Berlin-Soldinerstraße. Sonntagmorgen. Berlin-Wedding. Vor dem Kiosk stehen ein paar Männer in Joggingdress, als ich eine Freundin von mir – Lisa Strippchen, 25 – mit einer Fotografin besuche. Die Klingelschilder zeigen türkische, arabische, polnische, ein paar deutsche und ein paar englische Namen.
Am Café am Ende der Straße zeigt sich: die Gentrifizierung hat Wedding voll ergriffen. Nur noch nicht richtig in den Hinterhöfen. Als wir klingeln und es summt, müssen wir uns in Richtung Hinterhaus durch einen Hof kämpfen, der eine alte Couch, gestapelte Beutel, Elektroschrott und zerknüllte Zeitungen zu einem Müllberg versammelt. Berlin ganz traditionell.
Was soll’s?! Lisas Begrüßung dreht den ersten Eindruck um 180 Grad: Wir treffen auf eine extrem gut gelaunte, sehr freundliche und geschmackvolle 25-Jährige, der es gelungen ist, ihre Weddinger Zweizimmeraltbauwohnung in ein puristisches Eldorado zu verwandeln.

Nach dem Eintritt zeigt sich die Wohnung in ihrem ganzen Glanz – und da wissen wir von der Wundergeschichte zur Wohnungssuche noch nichts. Lisa ist nämlich das Unmögliche gelungen: Sie hat es im Dezember vergangenen Jahres tatsächlich geschafft, eine 59 Quadratmeter große Wohnung (Altbau, Stuck, Dielen) für 500 Euro Monatsmiete zu finden (warm). In Berlin. In Wedding! In der Nähe des S-Bahn-Rings!! Für 500 Euro pro Monat!!!

Was ist der Trick? Lisa muss lachen. „Ebay-Kleinanzeigen!“ Sie erzählt uns, wie sie an einem kühlen Wintertag vor dem Laptop saß und bei den Wohnungsanzeigen immer wieder auf den Refresh-Button drückte. Und dann passierte es: Ein junges Paar veröffentlichte eine Anzeige mit dem Hinweis, dass es auf der Suche nach einer Nachmieterin sei.
Lisa, die vorher in der Pankstraße wohnte, wollte unbedingt in Wedding bleiben und rief sofort an. „Das Paar fand es gut, dass ich nicht nach Neukölln ziehen will und den Wedding nur als Notlösung sehe.“ Nächster Bonus: Die Vermieter hatten sich junge Leute gewünscht. So nahm das Glück seinen Lauf.
Das Highlight? Das lila 70er-Jahre-Bad
Lisa ist erfolgreich, klug, fleißig. Sie hat in Warschau Internationale Beziehungen studiert. Kurz nach dem ersten Lockdown im Jahr 2020 ist sie wegen des Jobs nach Berlin gezogen. Sie arbeitet halbtags für die Deutsche Energieagentur und laboriert jetzt an der Frage, wie Deutschland bis 2050 klimaneutral werden kann. Die Wohnung sei für das Homeoffice perfekt. Bei gutem Wetter könne man sich in den Garten setzen. Und der Höhepunkt der Wohnung? „Das Badezimmer“, sagt Lisa und führt uns in einen Raum, der über bestens erhaltene lila Badezimmerfliesen aus den 70er-Jahren verfügt.

Als wir uns im Wohnzimmer umschauen, fällt ein Puzzle auf dem Schreibtisch auf. Motiv: Frida Kahlo. Fast fertiggestellt. Während des Lockdowns, so Lisa, sei neben dem Porzellanbemalen und Dinge-in-die-Wände-Bohren das Puzzeln zum wichtigsten Hobby geworden. Die neue Form der Stressbewältigung also. Und die Lage im Hinterhof? Ist die nicht störend? Macht sie nicht depressiv? Lisa schüttelt den Kopf. „Ich habe zwar eine schlechtere Aussicht und, ja, ich schaue auf Müll. Aber dafür ist es total ruhig – und im Wohnzimmer sonnig.“

Lisa weiß, wie angespannt der Wohnungsmarkt in Berlin ist. Auch und gerade in der Pandemie. „Es müssen immer Abstriche gemacht werden: Entweder man findet die megageile Wohnung, aber die Mitwohnenden sind schwierig. Oder: Die Mitwohnenden sind mega, der Vibe stimmt. Aber der Preis für ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer liegt bei 500 Euro pro Monat.“ Doch das sind freilich Probleme von gestern. Lisa wohnt jetzt endlich allein. Und der Preis? Der passt auch.

Lisa Strippchens Lieblingsorte: Café Tinto (Mehringdamm Kreuzberg), Frühstück im Café au Lait in der Kantstr. 110, die Flaktürme im Berliner Humboldthain und das Gemeinschaftsgartenprojekt „Himmelbeet“ in Wedding (Ruheplatzstraße 12, 13347 Berlin).
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