Berlin-Kabeljau, Dorsch, Skrei, Stockfisch, Klippfisch, Bacalao, Cod, Morue: All diese Begriffe bezeichnen quasi den gleichen Fisch. Man mag es kaum glauben, und doch stimmt es, auch wenn Experten gleich mit mir schimpfen werden. Doch haben wir etwas Geduld. Denn am Ende dieses Textes werden Sie bestimmt etwas schlauer sein und zudem diesen Kulturfisch zu schätzen wissen. Kulturfisch? Damit meine ich nicht einen Fisch aus einer Aquakultur. Nein. Vielmehr einen wunderbar schmackhaften Fisch, der uns Menschen seit Jahrhunderten begleitet und maßgeblich Einfluss auf viele Aspekte unserer kulturellen Entwicklung hat.
Bereits 1997 widmete der amerikanische Journalist und Sachbuchautor Mark Kurlansky dem Kabeljau ein umfangreiches Buch. Das Werk beschreibt, wie dieser Fisch die Weltgeschichte prägte. Kurlansky beginnt bei den Wikingern, die sich nur wegen großer Mengen getrockneten Kabeljaus (Klippfisch – norwegisch Klippfisk), den sie als haltbare Nahrung auf ihren für die hohe See eigentlich viel zu kleinen Schiffen mitführten, trauten, gen Westen zu segeln. Denn nur ein großer Vorrat an Klippfisch ermöglichte lange Passagen. Gesalzen war er später noch länger haltbar und damit besonders für die Hanse von großer Bedeutung, denn sie konnte ihr Territorium dadurch ausweiten. Je länger sich der Fisch hielt, desto weiter konnte man also segeln.
Kurlansky beschreibt auch, wie die Liebe zu diesem Fisch noch heute tief in der Kultur und Seele der Basken verankert ist, denn er brachte dem Volk im Mittelalter Wohlstand. Aber auch so mancher Seemann verlor dabei in der wilden Biskaya und im Nordatlantik (die Basken segelten schon vor Kolumbus bis kurz vor den amerikanischen Kontinent) sein Leben. Selbst im amerikanischen Bürgerkrieg war der Kabeljau von entscheidender Bedeutung und verschaffte den Truppen des Nordens, welche im Gegensatz zu denen des Südens Zugriff auf den Fisch hatten, einen strategischen Vorteil. In der Entstehungsgeschichte des Bundesstaates Massachusetts spielte der Fisch eine so bedeutende Rolle, dass Anfang des 18. Jahrhunderts ein großer, aus Holz geschnitzter Kabeljau im Repräsentantenhaus aufgehängt wurde. Dort hängt der sogenannte Sacred Cod bis heute.

Achten Sie auf nachhaltige Fischerei
Und auch heute noch begleitet uns dieser Fisch, denn der starke Rückgang der Fangmengen zeigte schon relativ früh auf, dass wir Menschen in unserer unstillbaren Gier gerne über die Stränge schlagen und sogar die gewaltigen Vorkommen des Kabeljaus weltweit fast ausrotteten. Heutzutage treiben wir es ja noch viel weiter und spielen am Thermometer des ganzen Planeten herum.
Der Kabeljau steht auf der Liste der gefährdeten Arten. Jedoch, das sei hier deutlich gesagt, liegt das nicht per se am Fischfang selbst, sondern an der falschen Fischereipolitik der vergangenen Jahrzehnte. Sie können guten Gewissens Kabeljau essen, nur informieren Sie sich vorher, wie und wo der Fisch gefangen wurde. Der gemäßigte Verzehr von Meeresfisch, konsequent aus nachhaltigem Fang, ist vertretbar. Die Fischereipolitik so mancher EU-Länder hingegen nicht. Die meisten Methoden der industriellen Fischerei sind es schon gar nicht.
Die Norweger etwa fischen in ihren Gewässern den Skrei. Dieser Fisch, auch ein Kabeljau, war in den 90er Jahren auch dort stark bedroht. Doch die Norweger haben ein Nachhaltigkeitskonzept entwickelt, und heute zählen ihre Bestände zu den größten und beständigsten weltweit. Es geht also!
Bacalao, Stockfisch und Co.
Lassen Sie uns nun von diesem eher deprimierenden Ausflug wieder auf unser kulinarisches Thema kommen. Was ist das also alles – Skrei und Dorsch, Stockfisch und Bacalao? Im Grunde handelt es sich hier, nimmt man es zoologisch nicht allzu streng, immer um den gleichen Fisch. Es gibt regionale Unterschiede in der Bezeichnung. Merken Sie sich vereinfacht: Nur in der Ostsee heißt er Dorsch, ansonsten stets Kabeljau. Skrei ist die norwegische Variante, die zum Ablaichen von der Barentsee in die Nähe der Lofoten-Inseln wandert (vom Altnorwegischen Skrida, Wandern). Durch die lange Wanderung ist er besonders fettarm, und das Fleisch ist fest, daher gilt er als Delikatesse.
Das kann man von Stockfisch und Bacalao nicht behaupten. Bacalao oder Bacalaho heißt auch einfach Kabeljau, bezieht sich aber im Sprachgebrauch in Südeuropa – vor allem Spanien und Portugal – oft auf die eingesalzene und dann getrocknete Variante. Diese beiden stark gesalzenen und getrockneten Varianten des Fisches gelten als Armeleute-Essen. Bei den Italienern heißt er Merluzzo, der getrocknete Kabeljau allerdings heißt Stoccafisso, eine wunderbare Verballhornung der deutschen Sprache. Aber auch Baccalà wird er genannt. Die Italiener haben den getrockneten Fisch schon früh kennenlernen dürfen, nämlich als 1431 einige venezianische Seeleute auf den Lofoten schiffbrüchig gingen. Sie wurden von den Einheimischen aufgenommen, erkannten schnell den Wert des Trockenfischs und brachten ihn zurück nach Venetien.
Ein berühmtes Gericht der venezianischen Küche ist daher Baccalà a la Vicentina, also Kabeljau nach Art der Provinz Vincenza. Und in eben dieser Provinz gibt es heute noch Orte, die Städtepartnerschaften mit den Lofoten pflegen – dem Kabeljau sei Dank! Und in England? Na, da hat er es bis nach ganz oben geschafft, der Cod. Er ist quasi Hauptprotagonist des Nationalgerichts Fish & Chips, eine geniale Kombination, quasi die Currywurst der Angelsachsen. Wenn Sie jetzt also mehr Lust haben auf Currywurst, dann lesen Sie lieber nicht weiter, sondern holen Sie sich die beste Currywurst von Berlin oder probieren mein einfaches Currywurstrezept aus.
Kutteln und Zungen vom Kabeljau
In Deutschland ist es schwierig, Stockfisch noch auf einer Restaurantkarte zu finden. Auch bei den wenigen übrig gebliebenen Fischhändlern findet man ihn kaum noch. In Südeuropa, vor allem in Spanien und Portugal, ist er hingegen kaum wegzudenken. Dort ist der Bacalao auf jedem Markt erhältlich, quasi omnipräsent, und auch in vielen Restaurants als lokale Spezialität zu bekommen. Er wird dabei oft quasi nose to tail verwendet, und man findet oft Callos de Bacalao, also Kutteln (Magen) vom Kabeljau, oder Cortezas de Bacalao, die knusprig frittierte Haut des Fisches. Die Norweger schätzen die Zungen, paniert und in Öl ausgebacken. Wunderbar!
In Deutschland findet sich, vor allem im Norden, die in Dosen verpackte Leber vom Dorsch. Quasi die Sardinen-Büchse des Nordens (Rezepte dazu hier). Klar, so graue Dorschlebern sind nicht jedermanns Sache, aber richtig genutzt eine wahre Delikatesse. Und wir lieben ja grundsätzlich den konzeptionellen Ansatz nose to tail. Wenn also Fisch und Fleisch, dann bitte so nachhaltig, wie es nur geht. Es muss nicht immer das Sahnestück sein! Auch eine feine, gebundene Suppe, gekocht aus den Gräten des Fisches, schmeckt hervorragend. Mit reichlich Gemüseeinlage, frischem Brot und gehacktem Dill ist das Ganze eine wirtschaftliche und nachhaltige Mahlzeit. Das sollten auch die hiesigen Gastronomen wieder erkennen. Nun aber zu einigen einfachen Kabeljau-Rezepten, die Sie lieben werden:
Vitello Dorschato
Also Vorspeise empfehle ich Ihnen ein Vitello Dorschato! Diese Wortkreation würde ich gerne auf meinem Konto verbuchen, jedoch kam mir der Wiener Koch Christian Petz zuvor. Das Prinzip ist einfach, wir substituieren alles Italienische mit lokalen Zutaten.
Zutaten: Kalbsrücken am Stück, Schmand, eine Dose Dorschleber, Salz, Pfeffer, Rapsöl, Holunderbeeren oder Kapern.
Zubereitung: Das Kalbsfleisch braten wir rundum an, mit frischen Kräutern wird es im Ofen rosa gegart. Aus Schmand und Dorschleber machen wir eine Soße. Ganz einfach mit dem Stabmixer. Salz und Pfeffer rundet die S0ße ab. Statt Olivenöl benutzen wir ein gutes, kaltgepresstes Rapsöl, und statt Kapern eingelegte, unreife Holunderbeeren (die gibt es neben vielen Soßen und Jus im Onlineshop vom Sternekoch Jens Rittmeyer). Che bello!
Grätensuppe vom Kabeljau
Zutaten: Gräten, Köpfe und Flossen vom Kabeljau, Lorbeerblätter, Weißwein oder Wermut, Salz, Pfeffer, Mehl, ein Stück Butter, Kartoffel, Karotte, Lauch und Sellerie, Dill.
Zubereitung: Für die letzten kalten Tage machen wir eine schöne Suppe. So wie oben erwähnt. Aus den Gräten eines Kabeljaus (bekommt man bei einem guten Fischhändler) kochen wir einen Fond. Die Gräten einfach mit einem Lorbeerblatt, Salz und Pfeffer (wer mag mit Alkohol, etwas Weißwein, Noilly Prat oder Pernod) in einen Topf geben, mit Wasser bedecken, einmal aufkochen und dann ziehen lassen. Bereits nach einer halben Stunde ist der Fond fertig.
Abpassiert ist er die Basis für unsere Suppe. Wir kochen den Fond nun auf und binden ihn ganz nach unserem Gusto. Man kann dazu einfach Speisestärke benutzen, wer sich etwas Mühe macht, nimmt eine Mehlbutter. Dazu einfach ein Stück zimmerwarme Butter mit Mehl zu einer Paste verkneten. In dieser Suppe kochen wir nun etwa fünf Millimeter starke Würfel aus Kartoffel, Karotte, Lauch und Sellerie gar und geben reichlich Dill dazu. Voila! Mit frischen Sauerteigbrot ein echter Hochgenuss! Mit Berliner Flusskrebsen – Sumpfkrebse aus dem Tiergarten – nahezu sterneverdächtig!
Die besten Fischstäbchen der Welt
Zutaten: Entgrätete Filets vom Kabeljau, Salz, Pfeffer, Mehl, Eier, Semmelbrösel, Butterschmalz oder Rindernierenfett.
Zubereitung: Und nun, wir wollen es doch tun, für Sie: Eines der Sahnestücke – ein Filet vom Fisch. Haben Sie sich einen solchen Strang besorgt, dann legen Sie ihn für rund 20 Minuten in eine zehnprozentige Salzlösung (1000 Gramm Wasser und 100 Gramm Salz). Das macht das Fleisch fester und stabiler, ein schöner Küchentrick. Anschließend wird er abgespült und abgetrocknet. Dann in schöne Stücke schneiden, etwa zwei Zentimeter breit wie hoch, aber 5–6 Zentimeter lang.
Erkennen Sie es schon? Nein? Na dann weiter! Würzen Sie die Stücke mit Pfeffer und Salz, und dann panieren Sie sie. Erst das Mehl, dann Ei und nun die Semmelbrösel. Anschließend in sprudelndem Butterschmalz schön goldbraun ausbacken. Sie werden sehen, wie gut Fischstäbchen schmecken können. Besonders mit einem selbstgemachten, lauwarmen Kartoffelsalat (mit frischer Gurke und Radieschen) und hausgemachter Remoulade.
Backfisch für Ambitionierte
Zutaten: Entgrätete Filets vom Kabeljau, Mehl, Reismehl, Wodka, Backpulver, Salz, Honig, eine Flasche Hefeweizen, Pflanzenöl (noch besser Enten- oder Rindernierenfett).
Zubereitung: Und wer es wagt, zuhause etwas zu frittieren, dem geben wir noch ein Rezept für einen super knusprigen Backfisch an die Hand. Wie oben wird der Fisch vorbereitet und portioniert, jedoch in doppelt so große Stücke. Anschließend wird er durch einen schönen Ausbackteig gezogen und frittiert. Für den perfekten Teig gebe ich Ihnen nun ein paar kleine Geheimtipps. Sie werden benötigen: je 200 Gramm Haushaltsmehl (Typ 405 oder 550) und Reismehl, 300 Milliliter Wodka, einen halben Löffel Backpulver, Salz, einen Teelöffel Honig, 300 Milliliter Hefeweizen. Mischen Sie zuerst alle trockenen Zutaten und geben Sie dann das Bier, den Honig und den Wodka dazu.
Warum Wodka? Alkohol verdampft deutlich schneller als Wasser, und das wird Ihren Teig besonders luftig machen. Der Dampf drückt quasi explosionsartig durch den Teig und vergrößert die kleinen Bläschen der Kohlensäure aus dem Bier. So einfach ist das! Um ein perfektes Ergebnis zu erzielen, stellen Sie den Teig kalt, denn je höher später der Temperaturunterschied zwischen Teig und Frittierfett ist, desto fluffiger und knuspriger das Ergebnis. Echte Profis arbeiten hier mit Crushed Ice, für den Hausgebrauch rate ich hiervon aber dringend ab! Und der Honig? Der macht den Teig nicht nur angenehm süßlich, sondern auch schön braun. Ausgebacken wird dann in neutralem Pflanzenöl bei 180 Grad. Wie lange? Na bis er fertig ist, der Kabeljau. Dazu empfehle ich ein Erbsenpüree mit Minze, das nimmt der Sache etwas die Schwere.
Resteverwertung: Sollten Sie einmal vom Vortag noch Backfisch übrig haben, dann zerrupfen Sie die Stücke und machen einen Salat daraus. Beispielsweise mit Romanasalat, Kartoffeln, Ei, Mayonnaise und Schnittlauch. Das ergänzt eine abendliche Brotzeit ganz ausgezeichnet. Ganz schön deftige Küche, aber sorgen Sie sich nicht, Kabeljau ist gesund! Er ist fettarm und reich an Vitamin A, D und E. Die Leber enthält viele Omega-3-Fette, Magen und Zungen viel Kollagen. Gesund ist er also auch noch, dieser Kabeljau.
Felix Hanika war zunächst Investmentbanker, dann machte er im Hotel & Restaurant Bareiss im Schwarzwald eine Kochlehre. Acht Jahre kochte er in den besten Restaurants der Welt. In der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung schreibt er regelmäßig über seine Lieblingsprodukte.
