivteile hinaus. Sie arbeiten auf vielfache Weise mit Modemarken zusammen. Das Traditionshaus Chanel etwa hat schon mehrfach bei outofuseberlin angeklopft. „Wir haben die Eyewear-Kollektion von Chanel zusammen mit unseren Vintage-Teilen gestylt und ein gemeinsames Editorial umgesetzt“, erzählt Sissi; das damit produzierte Bildmaterial landet dann auf dem eigenen, viel beachteten Instagram-Account oder in einschlägigen Magazinen. Auch direkt wird das Paar für solche Medien aktiv, für die deutsche Vogue zum Beispiel teilten Sissi und Pat unlängst ihre „Kopenhagen-Insider-Tipps“.

Kooperationen, die nicht zu uns passen, lehnen wir konsequent ab.

Patrick Scherzer

Im Fokus stehen immer sie selbst – ihr Stil, ihr Geschmack. Das wünschen sich die Medien und die Marken so, die sich gern mit diesem Berliner Paar verbunden fühlen – und das ist auch für Sissi und Pat selbst das oberste Gebot. „Wir verkaufen nur das, was wir selbst tragen würden, wir verfolgen nur Projekte, hinter denen wir wirklich stehen“, sagen sie wie aus einem Munde. Um das durchzuziehen, gehört für die beiden auch ein freundliches und doch bestimmtes Kopfschütteln zum Geschäftsalltag. „Eigentlich sind wir richtige Neinsager“, erklärt Pat. „Kooperationen, die nicht zu uns passen, lehnen wir konsequent ab. Selbst wenn die Honorare stimmen würden.“

Es ist diese Authentizität, die outofuseberlin so erfolgreich, die das Paar so beliebt macht in der Branche. Und wahrscheinlich ist es auch eine herrliche Erkenntnis, die sich im Gespräch mit den beiden einstellt: Im gestreiften Strickpulli und karierten Plisseerock, unter den blauen Strubbelhaaren stecken zwei überaus freundliche, geradezu bodenständige Charaktere. „Wir mögen nicht so aussehen, aber wir sind ganz normal. Wie der Herbert da hinten oder die Annika da drüben“, sagt Sissi und deutet in den luftleeren Raum. Wer sich das kaum vorstellen kann, der sollte sich die neuesten Pläne der beiden anhören.

Ohrringpaare hat das Paar auf einem Schachbrett aufgereiht wie König, Königin und Bauern.
Ohrringpaare hat das Paar auf einem Schachbrett aufgereiht wie König, Königin und Bauern.Dahahm Choi

„Unseren Showroom in Berlin werden wir behalten und nach Möglichkeit auch eine kleine Wohnung“, sagt Pat. „Aber bald wollen wir nach Unterfranken in die Nähe meiner Familie ziehen.“ Das rege Treiben in der Großstadt, volle Läden, volle Straßen, das komme ihrem Geschäft zugute – privat sei das für die beiden auf Dauer aber nichts. „Morgens aufwachen, einen Kaffee im Garten trinken, schauen, wie es unserem Gemüsebeet geht – eigentlich ist es das, was wir wollen“, erklärt Sissi. Ein passendes Domizil wäre auch schon gefunden – das ganz so durchschnittlich dann doch nicht ist.

„Wir haben eine Wohnung in einem alten Schloss bei Kitzingen in Aussicht“, erzählt Pat. „Vielleicht wird das ja was.“ Besonders reizvoll: Zur royalen Wohnung gehört eine große Garage, die gut als Vintage-Möbellager dienen könnte. Und als Stellplatz für den knallgelben Mercedes.

outofuseberlin, Pappelallee 7, Prenzlauer Berg, nur per Termin, outofuseberlin@gmail.com, Telefon: +49 178 9408051, www.outofuseberlin.com

Infobox image
Berliner Verlag
Die Wochenendausgabe
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Samstag am Kiosk oder hier im Abo. Jetzt auch das neue Probe-Abo testen – 4 Wochen gratis

Am 20./21. November 2021 im Blatt: 
Unser China-Spezial: Der chinesische Botschafter in Deutschland äußert sich zur Zukunft der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit und plädiert dafür, „politische Korrektheiten“ beiseite zu lassen. Außerdem: Ein Interview mit der China-Spezialistin Genia Kostka

Lehrreich oder Voyeurismus: Was haben Touristen von einem Besuch in Tschernobyl?

Coronamonster im Hochbett: Wie es sich anfühlt, die eigene Familie in Gefahr zu bringen

Verhandlungen mit Lukaschenko: Warum Gespräche mit dem Diktator die Migrationskrise an der belarussisch-polnischen Grenze auch in Zukunft lösen könnten

https://berliner-zeitung.de/wochenendausgabe

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.