Berlin-Eigentlich könnte Christine Korte ein kleines Homeoffice ganz gut gebrauchen. Vor einigen Monaten aber musste der heimische Arbeitsplatz der freien Journalistin weichen, musste Platz machen für Bauklötze, Bilderbücher, Bärchendecken. „Vorher standen da ein ziemlich cooler Schreibtisch und ein Bücherregal, dann habe ich für Carlo und Vito freigeräumt“, sagt sie und deutet in eine kunterbunte Ecke des Wohnzimmers, einen ihrer Söhne auf dem Arm. „Das hier war ja vorher meine Singlewohnung, mein Bachelorette Pad sozusagen, aus dem ich dann irgendwie eine Familienwohnung gemacht habe.“
15 Monate alt sind Carlo und Vito, Christine Kortes unerträglich süße Zwillinge. Dass sie die beiden allein aufziehen würde, war von Anfang an klar; Carlos und Vitos Vater kennt Christine Korte nicht. Gerade 40 Jahre alt geworden, hatte sie sich vor etwa zwei Jahren zum Kauf einer Samenspende entschieden. „Ich weiß nicht, ob es an der ziemlich harten Datingszene in Berlin liegt“, sagt sie nun, „aber irgendwie habe ich den Mann fürs Leben einfach nicht gefunden.“

Korte zeichnet mit ihren Fingern Gänsefüßchen in die Luft, als es um „den Mann fürs Leben“ geht – wohlwissend, dass dieser nicht nur für hauptstädtische Singles häufig eine Illusion bleibt. Darüber, dass sich ein Kinderwunsch auch ohne potenziellen Soulmate erfüllen lässt, hatte sie lange Zeit nicht nachgedacht; dass der Weg über die Samenspende in Deutschland überhaupt legal ist, war ihr nicht bewusst – bis sie eine ebenso kinder- und traummannlose Freundin zu diesem Schritt inspirierte. „Die hatte wiederum eine Bekannte, die das schon gemacht hatte, und wollte auch selbst auf diesem Wege schwanger werden.“

Christine Korte nahm erst einmal das Angebot eines psychologischen Gesprächs wahr, das in Deutschland zwar nicht verpflichtend ist, wohl aber empfohlen wird. „Ich saß dort keine fünf Minuten und habe sofort angefangen zu heulen – und eigentlich hab ich das ganze Gespräch hindurch gar nicht mehr damit aufgehört“, erzählte die Journalistin neulich als Gast einer SWR-Talkshow zum Thema „Väter“. „Oh Gott, dachte ich, was denkt jetzt diese Psychologin von mir: Ich will ein Kind kriegen und bin total labil drauf.“

Das Gegenteil war der Fall: Die Psychologin konnte Christine Korte viele Ängste nehmen, sagt sie jetzt, ihr deutlich machen, dass es vielen Frauen in Deutschland ähnlich geht und sich immer mehr von ihnen den Wunsch nach einer Familie auf diese Weise erfüllen. Die Samenspende kaufte Korte trotzdem in Dänemark, wo das Prozedere schon länger erprobt, die Qualität der Spenden deutlich besser ist. Fündig wurde sie bei der European Sperm Bank, die den Männern die Möglichkeit bietet, entweder anonym zu spenden oder einzuwilligen, dass die Kinder in einem bestimmten Alter Kontakt zu ihren biologischen Vätern aufnehmen.
Preislich bewegt sich die Samenspende ungefähr im Bereich einer Luxushandtasche.
„Ich wollte und ich musste mich für eine offene Samenspende entscheiden, weil Kinder nach deutschem Gesetz ein Recht darauf haben, zu wissen, woher sie kommen“, sagt sie; ohnehin habe ihr die Psychologin dazu geraten, mit Carlo und Vito gleich von Anfang an ehrlich zu sein, ihnen so viel wie möglich von ihrem Vater zu erzählen. Und tatsächlich weiß Christine Korte von ihm, einem Dänen mit schottischen Wurzeln, einiges zu berichten: Ein Kinderfoto und eine zehnminütige Interview-Aufnahme wird den Kundinnen der Samenbank zur Verfügung gestellt, eingehende Informationen zur Krankheitsgeschichte der potenziellen Kindsväter natürlich sowieso.

„Letztendlich“, sagt Christine Korte, mittlerweile angekommen am kleinen Küchentisch in ihrer Wohnung, vor der Nase zwei Babybrei-Gläschen und zwei hungrige Mäuler, „habe ich nach Sympathie entschieden.“ Es waren die Antworten im Interview, die Korte von dem Vater ihrer Zwillinge überzeugten. „Er hat zum Beispiel von seinem Lieblingsfilm erzählt, ‚Fight Club‘, ihm imponiere daran, wie männliche Rollenbilder infrage gestellt würden“, sagt Korte, während sie einen kleinen Plastiklöffel in Richtung einer ihrer Kinder manövriert. Dass sie dieses Thema später im Besonderen beschäftigen würde – als alleinerziehende Mutter zweier Söhne nämlich –, wusste sie zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

Die Auswahl eines geeigneten Kandidaten aus der digitalen Samenspende-Datenbank sei schon interessant, auch ein bisschen seltsam gewesen. „Im Grunde ist das wie Shoppen auf Net-a-Porter“, sagt Korte milde lächelnd, „auch preislich bewegt sich die Samenspende ungefähr im Bereich einer Luxushandtasche.“ Dass sie diesen irrwitzigen Vergleich zieht, ist kaum verwunderlich: Christine Korte ist Modejournalistin, hat in Deutschland, Mailand und Paris gearbeitet, mit und bei so ziemlich allem, was in der Branche Rang und Namen hat.

„Nach dem Studium bin ich erstmal nach Mailand gegangen und habe dort Korrespondenz für die deutsche Ausgabe der Madame gemacht. Aber dann ist es mit meinem italienischen Freund in die Brüche gegangen und ich musste die Stadt fluchtartig in Richtung Paris verlassen“, erzählt sie und lacht. Es folgten erst Korrespondenzen in der Hauptstadt der Mode, für Vogue und Women’s Wear Daily zum Beispiel, später arbeitete Korte als Redakteurin in München, erst für die Glamour, dann für die InStyle. Während der Finanzkrise aber blieben irgendwann die Aufträge und auch die festen Arbeitsstellen aus.
Ich dachte damals: In welcher Stadt kann man besser ohne Job sein als in Berlin?
„Da habe ich mir gedacht: In welcher Stadt kann man besser ohne Job sein als in Berlin?“ So landete die gebürtige Kölnerin schließlich in der Hauptstadt; heute schreibt sie als freie Journalistin für InStyle, Elle und Iconist, arbeitet – wenn ihre Jungs in der Kita sind oder von einer Kinderfrau betreut werden – an einem Tag in der Woche zudem für das Berliner Heyday Magazine.

Wer Christine Korte kennt, wer mal das Glück hatte, mit ihr einen Abend an der Theke zu verbringen, weiß, dass sie so einige „Teufel trägt Prada“-artige Geschichten aus ihrem Berufsleben zu erzählen hat. Geschichten aus einer Welt, in der kapriziöse Chefredakteurinnen Texte in der Luft zerreißen und „Jeans Specials“ eine ganze Armada nervöser Praktikantinnen tagelang beschäftigen. „Aber die Lust an diesem Job habe ich nie verloren“, sagt Korte, während sie die nächste Portion Brei aus dem Gläschen löffelt. „Ich liebe ihn einfach.“

Das sieht auch, wer durch Kortes Wohnung in Mitte läuft. Auf einem Stuhl neben ihrem Bett – umstellt von den beiden Kinderbettchen, die das Schlafzimmer zu einem verschachtelten Labyrinth entfremden – stapeln sich Modehefte, Fachbücher und Bildbände, hier und dort liegen Hermès-Lippenstifte; zum Interview- und Fototermin trägt Korte einen salbeigrünen Seidenschlafanzug mit Marabufeder-Saum, dazu waldgrüne Samtschläppchen. Das passt gut zur Wohnung an sich, in der ebenso Grüntöne dominieren.

Gleich fällt die überbordende Petersburger Hängung ins Auge, die eine ganze Wand des Wohnzimmers beansprucht. „Ich habe einfach an jeden Nagel, den die Vormieterin in der Wand gelassen hat, ein Bild gehängt“, sagt Korte – „fertig“. Bauhaus-Poster und kleine Kunstwerke, ein gerahmtes Gedicht, Familienfotos hängen vis-a-vis der Spielecke, in der nur ein Gemälde dominiert: ein Werk der Berliner Künstlerin Susanne Bonowicz, die Leihgabe einer befreundeten Nachbarin, Galeriebetreiberin und Patentante von Vito. Perfekt passt das abstrakte, farbstarke Gemälde in die Spielecke, eine der vielen Veränderungen, die Kortes einstige Singlewohnung erfuhr.
Was sich indes nicht verändert hat, ist die überschaubare Größe der 56 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung. „Natürlich bräuchten wir etwas Großzügigeres, mindestens ein Zimmer mehr müsste es schon sein“, sagt Korte. „Aber wie wir ja wissen, ist das in Berlin derzeit nicht so einfach.“ Also sucht sie hin und wieder, klickt sich durch die digitalen Wohnungsannoncen wie durch das luxuriöse Angebot von Net-a-Porter. „Und bis wir was gefunden haben“, sagt Christine Korte und lächelt ihre endlich satten Söhne an, „stapeln wir uns eben hier noch ein bisschen.“
Christine Korte ist Modejournalistin und auf Instagram unter dem Account @cks_and_udos_daily zu finden


