Berlin-Am Samstag hat im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein ein Mann einen Angestellten einer Tankstelle erschossen, nachdem dieser ihn beim Bierkauf zwei Mal gebeten hatte, einen Mund-Nasen-Schutz über sein Gesicht zu ziehen. Nach jetzigem Erkenntnisstand war der 49-jährige mutmaßliche Täter noch nie polizeilich in Erscheinung getreten. Das hat der zuständige Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann bestätigt.
Der Mann, der den Mord an den 20-jährigen Tankstellen-Mitarbeiter mittlerweile gestanden hat, gab hinsichtlich seines Tatmotivs an, er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt und habe „keinen anderen Ausweg gesehen“, als den Angestellten zu töten. Das Opfer habe er als „verantwortlich für die Gesamtsituation“ gesehen, „da es die Regeln durchgesetzt“ habe (damit waren die Hygiene-Regeln gemeint).
Die mutmaßliche Tatwaffe wurde bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt, weitere Waffen und Munition wurden in dem Haus des 49-Jährigen ebenso gefunden. Der mutmaßliche Täter habe keine waffenrechtliche Erlaubnis gehabt, so der zuständige Staatsanwalt Fuhrmann laut Angaben der Süddeutschen Zeitung. Die Herkunft der Waffen müsse also noch aufgeklärt werden.
„Ich bin es so leid“
Die Tat ist an Niedertracht kaum zu überbieten. Dennoch sollte, bevor eine Diskussion über deren politische Implikationen beginnt, Demut und Achtsamkeit an erster Stelle stehen. Es ist geradezu schockierend, zu beobachten, wie jetzt – noch vor der Veröffentlichung der polizeilichen Untersuchungsergebnisse – ein Teil der Öffentlichkeit die abscheuliche Tat zum Anlass nimmt, politisches Kapital aus dem Mord zu schlagen. Auf beiden Seiten des politischen Spektrums, links wie rechts.
Auf rechten Telegram-Kanälen freuen sich Rechtsradikale und radikalisierte Querdenker über den Mord. Auf Twitter kann man wiederum die Gegen-Reaktion beobachten und Einträge unter dem Hashtag #QuerdenkerSindTerroristen lesen, die sich in Spekulationen ergehen. Ein großer Teil der Nutzer macht die Querdenker-Szene für die Tat ideologisch verantwortlich. Ein Twitter-Nutzer schrieb: „Tausendfach wurde vor der Gefahr, die von den ‚Querdenkern‘ ausgeht, gewarnt. Immer wieder wurden diese Esofaschos in der Presse verharmlost und von Politikern durch Gespräche geadelt. Ich bin es so leid.“
Richtig ist, dass ein Teil der Querdenker-Szene vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Richtig ist, dass der Verfassungsschutz einem Teil der Querdenker-Szene die Bereitschaft zum Terror zutraut. Richtig ist aber auch, dass die Indizien dafür sprechen, dass der mutmaßliche Täter den Mord aus niederen Bewegründen begangen hat. Auch das ist freilich nur eine Spekulation. Aus dieser Tat jetzt auf Terror zu schließen, ist vorschnell und verharmlost den Mord, indem er politisch instrumentalisiert wird. Ein Twitter-Nutzer schreibt richtig: „Jetzt sieht man, was Hass und Spaltung angerichtet haben. Allerdings ist ein Framinghashtag wie #QuerdenkerSindTerroristen nicht dazu geeignet, die gesamtgesellschaftliche Psychose zu beschreiben oder gar zu heilen. Im Gegenteil. So wird der Hass nur noch mehr befeuert. Wahnsinn.“
Unsere Gesellschaft ist über die Corona-Maßnahmen tief gespalten. Was es jetzt braucht, ist eine nuancierte Analyse, die offenlegt, in welchen gesellschaftlichen Kreisen die Kritik an den Corona-Maßnahmen in eine aufrührerische, anti-demokratischen Hetze kippt und wo sie berechtigten Argumenten folgt. Der Begriff „Querdenker“ taugt zur Analyse nicht. Alle Kritiker der Corona-Maßnahmen als Querdenker und Terroristen über einen Kamm zu scheren, hilft jetzt niemandem. Es vertieft nur die Gräben. Als Beobachter könnte man jetzt stattdessen sein Mitgefühl aussprechen, die polizeilichen Untersuchungsergebnisse abwarten, Hashtags beiseite lassen und sich an einen Spruch von Michelle Obama halten: „When they go low, we go high.“ Es wird die Zeit kommen, in der sich die Frage nach den politischen Konsequenzen stellt.
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