Im abgekürzten Verfahren, vernuschelt. Er hatte es so oft gesagt, nun lag’s ihm schwer auf der Zunge. Immer wieder der Marxismus-Leninismus, der in jedem dritten Satz erwähnt werden wollte. Und er machte nicht den Eindruck, als hörte er sich gerne reden, als könnte er sich an seinen Slogans berauschen, als brächten ihn die abgegriffenen Formeln in Schwung. Der Genosse Sredzki, mein Staatsbürgerkunde-Lehrer in der Berufsschule der Deutschen Reichsbahn, war mir von Anfang an so freundlich gesinnt – Sredzki? Der von der Sredzkistraße im Prenzlauer Berg? Nein, das war der Vater von unserem Reichsbahn-Sredzki. Ein deutscher Kommunist und Widerständler, der gleich 1933 nach der Machtergreifung Hitlers zum ersten Mal verhaftet wurde. 1944 im KZ Sachsenhausen erschossen, im Genickschussgraben. Er hatte auch in Luckau gesessen, und vielleicht lag es ja daran, dass sein Sohn Gerhard Sredzki, mein Staatsbürgerkunde-Lehrer, so freundlich zu mir war. Ich kam ja gerade aus Luckau, aus dem Gefängnis, in dem sein Vater gesessen hatte, nach dem Krieg war es in ein Jugendgefängnis umgewidmet worden. Aber es war mehr: Auch der junge Gerhard Sredzki, ein Jungkommunist, ein engagierter Funktionär, war 1934 von der Gestapo verhaftet worden. Wegen seiner politischen Überzeugungen. Mit 16 Jahren. Und ich war 16, als ich aus dem Gefängnis in Luckau zur Deutschen Reichsbahn kam. Wo ich wegen meiner politischen Überzeugungen gesessen hatte. Nur nicht so lange wie er – ganz so barbarisch waren wir in der DDR doch nicht.

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