Kunst-Jahresrückblick

Kunst-Highlights 2021: „Disappearing Berlin“ und „28 Seiten Emotionen“

Im Coronajahr 2021 war viel von Krypto- und Digital-Kunst die Rede. Aber in Berlin lagen die eigentlichen Höhepunkte anderswo. Ein Rückblick.

Aus der Reihe „Dissappearing Berlin“: hier eine Performance des Komponisten Billy Bultheel und der Künstlerin Viviana Abelson im Spreewaldbad, November 2021
Aus der Reihe „Dissappearing Berlin“: hier eine Performance des Komponisten Billy Bultheel und der Künstlerin Viviana Abelson im Spreewaldbad, November 2021Hanno Hauenstein

Im Jahr 2021 über Kunst zu sprechen, ohne NFTs zu erwähnen, geht kaum. Seit Mike Winkelmann alias Beeple im März ein Krypto-Kunstwerk via Christie’s für über 69 Millionen Dollar verkaufte und sich damit in die Reihe der teuersten noch lebenden Künstler nach Jeff Koons und David Hockney katapultierte, kann man sagen: Non-fungible Tokens haben 2021 die Bastillen des Kunst-Establishments erstürmt.

Und das, obwohl Beeples Kunstwerk, oberflächlich betrachtet, kaum auratisch wirkt, eher wie diese zusammengewürfelten Bügelperlen, wie man sie bei Ikea kaufen kann („Pyssla“). Beeple selbst bezeichnet seine Werke als „Kunst-Shit für dein Gesichtsloch“. Trotzdem: Der Verkauf galt als Hoffnungsschimmer am Horizont eines Kunstmarkts, der Digitales bislang weitgehend ignoriert hatte. Renommierte Galerien begannen, sich auf Token-basierte Digitalkunst zu spezialisieren. In Berlin sticht hier besonders der innovationsaffine Galerist Johann König hervor. Das Online-Bidding für Refik Anadols spektakuläres NFT-Werk, das bis vor Kurzem in Königs St.-Agnes-Location zu sehen war, streamte er live auf Instagram.

Blockchain-Bros mit „großen Visionen“

Auch kleinere Galerien wie das Office Impart von Anne Schwanz und Johanna Neuschäffer trugen 2021 dazu bei, die Denkweise zu relativieren, das Zeigen analoger und digitaler Kunst schließe sich wechselseitig aus. Der Zeitpunkt hätte kaum passender sein können: Lockdowns und Reisebeschränkungen ließen die Vorstellung, dass Kunstrezeption nur in analogen Räumen stattfinden könne, als Glaubenssatz vergangener Tage erscheinen.

Bei allem Hype und Glitzer über die Potenziale von NFTs, austauschbare Files in einzigartige Kunstwerke zu verwandeln, liegt ihr Reiz letztlich natürlich auch darin, ein Monetarisierungsinstrument zu sein. Die Sprache, die sie umgibt, wirkte dabei 2021 oft gewollt nebulös. Es ist die Sprache realitätsferner Blockchain-Bros: Männer mit Polohemden und einer „großen Vision“. Vielleicht wäre es – im Sinn einer demokratischeren Kunst – ein Schritt in die richtige Richtung, wenn 2022 weniger selbstverliebtes Krypto-Sprech und mehr Inhalte Szene und Markt bestimmen würden, ob in digitaler oder analoger Form. 

Performance von Billy Bultheel und Viviana Abelson im Spreewaldbad
Performance von Billy Bultheel und Viviana Abelson im SpreewaldbadHanno Hauenstein

Performance-Reihe „Disappearing Berlin“

In Berlin hallten im Coronajahr 2021 ironischerweise gerade Impulse aus dem Bereich Performance nach. Da war etwa die Programmreihe „Disappearing Berlin“, in deren Rahmen der Schinkel-Pavillon den Blick auf urbane Räume lenkte, die vom Verschwinden bedroht oder im Wandel begriffen sind. So sollte erprobt werden, ob und wie Kunst sich in politische Debatten einbringen und zu mehr städtebaulichem Bewusstsein beitragen kann.

„Disappearing Berlin“ bespielte etwa den Mäusebunker in Steglitz, jenes brutalistische Gebäude mit seinen charakteristischen Tetraederfenstern und wie Kanonen in die Luft ragenden Belüftungsrohren. Oder den leer stehenden Supermarkt an der Jannowitzbrücke: eines der zahlreichen Objekte, die der architektonisch generischen Spree-Umgestaltung weichen sollen.

Ein Highlight der Disappearing-Reihe, das zusammen mit dem Radialsystem verwirklicht wurde: eine Performance des Komponisten Billy Bultheel und der Künstlerin Viviana Abelson im Spreewaldbad, das 2022 saniert wird. Bultheel, der auch an der Vertonung mehrerer Anne-Imhof-Stücke mitwirkte, interpretierte darin die Resonanzräume des Wellenbades parallel zur Akustik barocker Architektur. Entsprechend erinnert die Musik, der man an drei Abenden im November lauschen konnte, teils an sakrale Choräle, teils an harten Techno. Ins Wasser laufende, watende, schwimmende Menschen musizierten hier mit Querflöten, mit über der Wasseroberfläche wabernden Metallplatten, mit Drumsticks und weiteren von Viviana Abelson eigens entworfenen Instrumenten. Sie verwandelten das Profane des Wellenbads in eine Art unheimliche Kunstkirche – getragen von der Präsenz des Klangs, dem Spiel mit Licht und Dunkelheit und den Bewegungen im Raum. 

Jan Koslowski und Olga Hohmann alias Apricot und Limoncello in der Galerie Anton Janizewski
Jan Koslowski und Olga Hohmann alias Apricot und Limoncello in der Galerie Anton JanizewskiGalerie Anton Janizewski/Gernot Seeliger

Gefühle sind real (it's true)

Wo sich „Disappearing Berlin“ an Dissoziationen der Realität versucht, schafft „28 Seiten Emotionen“ – eine Dinner-Performance im Begleitprogramm der herrlich eklektischen Gruppenausstellung „Feelings are real (it's true)“ – eine Simulation des Realen: des Familien-Dinners, des Zusammensitzens, der Freundschaft, der Liebe. Während ein Koch mit grell-oranger Mütze Schmalzbrote serviert, ergehen sich die zwei zentralen Figuren des Abends, Apricot und Limoncello (Jan Koslowski und Olga Hohmann), in einem Beckett’schen Wechselspiel aus Dialog, Gesang und Schubert-Klängen am Cembalo.

„Heute sprechen wir, im KLEINEN KREIS, über GEFÜHLE, auch FEELINGS genannt“, verkündet Limoncello darin. Es gebe wissenschaftliche Darstellungen, erklärt sie, wo man genau sehen könne, wo die Emotionen sich im Körper niederschlagen. „Liebe ist dort also als Gefühl aufgelistet. Aber – ist Love nicht more than a feeling?“ Charmant spielt diese Performance mit der Schwierigkeit, Gefühle in Worte zu fassen, auch zu verarbeiten – gerade in einer Sprache, die nicht Englisch ist. Simultan wird hier eine Situation erzeugt, die Teilnehmende zu schwelgenden, vom Essen erwärmten und sprichwörtlich verzückten Objekten der verhandelten Gefühle werden lässt. 

Gernot Seeliger, „Danke 02“, Digital C print, 75 x 94 cm
Gernot Seeliger, „Danke 02“, Digital C print, 75 x 94 cmGernot Seeliger/Galerie Anton Janizewski

„The dreams we have / The love we share / This is what we’re waiting for“, lautet der Refrain, den am Ende des Abends alle mitsingen. Ein Refrain, der zwar – wie die Performance selbst – exzentrischer Camp ist, vielleicht aber gerade deshalb eine Bezugnahme auf jene Affekte zulässt, die sich tatsächlich irgendwie „echt“ anfühlt.

Die Kunst, die auf und um den großen Esstisch herum im Galerieraum platziert ist, reicht von Malerei über Installation bis zu Keramikobjekten. Besonders hervorstechend: Gernot Seeligers Fotografien von Geschenkkörben, deren Aufmachung und Saturiertheit schrill überzeichnet wirkt, die Inhalte (Ketchup, Gewürzgurken, Spargel) hingegen wie einfache Supermarkt-Billigware. Einer der Körbe liegt umgekippt auf der Straße, Regen prasselt auf das funkelnde Plastik herab. Es ist ein bisschen wie mit dem Thema des Abends, und auch ein bisschen wie mit Kunst selbst: Man kann eine Sache noch so fancy verpacken – am Ende muss man sie doch einfach fühlen. Oder eben nicht. 

„Feelings are real (it’s true)“ mit Begleitprogramm ist noch bis Ende Januar in der Galerie Anton Janizewski zu sehen, Goethestraße 69, Programm unter: www.antonjanizewski.com

Diese Texte sind in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.