Berlin-In den vergangenen Tagen hat sich seit gefühlt Monaten endlich mal wieder der blaue Himmel gezeigt. Und der Sonnenschein tut natürlich nicht nur unseren Gemütern gut, nein auch die Natur hat sich sehr darüber gefreut. So mancher Baum oder Busch war schnell mit einem leichten grünen Schimmer überzogen. Und besonders die Berliner erwachen jetzt aus der typischen Hauptstadt-Winterdepression, denn das Grau-in-Grau wird wieder zu einer farbenfroheren Welt. Ganz so, als hätte Opa gerade den ersten Farbfernseher geliefert bekommen. Und was für Opa damals galt, das gilt natürlich in erhöhtem Maße heute für mich als begeisterter Gourmet. Ich freue ich mich immer auf die erste Jahreszeit: La Primavera.
Im Garten sprießen jetzt die ersten Zuckerschoten, Erbsen, Spinat und knackiger Kohlrabi, scharfe Radieschen und aromatischer Frühlingslauch. Und bald – liebe Deutsche – kommt der erste Spargel. Gefolgt von frischem Rhabarber und süßen Erdbeeren, Morcheln und Pfifferlingen. Es ist ein Fest. Und bald, liebe Leser, da werden wir Ihnen zeigen, was man daraus alles so zaubern kann. Spoiler: ein wunderschönes und leichtes Leipziger Allerlei zum Beispiel. Mit ein paar Flusskrebsen aus dem Tiergarten, luftig leichten gedämpften Kalbsklößchen oder Mini-Semmelknödeln als vegane Option für den neuen Homo urbanicus aus Mitte und Prenzlauer Berg.
Wir werden Ihnen einige Rezepte niederschreiben, aber im Frühling ist das auch nicht so schwer, denn man kann aus dem Vollen schöpfen. Aktuell möchte man zwar regional und saisonal kochen, aber das ist gar nicht so leicht. Man kann zwar auf reichlich Eingemachtes zurückgreifen, doch mit den ersten Sonnenstrahlen wächst auch die Sehnsucht nach einer leichteren und verträglicheren Küche. Vorbei ist die Zeit von Kohlrouladen und dicken Würsten, die in Sauerkraut und Grünkohl schwimmen. Wir wollen keine Schmalzbrote mehr und auch keine Ente à l’Orange. Da sind alles wunderbare Gerichte, sie bringen uns gut durch den düsteren und kalten Winter, der in Berlin noch düsterer ist als anderswo.
Das Interregnum zwischen Winter und Frühling
Jetzt, für das Interregnum zwischen grau und quietschgrün, brauchen Sie auch einen Fahrplan. Und dafür bekommen Sie von mir gleich ein paar Rezepte, die die Küche der kalten Jahreszeit sanft verabschieden und schon mal ein bisschen Frische in den Kochtopf zaubern. Meine Sauerkraut-Rezepte lassen wir einmal beiseite, denn darüber sind Sie ja nun gut informiert. Aber bleiben wir der botanischen Kohlfamilie treu und widmen wir uns Grünkohl und Schwarzkohl, zwei ganz wunderbaren Pflanzen. Der Grünkohl hat es sogar schon in so manchen Smoothie geschafft, denn er hat sehr viel Vitamin C und relativ viel Vitamin K. Vor allem ist er aber das Gemüse mit dem höchsten Anteil von Betacarotin und ist somit ganz ausgezeichnet für Ihre Herzgesundheit.
Auch Rosenkohl ist ein äußerst schmackhaftes Wintergemüse und hat viele Ballaststoffe und Mineralien, wie etwa Kalium. Und dann kommen all die schönen Winterrüben wie die Steckrübe, Rote Bete, Pastinaken und die Schwarzwurzel. Letztere verschmähen viele Menschen, denn sie ist zugegebenermaßen etwas kompliziert in der Handhabung. Aber Schwarzwurzel ist ausgesprochen schmackhaft und stellt quasi den Spargel der Wintermonate dar. Und die Mühe mit dem Spargel machen wir uns ja nun (ein paar Monate später) auch, wieso also nicht auch mit diesen fast in Vergessenheit geratenen Stangen ein bisschen Unsinn anstellen?
Unser Warenkorb für das Interregnum ist noch nicht ganz voll, denn es fehlen noch die feinen Wintersalate. Allen voran natürlich der bekannte Feldsalat und Chicorée, oder auch die herrlichen Bittersalate Norditaliens, die jetzt am Ende des Winters am besten schmecken. Deren Ursprung liegt in der Lagune Venedigs mit ihrem einzigartigen Klima. Doch Radicchio di Treviso und Castelfranco (der hellgrüne Salat mit den rosa Sprenkeln!) wachsen auch in der sandigen Mark Brandenburg. Und darüber freuen wir uns sehr.
Versuchen Sie es mal mit Bucheckern!
Was hingegen noch (Klimawandel!) nicht hier wächst, sind Orangen. Dennoch finden die spät geernteten Blutorangen ihren Weg auf die lokalen Märkte und auch darüber freuen wir uns sehr. Denn das feinherbe, aber frische Aroma der süßen Frucht komplettiert unseren Warenkorb. Was noch fehlt, sind die Nüsse. Sie kennen sie alle. Aber eine bekommt eindeutig zu wenig Aufmerksamkeit: die Buchecker.
Sollten Sie diese herrliche Frucht der Rotbuche bekommen, dann schlagen Sie unbedingt zu. Im Krieg hatte meine Großmutter sie wegen der Lebensmittelknappheit kennengelernt und fortan nicht mehr von ihrem Speiseplan verbannt. Man findet sie leider nicht oft zu kaufen, aber ein bisschen Challenge muss sein. Und es gibt sie auch nicht jedes Jahr. Zudem sollen Bucheckern leicht giftig sein. Nun, ich habe Tausende gegessen und lebe noch. Denn nach dem Rösten sind sie völlig harmlos.
Gesammelt werden Bucheckern zwar im Herbst, aber sie dienen uns den Winter über als schmackhafter Snack. Ihr Auftritt sein ihnen hier also gegönnt. Da stehen wir nun mit all diesen Köstlichkeiten. Dieser Warenkorb ist doch ein wahrer Schatz und er soll uns dabei dienen, die Brücke in den Frühling zu schlagen. Denn es ist falsch, zu behaupten, die Winterzeit tauge nur für deftige Eintöpfe. Wer das sagt, dem mangelt es an Kreativität. Oder an guten Rezepten. Hier also ein paar Frühlingsrezepte mit Zutaten aus dem Winter.
Tatar von gebackener Roter Beete
Zutaten: Rote Beete, Salz, Ketchup, Worcestersoße, Kapern, Schalotten, Tabasco, Pfeffer, Olivenöl und Sardellen.
Zubereitung: Wir beginnen mit einem relativ neuen Klassiker. Erfinder ist der kongeniale Küchengott Alain Passard. Warum ich den Mann liebe? Zur absoluten Verwunderung der Pariser (wahrscheinlich allen Franzosen) hat er sich 2001 dazu entschlossen, sein 3-Sterne-Restaurant auf vegetarisch umzustellen. Eine Entscheidung, die ihn zu erhöhter Kreativität zwang, und seine Gerichte noch besser gemacht hat. Denn ihm verdanken wir das Tatar von der Roten Beete. Wenn Sie faul sind, können sie das auch in der Weinbar Jaja in Neukölln essen. Es ist aber ganz einfach, man ersetzt das Rindfleisch einfach durch gebackene Rote Bete. Fangen wir also an: Sie können die Beten selber im Ofen backen, bei 180 Grad auf einem Bett aus Salz. So lange, bis sie schön weich sind. Oder kaufen sie die bereits fertige Variante einfach in einem Supermarkt. Manchmal mögen wir es einfach.
Die gegarte Frucht wird mit einem scharfen Messer in feine Würfel geschnitten. Etwa drei bis fünf Millimeter dick. Und dann machen wir das Ganze an wie ein richtiges Tatar. Rezepte dazu finden sie haufenweise online. Hacken sie meine Zutaten einfach ganz klein und würzen sie mit den Soßen und Gewürzen. Die Liste kann ergänzt werden, so wie sie es mögen. Abschmecken und essen müssen sie es schließlich am Ende selber. Nur eins: Es soll würzig sein, also keine Angst. Sicher ist: Mit diesem Tatar, frischem Brot und einer kleinen Salatgarnitur wird Ihnen der Menüauftakt beim nächsten Abendessen gelingen. Dankesbriefe bitte an Monsieur Passard – oder gerne an mich, ich leite sie dann weiter.
Mit einem Wintersalat auf den Frühling einstimmen
Zutaten: Radicchio, Castelfranco, Chicorée, Feldsalat (alles geht!), Blutorangen, Pampelmuse, Balsamico oder Sherryessig, Bucheckern oder andere Nüsse, Ziegenkäse oder Gorgonzola, Taleggio, Honig.
Zubereitung: Ein frischer Salat ist eine großartige Beilage, geht aber auch wunderbar als Hauptgang durch. Mischen sie also die oben genannten Salate. Filetieren Sie dazu schöne reife Blutorangen oder Pampelmusen und fangen sie den Saft auf. Mit etwas Olivenöl und gutem alten Balsamico oder etwas Sherryessig wird daraus ihre Salatsoße entstehen. Dazu gibt es geröstete Bucheckern (oder andere Nüsse) und vielleicht einen karamellisierten Ziegenkäsetaler mit etwas Honig (das war 2007 in Berliner Restaurants der letzte Schrei, erinnern Sie sich?) oder ein paar Stücke Gorgonzola oder Taleggio. Das klingt doch schon ziemlich nach Frühling, nicht wahr?
Pastinaken-Suppe
Zutaten: Pastinaken, Sellerie, Karotte, Lauch, Zwiebel, Brühe, weißer Portwein, Sahne oder Butter, Salz, Pfeffer.
Zubereitung: Wer doch noch etwas Warmes braucht, dem empfehle ich eine schöne Suppe aus Pastinaken. Das Prinzip ist immer das gleiche. Schwitzen Sie etwas Mirepoix (Sellerie, Karotte, Lauch und Zwiebel in kleinen Würfeln) an und geben Sie dann die gewürfelten Pastinaken dazu. Da es eine Pastinaken-Suppe werden soll, sollte diese Wurzel natürlich auch in der Mehrheit sein. Erklärt sich von selbst, aber Vorsicht ist die Mutter der Suppenküche, oder so ähnlich. Nun gießen wir mit Brühe auf, je nach Geschmack mit Gemüse- oder Hühnerbrühe. Wenn alles richtig gar ist, pürieren. Abschmecken. Fertig. Wer möchte, gibt einen guten Schuss weißen Portwein, Sahne und/oder Butter dazu. Es soll zwar eigentlich leicht sein, aber Sie entscheiden. Wer noch etwas Frischekick will, der kann noch ein bisschen Zitronenzesten reinreiben. Aber Vorsicht: Zesten gibt man immer erst ganz zum Schluss dazu, sonst wird alles bitter.
Quiche von Schwarzwurzel
Nun also zu meinem super, super Hauptgang für die Übergangszeit. Die etwas divenhafte Schwarzwurzel wird dabei die Hauptrolle spielen. Wir bedienen uns einfach einer ganz simplen optischen Täuschung. Anstelle einer Spargelquiche gibt es eine Schwarzwurzelquiche. Da glauben wir dann zeitweise, schon mitten in der Spargelzeit zu stecken und vergessen, dass es noch ein bisschen Winter ist.
Zutaten: Schwarzwurzeln, Blätterteig, Salz, Zitrone, Eier, Crème fraîche, Käse, ggf. Grün- oder Schwarzkohl
Zubereitung: Waschen Sie die Wurzeln also ordentlich und dann schälen Sie sie wie Spargel. Die geschälten Stangen schnell in eine Schale mit Wasser mit etwas Zitrone legen. Wenn Sie das nicht machen, laufen Sie an. Nun kochen wir die Stangen in gesalzenem Wasser gar. In einer rechteckigen Auflaufform ist der Blätterteig (kaufen Sie den im Supermarkt, wir arbeiten schließlich nicht für Ludwig XIV.) schon ausgerollt. Nun kommen die Stangen hinein, eine abgeschmeckte Mischung aus Eiern und Crème fraîche darüber und dann in den Ofen. Obenauf auch gerne noch etwas Käse. Wer mag, kann auch feine Streifen von Grün- oder Schwarzkohl in die Eier-Crème fraîche-Mischung geben. Überraschen Sie sich selbst, Sie können das! Auch hier passt übrigens ein Salat wie der oben vorgestellte wunderbar als Beilage.
Topinambur-Püree als Beilage
Zutaten: Topinambur, Salz, Butter, Sahne, Muskatnuss
Zubereitung: Eine andere Beilage können Sie aus Topinambur machen. Die Knollen sind zwar etwas widerspenstig und schwer zu schälen, aber es lohnt sich. Kochen Sie sie in Salzwasser gar. Das dauert schon ziemlich lange. Anschließend pürieren und mit Butter, Sahne, Muskatnuss und Salz ein schönes Püree montieren. Eine wunderbare Beilage mit einem außergewöhnlichen Geschmack. Besonders gut passt diese Beilage zu Wild. Mit etwas sautiertem (das heißt: kurz in der heißen Pfannen gebratenem) Schwarzkohl, fein abgeschmeckt mit Salz, Muskatnuss und etwas Knoblauchöl? Himmlisch, aber heute soll es ja leicht sein. Stichwort: Frühling.
Blutorangen-Carpaccio mit Maraschino
Zutaten: Blutorangen, Maraschino, that’s it!
Zubereitung: Abschließend eine denkbar einfache Nachspeise: Eine geschälte und in Scheiben geschnittene Blutorange einfach auf einem Teller drapieren und darüber ein Schuss Maraschino (ein italienischer Likör). In einigen guten Restaurants in Italien bekommt man das so. Und es gibt wirklich kaum etwas Besseres. Dabei wird die Orange live am Tisch filetiert, ein echtes Spektakel. Der Crêpe Suzette Italiens sozusagen (leider ohne Feuer!).
Dieses simple Dessert ist sicherlich nicht regional, aber es macht Lust auf mehr frische und leichte Gerichte. Und die sollen Sie auch bekommen. Aber eben erst dann, wenn der Frühling wirklich da ist. Fakt ist nämlich, wir haben immer noch Winter. Und die Winterküche muss gar nicht so schwer und kohlrouladig sein, wie man immer glaubt.
Felix Hanika war zunächst Investmentbanker, dann machte er im Hotel & Restaurant Bareiss im Schwarzwald eine Kochlehre. Acht Jahre kochte er in den besten Restaurants der Welt. In der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung schreibt er regelmäßig über seine Lieblingsprodukte.
