Berliner Zimmer

Besuch beim Stardirigenten in Charlottenburg: Bochum, Bratsche, Baseball

Das dicke B – im Leben Steven Sloanes steht es eben nicht nur für Berlin: Der Altbaupalast des Musikers erzählt von vielen Lieblingsstädten und Leidenschaften.

Der Küchenblock ist eine Extraanfertigung von Bühnenbildnern, mit denen Sloanes Frau arbeitet.
Der Küchenblock ist eine Extraanfertigung von Bühnenbildnern, mit denen Sloanes Frau arbeitet.Merve Terzi

Berlin-Steven Sloane muss ein großes Herz haben. Eines, das reichlich Platz bietet. Für die vielen Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, für Freundinnen und Freunde, für seine Familie sowieso. Für die Musik und für den Sport, seine beiden großen Leidenschaften. Und für all die Orte, mit denen er sich liebevoll verbunden fühlt.

Erst mal wäre da Los Angeles, die Stadt der Engel, in der Steven Sloane aufgewachsen ist. Dann Berlin, natürlich, der Ort, an dem er als Professor für Dirigieren an der Universität der Künste tätig ist, an dem er einen Wohnort für sich, für seine Frau und seine vier Kinder hat. „Als meine Heimat begreife ich aber vor allem Israel“, sagt Sloane – zehn Jahre hat er nach seinem Bratsche- und Gesangs-Studium dort gelebt, seit diesem Jahr leitet er zu seiner großen Freude als Musikdirektor auch das Jerusalem Symphony Orchestra. Und dann wäre da noch ein Ruhrpott-Städtchen, das Sloane fest in seinem Herzen trägt – „ich bin ein Bochumer“, verkündet er feierlich.

Dem Baseball-Team seiner Geburtsstadt bleibt Steven Sloane treu.
Dem Baseball-Team seiner Geburtsstadt bleibt Steven Sloane treu.Merve Terzi

Los Angeles, Berlin, Jerusalem – und Bochum? Überraschen wird diese Reihe nur all jene, die nicht um einen seiner größten Erfolge wissen. Gerade Mitte 30 war Steven Sloane, der Dirigent, der Musiker, das Musikgenie, als er zum Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker ernannt wurde. 1994 war das, „in einem jungen Alter war ich nicht nur für die musikalische Ausrichtung, sondern auch für den Gesamtbetrieb und die Finanzen zuständig“, erzählt Sloane mit butterweichem amerikanischem Akzent. „Das war incredible“, sagt er, unglaublich.

Lange standen Sloane und sein Orchester vor einem ganz grundsätzlichen Problem: Es gab keine richtige Spielstätte für sie – das Schauspielhaus der Stadt oder das Auditorium Maximum der nahen Uni sollten reichen. „Die waren aber beide völlig ungeeignet, schon die Akustik stimmte nicht.“ Also begann Sloane, für ein eigenes Konzerthaus zu kämpfen, monate- und jahrelang. „To make a very, very long story short“, sagt er nun und macht eine kleine Spannungspause – „nach 16 Jahren haben wir es geschafft.“

Für eine Klavier-Session lädt der Dirigent gern mal in sein gemütliches Wohnzimmer.
Für eine Klavier-Session lädt der Dirigent gern mal in sein gemütliches Wohnzimmer.Merve Terzi

Dass es in Bochum seit 2016 das Anneliese Brost Musikforum gibt, ein Konzerthaus, in dessen Bau die alte Marienkirche der Stadt als Foyer integriert wurde, ist auch Steven Sloanes Verdienst. Kein Wunder, dass nun „Thank you Mr. Sloane“ in dicken Lettern auf einer Art Lebewohl-Magazin zu seinem Abschied als Generalmusikdirektor des Orchesters prangt – „wir bedanken uns für 27 unvergessliche gemeinsame Jahre in Bochum“, steht darunter. „Ich habe immer gesagt: Wenn das Konzerthaus steht, bleibe ich noch fünf Jahre und dann gehe ich“, sagt Sloane. „Ein Orchester braucht doch immer wieder neue künstlerische Impulse.“

Zwar bleibt Sloane, der zwischenzeitlich auch Musikdirektor des Spoleto Festival USA, der Opera North in Leeds und des American Composers Orchestra, Chefdirigent des Stavanger Symphony Orchestra, künstlerischer Leiter der Kulturhauptstadt „Ruhr.2010“ und Erster Gastdirigent und künstlerischer Berater der Oper Malmö war, weiterhin den Bochumer Symphonikern als Ehrendirigent treu. Er dirigiert mit ihnen sein nächstes Konzert im Januar 2022. Seit diesem Jahr setzt er aber vor allem auch beim Jerusalem Symphony Orchestra Akzente.

Hinter dem Grammophon hängt eine Partitur Hans Werner Henzes.
Hinter dem Grammophon hängt eine Partitur Hans Werner Henzes.Merve Terzi

In der Charlottenburger Altbauwohnung aber erinnert noch immer viel an seine Bochumer Jahre. „Das hier zum Beispiel“, sagt Sloane und steht vom großzügigen Küchentisch auf: „Das ist ein Stein der alten Marienkirche.“ An einer Wand in seiner Küche hängt der Brocken eingerahmt, eine kleine Bleistiftnotiz ziert das Passepartout: „1/500“. „Diese Steine wurden während des Umbaus der Kirche zum Foyer des Konzerthauses in limitierter Stückzahl herausgegeben, und ich habe den Ersten vn der Bochumer Symphonie Stiftung bekommen“, sagt Sloane. „Das bedeutet mir wahnsinnig viel.“

Auch im Flur macht sich ein Stückchen Bochum breit, ein Gemälde stammt von Reinhold Echnaton, einem Künstler der Stadt: In grellen Farben und naivem Stil zeigt es die Figur der Salome samt abgeschlagenem Johannes-Kopf. Sloane hat das Bild bei einer Vernissage in seinem Bochumer Stammrestaurant Aubergine akquiriert. Etwas weiter hinten im Flur hängen gerahmte Partituren – der Originalausschnitt eines Stückes von Hans Werner Henze. „Wir beide waren eng miteinander verbunden. Auch, weil ich 2010, als Bochum Kulturhauptstadt Europas war, ein großes musikalisches Projekt rund um ihn und sein Schaffen erarbeitet habe“, erzählt Sloane. „Dass ich so viel Zeit mit diesem großartigen Komponisten verbringen durfte, war für mich eine große Ehre.“

Off with his head: Auf einem Bild des Künstlers Reinhold Echnaton hebt Salome den Johannes-Kopf in die Höhe.
Off with his head: Auf einem Bild des Künstlers Reinhold Echnaton hebt Salome den Johannes-Kopf in die Höhe.Merve Terzi

Glücklicherweise hat Steven Sloane nicht nur ein großes Herz, sondern auch eine große Wohnung. So finden dort ebenso Erinnerungen an seine anderen Lieblingsstädte Platz. Auf dem Sims eines Kamins zum Beispiel, den Sloane nach dem Einzug vor acht Jahren in die große Wohnküche einbauen ließ, liegen silberne Objekte: glänzende Becher, über denen nach jüdischer Tradition der Kiddusch, der Segensspruch, ausgesprochen wird; silberne einzelne Kerzenhalter für den Sabbat; eine siebenarmige Menora für Channuka. „In meiner Erziehung hat das Judentum eine eher kulturelle Rolle gespielt“, erzählt Sloane und nimmt einen der Becher in die Hand. „Meine Familie war zwar Mitglied in einer Synagoge in Los Angeles, aber unser Alltag war weniger religiös oder rituell geprägt. Ein Interesse an Israel stand aber immer im Fokus.“

Der Silberbecher in seiner Hand leuchtet im warmen Flackern des Kaminfeuers. Ohnehin spielt das Licht in der großzügigen Wohnung eine übergeordnete Rolle. „Ich bin ein richtiger Beleuchtungsfreak, in meiner Familie nennt man mich auch ‚Mister Dimmer‘“, sagt Sloane und lacht. Tatsächlich scheint das Licht in den großen, luftigen Räumen auf ein perfektes Mittel zwischen strahlend und schummrig arrangiert, wirken sämtliche Leuchten und Lampen geradezu bühnenreif komponiert. Das passt gerade zum überbordenden Küchenblock hervorragend, den Bühnenbildner entworfen haben, die mit Sloanes Frau, der Opernregisseurin Lotte de Beer, zusammenarbeiten. Die Arbeitsfläche besteht aus alten Türen, die jenen historischen, klassisch berlinerischen Gründerzeittüren entsprechen, die auch die Zimmer der Wohnung miteinander verbinden.

Silberbecher, Kerzenhalter: Auf dem Kaminsims leuchten jüdische Objekte.
Silberbecher, Kerzenhalter: Auf dem Kaminsims leuchten jüdische Objekte.Merve Terzi

Fehlt eigentlich nur eine: Sloanes Geburtsstadt nämlich, die sich nicht nur in Form des Charlottenburger Los-Angeles-Platzes direkt vor seiner Haustür bemerkbar macht. Der Dirigent verschwindet kurz im Schlafzimmer, um wenige Minuten später in voller Dodgers-Montur zurückzukehren. „Von denen bin ich schon Fan, seit ich ein ganz kleiner Junge war“, sagt Sloane und hält seine Kaffeetasse mit dem Logo des Baseballteams in die Höhe. „Wenn die Dodgers spielen, schaue ich mir die Liveübertragung um 5 Uhr morgens an, da brauche ich mir gar keinen Wecker zu stellen, da wache ich von ganz alleine auf.“

Überhaupt sei der Sport neben der Musik eine seiner größten Leidenschaften, „abgesehen vom Baseball verfolge ich auch Basketball, und ich selbst spiele seit ein paar Jahren mehrmals die Woche Tennis.“ Und was ist mit Fußball, jetzt, wo er so viele Jahre schon in Deutschland lebt? „Da interessiere ich mich vor allem für den VfL Bochum“, sagt Steven Sloane und lacht – natürlich.

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