Das aktuelle polnische Kino ist (vielleicht gerade wegen der politischen Lage) erstaunlich lebendig. In den vergangenen Jahren sind kleine Meisterwerke entstanden, die deutsche Filmschaffende leicht neidisch machen können. Man denke an Pawel Pawlikowski „Ida“, seinen gelungenen Nachfolger „Cold War“ oder das Katholiken-Epos „Corpus Christi“ von Jan Kamosa. Ja, es gibt im Kino Osteuropas viel zu entdecken.
Ganz aktuell ist der düstere Krimi „Operation Hyacinth“ zu sehen, der im Herbst beim polnischen Filmfestival in Gdynia präsentiert wurde und dort eine Auszeichnung für das beste Drehbuch bekam. Jetzt läuft das Drama bei Netflix, auch in Deutschland. Der Film von Piotr Domalewski (1983 geboren) spielt im November 1985 im kommunistischen Polen. Es geht um den Polizisten Robert (Tomasz Zietek), dessen Vater ein hohes Tier bei der polnischen Staatssicherheit ist. Robert soll Karriere machen, er kennt die richtigen Leute, ist fleißig, verliebt, verlobt, die Türen stehen ihm offen. Sein Leben gerät aber plötzlich ins Wanken, als er für die Warschauer Polizei einen Serienmörder aufspüren soll, der in der Schwulenszene sein Unwesen treibt. In dem Drama, das ein graues, düsteres und trotzdem faszinierend melancholisches Warschau zeigt, wird dargestellt, wie brutal und respektlos die damaligen Sicherheitsbehörden mit homosexuellen Männern umgingen.
Wichtiges Thema unterhaltsam aufbereitet
Die Geschichte um die Operation „Hiacynt“ basiert auf Fakten. Diese wurde organisiert, um schwule Männer abzufangen und festzunehmen, Homosexualität wurde so von den Behörden systematisch kriminalisiert. Der Film zeigt, wie der junge Robert in einen moralischen Konflikt gerät, weil er erkennt, dass seine Vorgesetzten unethisch handeln: Sie wollen die Morde einem Bauernopfer unterjubeln, wohlwissend, dass die Taten in Wahrheit auf ein anderes Konto gehen. Schließlich offenbaren sich Verbindungen bis in die obersten Etagen der kommunistischen Partei.
Der Thriller reiht sich ein in die Tradition des „Film noir“, beweist abertrotz der Vintage-Atmosphäre seine eigene Handschrift. „Operation Hyakinthos“ ist modernes polnisches Kino, das ein wichtiges Thema unterhaltsam aufzuarbeiten versteht.
Wertung: 4 von 5 Punkten

Am 20./21. November 2021 im Blatt:
Unser China-Spezial: Der chinesische Botschafter in Deutschland äußert sich zur Zukunft der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit und plädiert dafür, „politische Korrektheiten“ beiseite zu lassen. Außerdem: Ein Interview mit der China-Spezialistin Genia Kostka
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